Tobias Fischer

Veyron Swift und das Juwel des Feuers


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was eigentlich nicht besonders schade ist, da Sie beide sowieso nie ein besonders hübsches Paar abgegeben haben. Der Streit, den Sie letzte Nacht hatten, war erbittert und für Sie besonders schmerzhaft. Es sind ein paar unverzeihliche Beleidigungen gefallen. Da ich weiß, dass Sie ziemlich derb sein können, wenn Sie emotional werden, ist der Graben zwischen Ihnen jetzt unüberwindbar. Heute Morgen haben Sie jedenfalls den Entschluss gefasst, sich von Michael zu trennen. Das ist auf jeden Fall die richtige Entscheidung, wo doch seine Spielsucht schlimmer geworden ist und er überhaupt keine Anstalten zeigt, sich deswegen behandeln zu lassen.« Die Worte ratterte der unglaubliche Mensch schnell wie ein Maschinengewehr zwischen den schmalen Lippen hervor.

      Tom schaute zu Jane, die mit jedem weiterem Wort von Swift blasser wurde und zu zittern begann. Sie ballte die Fäuste. Tom befürchtete, dass sie entweder vor Wut explodieren oder davonrennen würde. Keines von beiden geschah. Sie und Swift maßen ihre Blicke.

      »Sie sind ein echtes Arschloch«, zischte Jane und wandte sich an Tom. »Das hatte ich gemeint.«

      Swift erhob sich und kam zu ihnen. »Ich sage nur die Wahrheit – oder das, was ich als Wahrheit erkennen kann, soweit mir die notwendigen Informationen zur Verfügung stehen. Dass Sie und Michael verlobt waren, erkannte ich an dem Ring, den Sie vor einem halben Jahr von ihm geschenkt bekamen. Nicht besonders schön und aus billigem Material gefertigt, eben ganz Michaels Wesensart entsprechend. Jetzt tragen Sie ihn nicht mehr, haben es aber vor Kurzem noch getan, was mir die helle Stelle an Ihrem Finger verrät. Warum sollten Sie ihn so plötzlich ablegen? Entweder, weil Sie ihn verloren haben, oder aber, weil Sie und Michael sich trennten. Welche Möglichkeit könnte nun also zutreffen? Sehr unwahrscheinlich ist es, dass eine so ordnungsliebende Frau wie Sie einen solchen Ring verlieren könnte. Also haben Sie ihn bewusst abgenommen und nicht mehr angesteckt. Doch warum? Allein eine Trennung von Michael kommt dafür infrage. Eine Trennung im Zorn. Was kann der Anlass gewesen sein? Eigentlich nur Michaels Spielsucht. Seine Hände zucken unentwegt, ebenso sein Kopf. Typische Krankheitssymptome von Spielautomatensucht. Des Weiteren weiß ich von Sergeant Palmer, dass Michael gerne mal eine Spielhölle besucht. Und den Streit, den Sie gestern hatten, lese ich aus Ihrem Gesicht. Sie haben viel geweint, und Ihre Augen sind deshalb noch immer leicht verquollen. Ihre Stimme ist etwas heiser, was den aufmerksamen Hörer auf sehr viel Geschrei und Gebrüll hinweist. Da Sie noch immer unter den Auswirkungen leiden – Ihre Schritte sind schwer, und Ihr aggressives Anklopfen hat mir Ihre getrübte, misslaunige Stimmung verraten –, muss der Streit demnach lang und intensiv gewesen sein. Vermutlich ging er erst in den frühen Morgenstunden zu Ende.

      Schauen Sie nicht so verärgert drein, Willkins. Sie sollten es doch inzwischen wissen: Ich vergesse nichts, was ich einmal gesehen, gehört oder gelesen habe. Darf ich Ihnen einen Rat geben? Jagen Sie Michael zum Teufel und suchen Sie sich einen neuen Freund, jemanden mit etwas mehr Grips, jemanden, der Sie wirklich zu schätzen weiß.« Während dieser schnell hervorgestoßenen Ansprache marschierte Swift mit hastigen Schritten in seinem Arbeitszimmer auf und ab.

      Tom war vollkommen perplex. »Das hatte ich gar nicht mitbekommen«, raunte er Jane halblaut zu.

      »Wir waren nicht zu Hause«, gab sie zurück und winkte verärgert ab. Anschließend wandte sie sich wieder an Veyron. »Zutreffend wie immer, Swift. Der Inspektor sagt es Ihnen ständig: Sie hätten Polizist werden sollen.« Sie presste die Worte heraus, ihre Verärgerung nur mühsam im Zaum haltend. »Ich bin aber nicht hier, um mir von Ihnen Beziehungstipps zu holen! Davon verstehen Sie nämlich überhaupt nichts! Es geht hier allein um Tom und was Sie mit ihm anstellen werden. Sie sind jetzt sein Vormund, sein Patenonkel. Sie hätten sich schon längst um den Jungen kümmern müssen.«

      Swift drehte sich zu Tom um und musterte ihn mit einem derart scharfen, prüfenden Blick, dass Tom ihm kaum standhalten konnte. Es war, als würden ihn diese eisblauen Augen durchleuchten wie Röntgenstrahlen, als würden sie in seinen Gedanken lesen wie in einem Buch. Aber er hatte ja nichts zu verbergen; Mr. Swift wusste anscheinend bereits alles über ihn.

