Tobias Fischer

Veyron Swift und das Juwel des Feuers


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Hand über die gerunzelte Stirn. »Tom ist aber nicht finanziell unabhängig! Irgendwann wird er allein Geld verdienen und seinen Mann stehen müssen. Wie soll ihm das gelingen ohne eine Vorstellung davon, wie es im echten Leben läuft? Für einen Vierzehnjährigen ist das, was Sie hier machen, keine Alternative. Constable Willkins, bringen Sie den Jungen raus. Er hat hier nichts verloren!«

      Jane drehte Tom an der Schulter herum und erklärte ihm halblaut, während sie ihn aus dem Raum dirigierte, dass Gregson recht hätte und es klüger wäre, draußen zu warten. Es sei überhaupt ein Fehler gewesen, hierherzukommen.

      Veyron riss das Hemd des Professors auf und stieß einen jauchzenden Schrei der Begeisterung aus. Jane und Tom hielten inne, und auch Gregson schenkte ihm wieder seine ganze Aufmerksamkeit.

      »Sehen Sie nur: kein Blut! Die Stichwunde ist sowohl an der Ein- wie auch der Austrittsstelle kauterisiert. Man riecht es, verbranntes Fleisch. Mit was auch immer der arme Mann durchbohrt wurde, es muss glühend heiß gewesen sein. Zeitpunkt des Todes dürfte zwischen ein und zwei Uhr morgens liegen, ausgehend vom momentanen Stadium der Totenstarre.«

      Gregson bestätigte das. Der Gerichtsmediziner war zu demselben Schluss gelangt. Veyron tastete Darings Leiche von oben bis unten ab, fasste ihm in die Hosen- und Westentaschen. Er untersuchte die Taschenuhr des Professors, danach die Brille, die Daring vom Gesicht gerutscht war.

      »Der Professor war körperlich in bester Verfassung, er hatte keine zittrigen Hände und besaß für sein Alter ein hervorragendes Augenlicht. An der Uhr finden sich keinerlei Kratzer von Fingernägeln, die Brillengläser sind nur hauchdünn. Hinzu kommen ausgeprägte Muskeln an Armen und Beinen. Ich fürchte, mein lieber Inspektor, wir sind hier keinem gewöhnlichen Mörder auf der Spur. Der Professor war ein starker, kerngesunder Mann, sicherlich kein wehrloses Opfer«, schlussfolgerte er.

      Gregson stimmte brummend zu. »Deswegen habe ich Sie ja auch hergerufen. Daring wurde von einer langen, etwa fünf Zentimeter breiten Klinge durchbohrt, vermutlich ein Schwertstich, aber der Gerichtsmediziner hat so etwas noch nie gesehen.«

      Veyron unterzog die Stichwunde einer intensiven Untersuchung. »Zweifelsohne eine zweischneidige Klinge, vermutlich über einen Meter lang. Wurde eine entsprechende Waffe im Haus gefunden? Ich würde es allerdings bezweifeln«, sagte er mit erstaunlicher Gelassenheit.

      »Doch«, konterte Gregson, »wir wissen, dass sich ein Schwert im Besitz des Professors befand. Es hing oben in seinem Lesezimmer, ist allerdings verschwunden. Eine sehr sonderbare Waffe, wie ich sie noch nie gesehen habe. Es gibt ein Foto von Daring und seinem Vater, oben im Schlafzimmer. Darauf kann man das Schwert in seiner Halterung gut erkennen.« Er schnippte mit den Fingern.

      Sofort eilte ein junger Sergeant los, nur um ein paar Augenblicke später mit besagtem Bild zurückzukehren. Unverzüglich reichte er es an Veyron, der es prüfend musterte.

      Auf der Aufnahme toasteten zwei ältere Herren, ein etwas jüngerer Daring und sein schon recht betagter Vater, mit Champagnergläsern der Kamera zu. Hinter ihnen hing besagtes Schwert an der Wand. Es war eine wunderschöne, elegante Waffe, die Klinge lang und schmal, fast wie ein Rapier. Der Griff wurde von einem verschnörkelten Korb eingefangen. Das Auffälligste war jedoch ein Muster aus blauen Edelsteinen, welches der Schmied in die Klinge eingearbeitet hatte.

      »Dieses Schwert ist der einzige fehlende Gegenstand im ganzen Haus. Das hat uns die Haushälterin des Professors bereits bestätigt. Wir gehen davon aus, dass es sich dabei um die Mordwaffe handelt und der Täter diese im Lauf der Flucht weggeworfen hat. Meine Leute suchen deshalb jetzt die nähere Umgebung ab. Ich bin sicher, wir werden sie spätestens morgen gefunden haben«, sagte Gregson.

