Klara Chilla

Die Schiffe der Waidami


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umgebenden Fluten. Die Erschaffung Waidamis! Stout hätte sich gerne die anderen Szenen angesehen, gehorchte jedoch dem Wink Bairanis und setzte sich. Der Oberste Seher setzte sich würdevoll in den Stuhl gegenüber. Mit einer betont sorgsamen Geste legte er seine dürren Hände, die vom Alter gezeichnet waren, auf die Lehnen und lächelte Stout mit einem aufmunternden Lächeln an, das den Piraten gezielt darauf hinwies, wie dünn sein Lebensfaden war, wenn er jemals etwas Falsches antworten würde.

      „Sprich, mein Sohn! Konntest du meinen Auftrag erfüllen?“

      Stephen nickte langsam.

      „Ja, Oberster Seher. Ich habe Ronam und seine Tochter ohne Probleme beseitigt. – Vielleicht interessiert es Euch, dass Tamaka und Nahila diese Nacht Waidami verlassen haben. Ich bin mir allerdings nicht sicher, ob nicht einer von ihnen mich vielleicht im Dorf gesehen hat.“ Stout knurrte die letzten Worte voller Groll, hasste er doch den Gedanken, dass ihm möglicherweise ein Fehler unterlaufen sein konnte.

      Bairanis mitleidlose Augen musterten den Piraten eine endlos lange erscheinende Zeit, ohne eine Spur von einer menschlichen Regung zu zeigen. Kalter Schweiß lief Stouts Rücken hinab und hinterließ dabei ein Gefühl des Unbehagens. Wieder einmal fragte er sich, was der Mann alles sah, und ob er auch dazu in der Lage war - oder einer seiner Seher - zu erkennen, was er dachte. Stout zwang sich, ungerührt zu erscheinen. Glücklicherweise konnte er von Sehern keine Strömungen empfangen. Er wollte nicht wirklich spüren, was in diesem Mann vorging. Wenn er, Stout, auch nicht gerade zart besaitet war und sicher genug schändliche Tat begangen hatte, jagte ihm der Oberste Seher doch eine unbekannte Angst ein. Er war gnadenlos, kompromisslos und würde seine eigene Tochter foltern, wenn ihm das zum Vorteil gereichen würde. Seine Strömungen mussten sämtliches Vorstellungsvermögen sprengen, wie eine bis unter den Mast mit Schießpulver beladene Galeone.

      Die sonst eher tot scheinenden Augen Bairanis waren von unheilvollem Leben erfüllt und glänzten tückisch in seinem faltigen Gesicht, als sich sein schmaler Mund zu einem boshaften Lächeln verzog.

      „Nun, Stephen, ich denke, ich muss dir etwas erklären, und dann habe ich da noch einen Auftrag für dich, der dich inspirieren dürfte.“

      Er legte eine Pause ein, in der er Stout erneut taxierte, dann berichtete er von der letzten Sichtungszeremonie. Er berichtete, dass endlich der Piratenkapitän identifiziert worden war, der entweder zum Verräter oder zum tödlichen Instrument gegen die Spanier werden würde, und ignorierte dabei die sichtliche Erregung, die Stout ergriff, als er den Namen Jess Morgans vernahm. Er erzählte, warum er Lanea an Bord der Monsoon Treasure gesandt hatte, und dass Ronam hatte verschwinden müssen, weil er inzwischen zu kritisch geworden war. Nachdem er seinen Bericht beendet hatte, erhob sich Bairani langsam aus dem Stuhl. Er verschränkte die Hände wie zu einem Gebet ineinander und ging nachdenklich durch den Raum. Vor der Fensteröffnung blieb er stehen und blickte versonnen in den Dschungel, der an dieser Seite den Vulkankrater herauf kroch wie eine grüne Schlange, und tat so, als lausche er hingebungsvoll den unschuldigen Geräuschen, die von dort zu ihm herauf drangen. Dann wandte er sich scheinbar selbstvergessen wieder an Stout, der ihn starr beobachtete und seine Finger wie eiserne Krallen um die Lehnen seines Stuhles geklammert hatte.

      „Nahila ist unwichtig und um Tamaka kümmerst du dich bei Gelegenheit. Er weiß wesentlich mehr, als er immer zugegeben hat, und er scheint seine eigenen Pläne zu haben. Da nicht klar ist, welche Rolle Lanea in dieser Vision spielt, kann ich ihr nicht vertrauen. Es ist also vorrangig, dass du die Suche nach der Monsoon Treasure aufnimmst.“

      „Wieso wissen wir nicht, wohin die Tsunami gesegelt ist? – Dort wird schließlich auch Jess Morgan sein, wenn Tamaka Captain Makani dorthin geschickt hat.“

      „Tamaka war schlau genug, Lanea zu raten, Captain Makani ihren Bestimmungsort erst auf offener See zu eröffnen.“ Bairani ging mit wenigen Schritten zu Stout und legte ihm eine eiskalte Hand auf die Schulter, die den hartgesottenen Piraten erschauern ließ.

      „Finde Jess Morgan für mich, Stephen!“

      Stephen Stout knurrte erwartungsvoll.

