Tobias Fischer

Veyron Swift und das Juwel des Feuers


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war zur Straße hin durch eine Mauer abgegrenzt. Nirgendwo gab es eine Garage. Als sie ausgestiegen waren und die alten, schiefen Stufen zum Eingang hochstapften, hielt Jane noch einmal an. Sie wirkte auf einmal verunsichert, als wüsste sie nicht recht, ob sie das Richtige tat.

      Tom wurde neugierig. Er fragte sie, was denn los sei. Jane bemühte sich um ein Lächeln, aber es verging ihr rasch wieder. »Es geht um Swift. Ich kenne ihn«, antwortete sie so ernst und finster, wie er es von ihr gar nicht kannte.

      Tom sah sie erstaunt an. »Du kennst Veyron Swift? Woher? Warum hast du das nicht gleich erwähnt? Warum musst du mich vor ihm warnen? Was ist er denn für ein Typ?«

      Jane brauchte einen Moment, um über all diese Fragen nachzudenken. »Swift arbeitet für die Polizei, besser gesagt für den Inspektor. Er selbst ist aber kein Polizist, Gott sei Dank. Er ist seltsam, echt seltsam. Manchmal ist er supernett, aber oft auch ekelhaft, besserwisserisch und … ach, ich weiß auch nicht. Ich sollte dir eigentlich keine Angst machen, sorry. Aber Swift ist vollkommen unberechenbar. Das wirst du gleich selbst erleben.«

      »Ich hab keine Angst, ich bin nur neugierig«, versicherte ihr Tom trotzig. Sie sollte sich keine Sorgen machen – auch wenn ihm jetzt wirklich nicht mehr ganz wohl bei der Sache war. Jane schenkte ihm ein anerkennendes Lächeln.

      Auf ihr Läuten hin öffnete ihnen eine ältere, leicht untersetzte Frau. Sie stellte sich als Sarah Fuller vor. Sie wohne gleich nebenan und arbeite gelegentlich für Mr. Swift als Haushälterin, plauderte sie drauflos und lächelte dabei, dass ihre Apfelbäckchen glänzten. Mrs. Fuller schien eine sehr freundliche Person zu sein, ständig ein Lachen auf den Lippen. Sie sprach so ungeheuer schnell, dass Tom Mühe hatte, ihr weiter als bis zur Begrüßung zu folgen.

      »Nur herein in die gute Stube, mein Junge. Sie auch, Miss Willkins. Er will Sie beide sehen. Sitzt oben in seinem Arbeitszimmer. Wo auch sonst; er lebt ja förmlich dort. Nur schade, dass sein Bett nicht hineinpasst, er würde vermutlich sofort dorthin umziehen. Die ganze letzte Nacht war er auf, und um drei Uhr morgens hat er die Stereoanlage auf volle Lautstärke gedreht und die halbe Nachbarschaft geweckt. Angeblich, weil er bei Musik besser nachdenken kann. Naja, Sie kennen ja seine Flausen, Miss Willkins. Wenigstens hat er schon lange keine Experimente mehr durchgeführt und all diese furchtbaren Dinge ins Haus geschleppt – Sie wissen, was ich meine. Und dann seine nächtlichen Ausflüge! Was macht er da eigentlich? Ja, ja. Ich weiß, ich weiß. Ich soll Sie das ja nicht fragen, aber als gute Nachbarin macht man sich doch Sorgen. Eigentlich weiß ich gar nicht, warum ich mich dazu habe bequatschen lassen, ihm Haus und Hof zu hüten. Aber er zahlt gut, und wenn er nicht gerade seine Launen hat, kann er unglaublich charmant sein. Das wissen Sie ja selbst, Miss Willkins.« All dies stieß Mrs. Fuller hervor, während sie Tom und Jane durchs Haus führte.

      Vom Eingang ging es gleich in ein breites Treppenhaus, das von oben bis unten mit einer furchtbar altmodischen, ockergelben Tapete mit braunem Karomuster beklebt war. Sie deutete die steile Treppe hinauf.

      »Sie wissen ja, die erste Tür direkt geradeaus. Und das Anklopfen nicht vergessen. Vielleicht hat er ja wieder diese Wurfmesser bei sich. Ich muss wieder in die Küche. Heute Abend ist der Geburtstag meiner Schwester, und es gibt Braten. Er hat nichts dagegen, dass ich dafür seinen Ofen benutze. Drüben in meinem backe ich ja schon einen großen Kuchen. Aber so ist er eben. Man kann alles von ihm haben. Vermutlich würde er das ganze Haus an jeden beliebigen Menschen vermieten, wenn hier nicht jemand aufpassen würde. Es interessiert ihn einfach nicht. Weiß Gott, wer sich hier alles herumtriebe, wenn ich nicht jede Nacht abschließen würde.«

      Mrs. Fuller verschwand in der Küche, und Jane wandte sich nach oben, stieg mit schweren, unwilligen Schritten die Stufen hinauf. Tom folgte ihr, erfüllt von einer unheimlichen Neugier auf diesen sonderbaren, verrückten Mann.

      Die Tür zum Arbeitszimmer stand halb offen, und Tom konnte einen ersten Blick auf den Menschen werfen, mit dem sein Schicksal fortan verknüpft sein sollte.

