Tobias Fischer

Veyron Swift und das Juwel des Feuers


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Vampire, Drachen und was weiß ich noch alles für Wesen, echt existieren?«, fragte er vorsichtig.

      Veyron legte das Smartphone beiseite und schaute Tom eindringlich an. »Ich glaube es nicht, ich weiß es. Ich sehe ein, dass unser kleiner Ausflug letzte Nacht wohl ein wenig zu viel für dein Fassungsvermögen war. Darum will ich dir die Geschichte von Anfang an erzählen: Alles begann vor acht Jahren. Ich studierte gerade im zweiten Semester Psychologie, als ich einen sehr interessanten jungen Mann kennenlernte. Er war ebenfalls Student und zufällig an der gleichen Universität in Oxford wie ich. Sein Name war Floyd Ramer. Du hast vielleicht schon von ihm gehört.«

      Tom brauchte nicht lange nachzudenken. »Sie meinen doch nicht etwa den Floyd Ramer, den Milliardär? Es hieß, er wäre spurlos verschwunden, vor etwa sieben oder acht Jahren. Daran kann ich mich noch erinnern. Das war damals an der Schule und auch zu Hause das Thema. So was vergisst man nicht.«

      »Genau den meine ich. Ramer war so sagenhaft wohlhabend, dass er zu den vermögendsten Leuten der Welt zählte, wahrscheinlich war er sogar der reichste Mensch überhaupt. Es gab zumindest nichts, was er sich nicht für Geld kaufen konnte. Das zeigte er uns Kommilitonen damals auch. Die Mädchen liebten ihn beziehungsweise sein Geld. Jeden Abend Party, jeden Abend in einem anderen Palast. Damit meine ich echte Paläste, keine Nobelhotels, sondern richtige Schlösser und Burgen im Besitz von Fürsten und Königen. Jeden Morgen mit dem Lamborghini zur Uni, stets mit neuen Designerklamotten, Manschettenknöpfen aus purem Gold und Armbanduhren aus Diamant und Platin. Er war ein Angeber in einer Größenordnung, wie es ihn auf der Welt kein zweites Mal gegeben hat oder jemals wieder geben wird.

      Heute glauben viele, dass er seinen Reichtum nur deshalb so demonstrativ nach außen trug, weil er in Wahrheit depressiv war. Nach seinem spurlosen Verschwinden vor acht Jahren gab sich die Polizei schließlich damit zufrieden, dass er vermutlich Selbstmord begangen hatte. Seine Leiche wurde nie gefunden.

      Sein Verschwinden machte mich neugierig, denn ich kannte Ramer und war mit den Theorien der ganzen Armee von Polizeipsychologen nicht einverstanden, die sich plötzlich aus allen Teilen der Welt zu Wort meldeten. Ramer hatte niemals irgendwelche Antidepressiva genommen und zeigte auch sonst keine Symptome von Depression. Keine plötzlichen Stimmungsschwankungen, kein Überforderungsgefühl, keine Melancholie und vor allem: keinerlei Selbstzweifel. Nein, depressiv war Floyd Ramer auf gar keinen Fall. Aber gelangweilt. Ich würde sogar sagen, dass er der gelangweilteste Mensch war, der je auf Erden lebte. Ich verbrachte einige Zeit mit ihm – außerhalb der Partys, da wir uns beide sehr für griechische Mythologie interessierten. Wir besuchten gemeinsam verschiedene Kurse, und in den Pausen führten wir sehr erhellende Diskussionen. Ich erinnere mich gut daran, dass er dem Alltag nicht viel abgewinnen konnte. Er fand so ziemlich alles langweilig: Politik, Wissenschaft, Gesellschaftsleben. Alles war für ihn so furchtbar normal.