      Jess Morgan also! Das war eine interessante Neuigkeit, die Bairani ihm eröffnet hatte. Im Stillen rieb er sich zufrieden die Hände. Seit er zurückdenken konnte, hatte er diesem Kerl mit Misstrauen gegenübergestanden; bereits als er noch als kleiner Junge bei Bairani seine Vorbereitungszeit verlebt hatte, war Jess ihm als widerspenstig und rebellisch aufgefallen. Er hatte sich immer geweigert, sich unterzuordnen. Bairani hatte ihm verboten, in seiner wenigen freien Zeit, die ihm zur Verfügung stand, an den Strand zu gehen, und doch hatte er es immer wieder getan und dabei diesen seltsamen Glanz in den Augen gehabt. Selbst als ihn Bairani zur Strafe durch ihn, Stephen, hatte verprügeln lassen, hatte er noch geheimnisvoll gelächelt. Das Lächeln war erst verschwunden, als er den damals zehnjährigen Jungen ausgepeitscht hatte; aber der Glanz in seinen Augen war unverändert geblieben.

      Stephen hatte ihn für diesen ungeahnten Widerstand gehasst. Jess hatte ihn trotzig angesehen, während er kaum noch in der Lage gewesen war, auf seinen eigenen Beinen zu stehen. Er war vor ihm auf die Knie gesunken und hatte ihn aus brennenden Augen angesehen. „Eines Tages werden wir uns ebenbürtig gegenüberstehen“, hatte der Junge leise gesagt. Er hatte mit den Tränen gekämpft, aber das Zittern in seiner Stimme hatte dennoch nicht über die deutliche Drohung darin hinwegtäuschen können. Und Stephen Stout sah diese Drohung immer wieder aufs Neue in den eisblauen und mitleidlosen Augen, wenn er Jess Morgan begegnete. Ein sicheres Versprechen, das es irgendwann einzulösen galt, obwohl Morgan sich eigentlich nach der Tätowierung nicht mehr daran erinnern durfte, da diese alles aus dem Gedächtnis löschte, was jemals zuvor geschehen war.

      Jahre später waren sie sich bei einem Überfall auf eine kleine Küstenstadt begegnet, an der sie beide beteiligt gewesen waren. Stout dachte hasserfüllt daran, wie er auf dem Marktplatz einen Mann hatte foltern lassen, um von ihm zu erfahren, wohin die Einwohner ihre Wertsachen geschafft hatten. Der Mann hatte am Ende noch nicht einmal mehr die Kraft gehabt, seine Qualen in die Welt zu schreien, als Jess Morgan erschienen war. Er war in seiner arroganten Art über den Platz marschiert, hatte sein Messer gezogen und dem Spaß, den er und seine Männer bis dahin gehabt hatten, mit einem glatten Schnitt ein viel zu plötzliches Ende bereitet und den Mann von seinen Qualen erlöst.

      Wenn er von Bairani freie Hand bekäme, würde er Jess Morgan jagen, und dieser würde am eigenen Leibe erfahren, wie sehr er es genoss, einen Mann langsam sterben zu sehen; für ihn würde er sich etwas ganz Besonderes ausdenken und ihm beweisen, dass er äußerst kunstfertig in der Lage war, einen Mann tagelang leiden zu lassen.

      Er erwachte aus seinen Gedanken wie aus einem Traum, dabei traf sein Blick auf den hämischen Gesichtsausdruck des Obersten Sehers.

      „Mir scheint, dass du den nötigen Jagdtrieb für diesen Auftrag besitzt.“

      „Soll ich ihn töten?“

      „Nein, auf keinen Fall! – Zuerst wirst du ihn nur beobachten. Ich will wissen, ob er sich nun von uns abgewandt hat oder nicht. Solltest du den Beweis für einen Verrat finden …“, Bairanis Augen funkelten ihn gefährlich an, „… dann bring ihn hierher. Was du unterwegs mit ihm anstellst, ist mir völlig gleichgültig, - solange du ihn in einem Zustand von einigermaßen kräftiger, körperlicher Verfassung ablieferst. Das, was ich mit ihm dann vorhabe, wird seine ganze Kraft kosten. Glaube mir, Stephen, er wird mehr Qualen erdulden, als irgendjemand vor ihm – und sie werden nicht nur körperlicher Art sein.“ Bairani lächelte auf eine sadistische Weise, die Stout das Gefühl vermittelte, dass er noch in den langerwarteten Genuss seiner Rache kommen würde. Er wusste, wie grausam Bairani war, und er leckte sich voller Vorfreude über die wulstigen Lippen.

      „Das Mädchen! Was passiert mit dem Mädchen?“

      „Bring sie unversehrt hierher. Die Götter halten auch für sie ihr Schicksal bereit.“ Der Oberste Seher wechselte einen geheimnisvollen Blick mit Sagan, der sich die ganze Zeit schweigend in den Schatten der Höhle aufgehalten hatte; ein stolzes Lächeln quittierte diesen vertrauensvollen Blickwechsel.

      „Verabschiede dich jetzt, mein Sohn. Das Auge der Göttin wird dich wohlwollend auf deinem Weg beobachten.“ Bairanis Lächeln hatte etwas Strahlendes, doch die Augen blickten wieder völlig leblos auf Stout, der sich vor ihm verbeugte und dann die