Tobias Fischer

Veyron Swift und das Juwel des Feuers


Скачать книгу

schenkte ihm einen mitfühlenden Blick, Strangley verkniff sich ein Lachen, und Veyron bedachte den Jungen mit einer gehörigen Portion Unverständnis.

      »Das ist es, was Swift macht«, sagte Jane. »Er jagt Monster.«

      Veyron schüttelte unwillig den Kopf. »Ich jage keine Monster, ich spüre sie auf. Das Ausschalten oder Töten überlasse ich meistens anderen. Außer in Notwehr, so wie bei den Vampiren von Surrey. Da hatte ich keine andere Wahl, als die Vorhänge in ihrem Versteck runterzureißen und das Sonnenlicht hereinzulassen. Die drei Joneses wurden dadurch getötet. Schade eigentlich, ich hätte gerne noch erfahren, wie sie zu Vampiren werden konnten. So was ist heutzutage absolut nicht mehr üblich.«

      »Ihr verarscht mich doch alle, oder?«, rief Tom dazwischen. Er wurde immer zorniger darüber, dass mit ihm ein solch falsches Spiel getrieben wurde. Sie alle machten sich einen Spaß daraus, ihn an der Nase herumzuführen, sogar Jane.

      Veyron schenkte ihm ein väterliches Lächeln. »Dein Zorn ist verständlich. So geht es jedem, der das erste Mal Kontakt mit Wesen aus Elderwelt hat«, sagte er. Er ging zu Tom, nahm ihn an der Schulter und führte ihn zum Ausgang. »Wir fahren wieder nach Hause, Willkins. Für heute habe ich genug gesehen. Sie können nun für Gregson einen Bericht verfassen. Warnen Sie ihn und seine Leute, sie sollen in Zukunft besser nach oben schauen. Bert, du kannst Miss Burrows für die Bestattung freigeben. Schreib als Todesursache Verkehrsunfall mit Fahrerflucht hinein. Es besteht kein Anlass, die Angehörigen unnötig zu beunruhigen.«

      Die ganze Fahrt über zurück in die 111 Wisteria Road brütete Tom vor sich hin und versuchte herauszufinden, was er angestellt hatte, damit sie ihn alle derart auf den Arm nahmen.

      Veyron telefonierte derweil mit Inspektor Gregson, der nicht erst auf einen Bericht warten wollte. »Es ist genau wie bei den geschlachteten Pferden von Mr. Falthingham. Große, scherenartige Kiefer durchtrennen mit nur einem Biss Fleisch, Muskeln und Knochen. Der Kopf dieser Bestie muss riesig sein, vermutlich sesselgroß, sehr wahrscheinlich insektenähnlich, keinesfalls ein Drache. Nein, vergessen Sie die Drachen-Theorie sofort wieder! Die Bissspuren waren zu glatt, und die V-Form der Verletzungen ist bezeichnend. Nein, von solchen Bestien habe auch ich noch nie gehört … Keine Ahnung, wo sich ein solches Monster verstecken könnte. Ohne fremde Hilfe ist es eigentlich vollkommen unmöglich … Ja, Ihnen auch eine gute Nacht.« Veyron legte auf und wandte sich an Tom, der ihn immer noch mit einer Mischung aus Unglauben und Misstrauen ansah. »Es liegt doch auf der Hand, dass es ein Rieseninsekt gewesen sein muss. Kein anderes Tier auf der Erde besitzt scherenartige Mundwerkzeuge«, bekräftigte Veyron, offenkundig seinerseits verärgert, weil man seiner Theorie keinen Glauben schenken wollte.

      Tom schüttelte nur den Kopf. »Es gibt keine Vampire, keine Drachen und erst recht keine Rieseninsekten«, erwiderte er, darauf hoffend, dass Veyron diese gemeine Scharade endlich beendete und lachend zugab, Tom nur ein wenig auf den Arm genommen zu haben.

      »Mein lieber Tom, ich versichere dir noch einmal, dass wir hier keine Scherze machen. Inspektor Gregson besitzt keinerlei Humor, von dem ich wüsste. Die Sache ist auch viel zu ernst, um dich damit aufzuziehen. Ich muss jetzt noch ein paar lose Fäden verbinden, um mir ein besseres Bild von den Bewegungen dieser Bestie zu machen. Ich bin sicher, dass ich ihren Aufenthaltsort eingrenzen kann. Wird interessant sein zu sehen, was es ist, vorausgesetzt, Gregson kann das Tier fangen.

      Morgen müssen wir uns mit Professor Daring und anderen Personen unterhalten, die regelmäßig Kontakt mit Miss Burrows hatten. Ich befürchte, dass sich die arme Frau mit dunklen Mächten eingelassen hat – oder aber jemand anderes steckt dahinter, und es könnten noch mehr Menschen zu Schaden kommen«, sagte Veyron finster.

      Mit diesen Worten konnte er Toms Gemüt allerdings kein bisschen aufhellen. Kopfschüttelnd wandte er sich ab und blickte für den Rest der Fahrt teilnahmslos aus dem Fenster. »Sie sind doch bloß ein Spinner«, grummelte er leise, doch laut genug, damit Veyron es hörte.

      Der zuckte jedoch nur kurz amüsiert mit den Augenbrauen und beließ es dabei.