      »Ich erwähnte bereits, dass ich Inspektor Gregson einen Gefallen schuldete, und er dachte, es würde mir guttun«, gab Swift zurück. Er blickte Tom erneut streng an. »Also dann, Mr. Packard … Bevor Sie hier einziehen, gibt es noch ein paar Regeln, mit denen Sie klarkommen müssen. Erstens: Wenn Sie etwas zum Frühstück haben wollen, müssen Sie sich selbst was machen oder bei Mrs Fuller anrufen. Sie wird rüberkommen und Ihnen etwas herrichten. Auf mich brauchen Sie nicht zu warten. Entweder bin ich schon lange fertig, oder aber ich habe zu tun und keine Zeit für etwas so Nebensächliches wie Frühstück, Mittagessen oder Abendbrot. Ich esse nämlich nur dann etwas, wenn es unbedingt vonnöten ist.

      Genauso handhabe ich es mit dem Aufstehen. Ich stehe auf, wann und wenn ich es für richtig und vor allem für notwendig erachte. Das als Zweites. Drittens: Falls ich beschäftigt bin, kann es passieren, dass ich spontan das Haus verlasse und erst zurückkomme, wenn meine Arbeiten abgeschlossen sind. Das kann sich über Tage erstrecken. Machen Sie sich in diesem Fall bitte niemals Sorgen. Viertens: Wenn ich nachdenke …«

      »… drehen Sie die Musik laut auf, sogar mitten in der Nacht, und wecken alle Nachbarn. Und fünftens: Ich muss immer anklopfen, wenn ich in einen Raum komme. Sie sind meistens in Gedanken versunken und könnten erschrecken wie ein Baby und dann sonst wie reagieren. Ich weiß Bescheid«, unterbrach ihn Tom in unfreundlichem Ton. Er mochte es nicht, dass sein neuer Patenonkel Jane so blöd angequatscht hatte. »Auch ich vergesse nichts, was ich einmal gesehen oder gehört habe, Mr. Swift.«

      Veyron hob interessiert die Augenbrauen. Er musterte Tom von Neuem mit seinem strengen Blick. Dann begann er zu lachen und klatschte in die Hände. »Was für drolliges Kerlchen. Ja, Sie gefallen mir, Mr. Packard. Also gut. Sie können ihn hierlassen und jetzt nach Hause fahren, Willkins. Sie werden hier nicht mehr gebraucht. Danke für Ihren Besuch«, sagte er und wedelte mit der Linken in Richtung Tür.

      Jane schnaubte verärgert. Mit einem trotzigen Verschränken der Arme ignorierte sie seinen ungehobelten Rausschmiss. »Ich fahre nirgendwohin! Nicht, solange ich nicht sicher bin, dass Sie Tom gut behandeln werden.«

      »Was genau machen Sie denn eigentlich so?«, ging Tom dazwischen, um einen erneuten Austausch an Gemeinheiten zwischen den beiden Erwachsenen zu verhindern. Er machte einen Schritt in das Arbeitszimmer und versuchte, irgendeinen Hinweis in dem Chaos zu finden. »Sind Sie Übersetzer?«

      Swift blickte ihn an, und Tom konnte erkennen, wie er darüber nachdachte, ob er ihm alles erzählen oder doch besser verschweigen sollte. Veyron Swift entschied sich für den Mittelweg. »Wie Willkins Ihnen sicher schon sagte – denn das tut sie immer –: Ich helfe der Polizei, gewisse Dinge aufzuklären. Aber das jetzt genauer mit Ihnen zu erörtern, würde zu viel Zeit beanspruchen.«

      »Also sind Sie doch so eine Art Sherlock Holmes. Sie sind Privatdetektiv, der hinzugerufen wird, wenn die Polizei nicht weiterkommt.«

      »Nein, ganz entschieden nein. Ich bin weder Privatdetektiv noch Berater für Kriminalistik. Ich beschäftige mich mit … nun, das werden Sie schon noch sehen; hoffe ich zumindest. Man weiß nie, wann ein neuer Fall auftaucht, der in mein Fachgebiet fällt. Manchmal passiert monatelang gar nichts, und mir bleibt nichts anderes zu tun, als mich zu langweilen«, meinte Swift. Seine letzten Worte klangen fast ein wenig resigniert. Er setzte sich wieder hinter den kleinen Schreibtisch.

      »Nennen Sie mich doch einfach Tom. Das spart Zeit, und von der haben Sie ja nicht genug, wie Sie sagen«, frotzelte Tom frech.

      Swift drehte sich um, warf ihm einen prüfenden Blick zu und begann, breit und spitzbübisch zu grinsen. Tom hätte diesem ernsten, falkenhaften Gesicht eine solche Regung gar nicht zugetraut. »Einverstanden. Du darfst mich Veyron nennen, solange du nicht vergisst, dass dies hier mein Haus ist und alles meinen Regeln folgt. Jetzt entschuldige mich, ich habe noch zu tun.« Mit diesen Worten wandte sich Swift wieder dem Schreibtisch zu und begann, einige mit farbigen Substanzen gefüllte Reagenzgläschen zu sortieren. Er beachtete seine Besucher gar nicht mehr weiter. Jane drehte sich nach einer Weile unschlüssigen Wartens um und verließ kommentarlos den Raum.

      Tom brachte noch ein halblautes »Bye« über die Lippen, bevor er ihr nach unten folgte. Aus den Augenwinkeln konnte er noch erkennen,