      Das Zimmer im ersten Stock war ein kleiner Raum, in dem nur ein einzelner Schreibtisch unter einem kleinen, verstaubten Fenster stand. Dafür türmten sich an den scheußlich karierten Wänden Tausende von Büchern, die jemand einfach kreuz und quer aufeinandergestapelt hatte. Aus vielen lugten herausgerissene Seiten heraus. Überall auf dem Boden lagen Landkarten und aufgeschlagene Bücher verstreut. Man musste richtig aufpassen, nicht darüber zu stolpern. Die Wände waren mit Fotos, Bildern, Skizzen und noch mehr Karten sowie Auszügen aus uralten Büchern beklebt; alles lediglich mit Tesafilm festgemacht. Am Schreibtisch saß dessen Eigentümer, welcher der Tür den Rücken zugedreht hatte. Er war groß und hager; ein Schopf zerzausten, schwarzen Haares hing ihm bis in den Nacken. Hemd und Hose waren eintönig dunkel, wirkten dafür aber maßgeschneidert, aus teurem, hochwertigem Stoff.

      Vorsichtig klopfte Jane an.

      »Kommen Sie rein, Willkins. Und weil Sie sich das sicher bereits fragen: Es war Inspektor Gregson, der mich in diese Sache hineingeschwatzt hat. Er hat von mir verlangt, mich des Jungen anzunehmen. Er meinte, es wäre gut für mich, und überhaupt würde ich ihm noch den einen oder anderen Gefallen schulden«, sagte der Mann, ohne sich dabei umzudrehen.

      Tom erschrak, auch Jane sah er ein wenig zusammenzucken. Ihr Blick wirkte gequält, als sie die Tür weiter aufschob.

      Der Mann am Schreibtisch hielt es immer noch nicht für notwendig, sich zu ihnen umzudrehen. »Willkommen in 111 Wisteria Road, Mr. Packard«, sprach er weiter.

      Tom war ein wenig verblüfft, wandte sich an Jane, die aber nur den Kopf schüttelte.

      Veyron Swift schien das zu bemerken, oder vielleicht erriet er es auch einfach nur. »Sie brauchen gar nicht den Kopf zu schütteln, Willkins. Ich tue nur selten etwas, ohne nicht genau darauf vorbereitet zu sein. Ich habe Ihre Karriere ein wenig verfolgt, Mr. Packard. Ihre Eltern kamen bei einem Autounfall ums Leben, und danach hat sich Ihre Tante Priscilla Evans um Sie gekümmert. Allerdings sind Sie dort nicht sonderlich glücklich geworden. Ihre Tante hat Sie verlassen und allein zurückgelassen, obendrein mittellos. Sie hat Sie nur deshalb aufgenommen, um an Ihr Erbe zu kommen, und ist ins Ausland geflohen, nach Südamerika. Brasilien möglicherweise, doch sehr viel wahrscheinlicher nach Venezuela – wegen mangelnder Auslieferungsabkommen mit Großbritannien. Keine Sorge, glücklich wird sie dort nicht werden. Wir beiden wissen: Sie ist nicht der sesshafte Typ, und ihre unstrukturierte Lebensweise kostet mehr Geld, als sie besitzt oder mit ihrer Qualifikation jemals verdienen kann. Aber das brauchen wir nicht weiter zu erörtern. So oder so, sie wird einen bitteren Preis für ihre Schandtat bezahlen.« Mr. Swift hatte sich immer noch nicht zu ihm umgedreht.

      Tom konnte nur staunen und blickte zu Jane, die mit den Schultern zuckte.

      »Ich hab nichts verraten, Tom. So macht er das immer. Er hält sich für Sherlock Holmes.«

      »Irrtum, Willkins. Sherlock Holmes war ein Meisterdetektiv, der anhand genauer Beobachtungen Verbrechen aufklärte, die Wissenschaft der Deduktion, wie er das nannte«, korrigierte Swift sie augenblicklich. »Ein scharfes Auge und ein schneller Verstand sind in der Tat Voraussetzung, wenn man eine Vielzahl an Informationen zusammenträgt und auswertet. Das meiste über Mr. Packard haben mir seine Lehrer und Inspektor Gregson verraten. Die Motive und die Spur von Miss Evans herauszufinden, war ein wenig komplizierter, aber weit von der Unlösbarkeit entfernt. Sie hat genug Freundinnen in England zurückgelassen, die sehr geschwätzig sind, und auch das Internet ist recht hilfreich. Unser guter Holmes hätte ebenso leichtes Spiel gehabt wie ich. Listig eingefädelt und sorgfältig geplant wäre es ihm – genau wie mir – gelungen, die richtigen Antworten zu erhalten. Allerdings würde Mr. Holmes mein tatsächliches Tätigkeitsgebiet kaum als seriös einschätzen und darüber wohl nur lächeln – so wie Sie mich meistens nur belächeln, Willkins. Sie und Ihre fantasielosen Kollegen.«

      Jetzt endlich drehte er sich zu ihnen um. Tom blickte in ein schmales Gesicht mit stechenden, eisblauen Augen, die unter dunklen Brauen lagen. Sein Mund war zu einer schmalen Linie zusammengepresst, was ihm, zusammen mit der scharfen Nase, einen raubvogelhaften Ausdruck verlieh und sofort klarmachte, dass mit Veyron Swift nicht zu spaßen war. Sein Alter ließ sich schwer einschätzen, Tom hielt ihn für etwa Mitte dreißig.

      »Ich bin