      Wieder zu Hause ging Tom sofort ins Bett. Er nahm sich felsenfest vor, am nächsten Tag abzuhauen; egal wohin. Nur weg von diesem Irren.

      2. Kapitel: Professor Daring

      Am nächsten Morgen wachte Tom auf und hoffte, dass sich das nächtliche Abenteuer in der Pathologie nur als Traum entpuppte. Immerhin: Er konnte sich gar nicht mehr so genau daran erinnern, wie er überhaupt ins Bett gekommen war. Bedeutete das, dass er die Ereignisse von letzter Nacht wirklich nur geträumt hatte?

      Er stand auf, machte sich frisch, zog sich an und ging hinunter in die Küche. Mrs. Fuller hatte um diese Zeit meistens schon das Frühstück hergerichtet – oder wegen ihrer Erkrankung wohl diesmal Veyron. Der Gedanke an dessen Scharade in der Pathologie ließ sofort wieder die Wut in Tom hochkochen. Er war immer noch sauer auf Veyron. Nur ungern wollte er ihm heute über den Weg laufen. Doch genau wie befürchtet saß sein Pate noch am Tisch und studierte eine Zeitung. Veyron hatte wirklich eine Menge Zeitungen abonniert, an die vierzig verschiedene. Er stapelte sie jeden Morgen auf dem Küchentisch und schuf so eine kleine Barriere zwischen sich und Tom. Tom hatte den Küchentisch noch nicht ganz erreicht, als Veyron die erste Zeitung auch schon achtlos zu Boden fallen ließ und die oberste vom Stapel griff. Er blätterte bis zu den Tratsch- und Kuriositäten-Spalten – etwas anderes interessierte ihn nicht – und las ein paar Sekunden. Mit einem ärgerlichen Zischen warf er auch diese Zeitung zu Boden. Sofort nahm er die Nächste zur Hand. Dieses sonderbare Gebaren wunderte Tom inzwischen nicht mehr, wo er letzte Nacht selbst erlebt hatte, wie verrückt Veyron Swift tatsächlich war.

      Übellaunig brummelte Tom: »Morgen«, bevor er sich an den Tisch setzte. Er nahm sich einen fast vollständig verkohlten Toast und beschmierte ihn mit Zitronenmarmelade.

      Veyron sagte gar nichts, blätterte kommentarlos in der Zeitung und ignorierte ihn. Tom bekam ein schlechtes Gewissen. Vielleicht hätte er ihn gestern Nacht doch keinen Spinner heißen sollen – auch wenn’s der Wahrheit entsprach. »Das, was ich gestern Nacht gesagt hab, tut mir leid«, murmelte er. Veyron schwieg ihn weiter an, in die Zeitung vertieft. Toms schlechtes Gewissen wurde immer größer. »Es tut mir wirklich leid. Aber ich war so furchtbar wütend, weil Sie und Jane mich auf den Arm genommen haben.« Er begann zu lächeln. »Aber es war schon cool, da unten in dem alten Labor. Ein richtiges Abenteuer.«

      Veyron sagte immer noch nichts. Er warf die Zeitung auf den Boden und holte sein Smartphone aus der Hosentasche. Was tat er da? Offenbar studierte er den Wetterbericht. Toms schlechtes Gewissen schlug allmählich in Zorn um. Er begann zu verstehen, wieso Jane solche Schwierigkeiten mit diesem Menschen hatte. Der Kerl ist das reinste Aas, dachte er verärgert. Ganz klar: Noch heute Nacht würde er seine Sachen packen und abhauen. Zunächst zu Jane. Vielleicht brauchte sie nach der Trennung von Michael ein wenig Gesellschaft.

      »Hast du schon von diesem Wetterphänomen über dem Atlantik gehört? Blitze am Himmel ohne Gewitterwolken. Einige Piloten haben davon berichtet, aber die Satelliten melden nichts Ungewöhnliches. Kurios, nicht wahr? Und so treffend, da die erste Beobachtung in den gleichen Zeitraum fällt wie die Schlachtung von Mr. Falthinghams Pferden. Ich müsste mich schon gewaltig irren, wenn zwischen diesem Wetterphänomen und unserem Pferde fressenden und Köpfe abbeißenden Ungeheuer kein Zusammenhang besteht. Was meinst du dazu?«, fragte Veyron plötzlich, ohne Tom dabei anzuschauen.

      Aus Zorn wurde schlagartig Verwirrung. Etwas verdattert gestand Tom, dass er sich nicht sonderlich für Nachrichten interessierte, schon gar nicht fürs Wetter.

      Veyron schnaubte verächtlich. »Pubertäre Ignoranz! Zum Glück war ich in deinem Alter nicht so. Du musst die Augen aufmachen, Tom! Wir sind umgeben von einer plötzlichen Häufung unnatürlicher Vorkommnisse, die alle in den gleichen Zeitraum fallen. Ich versuche gerade, eine Theorie zu entwickeln, die einen Zusammenhang zwischen all diesen Ereignissen herstellt.«

      Tom rutschte nervös auf dem Stuhl hin und her. Okay, Blitze ohne Gewitter mochten vielleicht sonderbar sein. Ihm wollte auch keine mögliche Erklärung dazu einfallen, aber er war immerhin erst