      Veyron winkte ab. »Das war nie und nimmer die Tatwaffe. Die Klinge ist nicht bereit genug für die Stichwunde des Professors. Sie sagten, das Schwert sei verschwunden?«

      Er reichte das Bild an Tom, doch Jane riss es ihm sofort aus den Händen. »Fingerabdrücke!«, schimpfte sie. »Das ist als Beweis jetzt ruiniert!«

      Gregson überging ihr Gezeter und nickte Veyron zu. »Im ganzen Haus unauffindbar. Glauben Sie, es war Raubmord? Orks vielleicht oder wieder Kobolde?«

      »Nein, auf gar keinen Fall. Kobolde oder Orks hätten hier eine Verwüstung hinterlassen. Beachten Sie: keine Anzeichen von Folter oder anderer Gewalt, nirgendwo die Spur eines Kampfes. Keine zerbrochenen Möbel, Vasen oder Gläser. Was noch viel beängstigender ist: nirgendwo ein Ofen, in dem man eine Klinge zum Glühen hätte bringen können. Die Tatwaffe muss demnach ein magisches Schwert sein, das von allein zu glühen oder gar zu brennen anfängt. Ich denke, das hier ist etwas ganz Neues; es übersteigt alles, mit dem wir es in den letzten acht Jahren zu tun hatten«, schlussfolgerte Veyron. Er schnippte mit den Fingern und blickte in die Runde ratloser Polizistengesichter. »Zusatzfrage: Warum sollte jemand, der sich im Besitz eines Zauberschwerts befindet, sich die Mühe machen und hier einbrechen, nur um ein anderes Schwert zu stehlen? Das ergibt keinen rechten Sinn. Für das Verschwinden von Darings Schwert muss es also eine andere Erklärung geben. Unsere Probleme sind ein Flammenschwert und dessen Inhaber«, mahnte er.

      Tom bekam es ein wenig mit der Angst zu tun. Der Gedanke, dass da irgendwo in London ein Unhold unterwegs war, der ein Zauberschwert bei sich trug, behagte ihm gar nicht.

      Veyron untersuchte den Schreibtisch, öffnete die Schubladen und blätterte den Terminkalender und die Korrespondenz des Professors durch. Gregson sah ihm dabei nur neugierig zu, während Willkins ungehalten die Arme verschränkte. Tom machte es sich derweil auf einem nahen Plüschsofa gemütlich. Ihn hatten die Erwachsenen fürs Erste vergessen. Zum Glück! So konnte er nun in Ruhe alles beobachten.

      »Sarah Burrows, unsere Geköpfte von letzter Nacht, war Darings Sekretärin. Dass alle beide durch außernatürliche Kräfte ums Leben kamen, ist besorgniserregend. Es muss eine Verbindung geben. Die kann nur Folgende sein: Der Professor war im Besitz von Informationen, die für den Mörder eine Gefahr bedeuteten. Informationen, die der Professor an jemanden weitergeben wollte. Darum musste Miss Burrows sterben. Sie war für die Korrespondenz des Professors zuständig, vereinbarte Termine und erledigte allen geschäftlichen Schreibkram. Für unseren Täter war es nur logisch, anzunehmen, dass sie diese brisanten Nachrichten auch nach Darings Tod an Darings Kontakte weitergeben würde. Daring besitzt keinen Computer, nirgendwo im ganzen Haus. Und wenn man sich hier so umsieht, wusste er mit moderner Elektronik wohl auch nichts anzufangen. Er tippte noch immer – vollkommen anachronistisch – auf einer Schreibmaschine. Also war er auch bei der Übermittlung von Nachrichten auf die althergebrachten Methoden angewiesen.

      Unser Täter wusste das. Deshalb tötete er Miss Burrows in der Hoffnung, die brisante Nachricht abzufangen. Das arme Mädchen war jedoch gar nicht in ihrem Besitz. Also war als Nächstes Daring an der Reihe. Offenbar war er für den Mörder die größere Gefahr, weswegen er nicht wieder seine Riesenbestie einsetzte, sondern diesmal selbst Hand anlegte. Jetzt müssen wir nur noch herausfinden, wen der Professor eigentlich warnen wollte – und weswegen. Eventuell können wir das nächste potenzielle Opfer unseres Freundes mit dem Flammenschwert – ich nenne ihn jetzt mal Joe – identifizieren und warnen«, schlussfolgerte Veyron blitzschnell. Er schloss die Schubladen wieder und sah sich weiter um.

      Gregson und Jane schenkten sich ratlose Blicke. Tom schaute neugierig zu, wie Veyron mit nervös herumzuckenden Händen den Schreibtisch durchsuchte, als wären seine Finger Fühler, die – Sensoren gleich – in der Lage waren, von allein das Gesuchte aufzuspüren.

      »Woher wissen Sie, dass er jemanden warnen wollte? Vielleicht hat Flammenschwert-Joe die Quelle der Gefahr mit dem Mord an Daring bereits zum Schweigen gebracht«, meinte Gregson.

      Veyron schüttelte nur den Kopf. Nacheinander deutete er auf das Arbeitszimmer, die Wände, die Vitrinen, die Plüschmöbel und zuletzt auf den toten Professor. »Schauen Sie sich um: Nichts ist zerstört, nichts aufgebrochen und durchwühlt. Alles wurde feinsäuberlich so belassen wie vor dem Mord. Ich stelle mir das Ganze so vor: Joe verschafft sich Zugang zum Haus. Wahrscheinlich weiß der Professor bereits, dass er kommen wird, hat es aus dem grausamen Tod seiner Sekretärin geschlossen. Joe fürchtet die Stärke des Professors, darum muss er diese Tat selbst ausführen. Niemand sonst hätte Aussicht auf Erfolg