      ›Wie langweilig die Menschheit ist, Veyron. So einfach, so gewöhnlich, so durchschnittlich. Es stimmt, was meine Mutter immer sagt: Seit die Menschen allein über die Erde herrschen, ist es trist und still geworden. Und je länger sie das tun, umso langweiliger wird die Welt. Es gibt nicht einmal mehr richtige Könige, nur noch ein paar verarmte Monarchen von Volkes Gnaden, besser gesagt von des Finanzministers Gnaden. Er bestimmt die Höhe der Apanage anstelle des Königs. Wo sind sie hin, die absoluten Regenten mit ihren Prunkbauten für die Ewigkeit? Verschwunden, weggefegt und entsorgt. Stattdessen herrschen jetzt die Nullen im Parlament. Alles nur Phrasendrescher. Kein Wunder, dass die Menschen da alle eingeschläfert werden. Langweilig, langweilig, langweilig. Ich wünschte, ich könnte endlich an diesen anderen Ort gehen, wo noch was los ist, wo man als König noch was zählt‹, das sagte er. Und er wiederholte es oft, bei allen möglichen Gelegenheiten. Ich glaube, das Einzige auf der Welt, das Floyd Ramer nicht langweilig fand, war Party feiern. Eines Tages war er plötzlich verschwunden.«

      »Ein seltsamer Vogel. Der Typ hatte ja echt einen Schatten«, meinte Tom. Schnell nahm er sich noch einen Toast, bevor er kalt wurde.

      Veyron schenkte ihm ein zustimmendes Lächeln. »Stimmt. Er war ein seltsamer Vogel, verrückt, aber nicht geistesgestört. Da muss man einen Unterschied machen. Sein Verschwinden ließ mich jedenfalls eigene Nachforschungen anstellen. Mir ging dieser Satz: ›Ich wünschte, ich könnte endlich an diesen anderen Ort gehen‹ nicht mehr aus dem Kopf. Ich war davon überzeugt, dass er nicht das Jenseits meinte, wie von den Psychologen angenommen. Dazu musst du wissen, dass Floyd Ramer kein frommer Mensch war. Er glaubte nicht, dass Gott oder ein Jenseits existierten, hielt diese Einstellung vielmehr für antiquiert und für einen modernen Menschen nicht mehr zeitgemäß. Somit war er der gleichen Meinung wie ich, dass der Tod endgültig ist. Als ob man einem Radio den Stecker zieht. Daher kam eine Jenseitssehnsucht als Grund seines Verschwindens nicht infrage. Ich war sicher, dass er tatsächlich einen realen, anderen Ort meinte, zu dem er zu gelangen hoffte – materiell, nicht spirituell.

      Daher nahm ich mit der Polizei Kontakt auf und überzeugte Inspektor Gregson davon, dass ich mir Privataufzeichnungen Ramers genauer durchsehen durfte – hinter dem Rücken des Nachlassverwalters, welcher von der Ramer-Stiftung bezahlt wurde und von Anfang an sehr abweisend und überhaupt nicht kooperativ war. Ich suchte in den Aufzeichnungen nicht nach Hinweisen auf Depressionen, wie es die Psychologen taten – womit wir wieder beim Thema des faulen Gehirns wären –, sondern nach Hinweisen auf diesen anderen Ort. Und es gab sie zuhauf. In Briefen an seinen Vater erwähnte er mehrmals das Wort ›Elderwelt‹ oder ›andere Seite der Welt‹. Er gab diesem anderen Ort verschiedene Namen. Aber noch interessanter war der Hinweis an einer Stelle, dass er gern wieder dorthin zurückkehren würde. Er erbat sich von seinem Vater die Erlaubnis, noch einmal durch den Durchgang zu gehen, bevor er studieren musste. Sein Vater verweigerte es ihm mit der Begründung, dass die Zeit noch nicht reif für ihn wäre, an jenen ›anderen Ort‹ zurückzukehren. Also war Ramer schon dort gewesen. Dieser andere Ort, diese ›Elderwelt‹, musste demnach wirklich existieren. Und der Weg dorthin führte durch einen Durchgang.

      Ich suchte lange vergeblich nach diesem Durchgang, denn leider gaben Ramers Aufzeichnungen nicht preis, wie dieser Durchgang beschaffen war oder funktionierte.«

      Tom überlegte kurz. »Also glauben Sie, dass Ramer durch einen Durchgang nach Elderwelt gereist ist und dort glücklich und zufrieden lebt?«

      Veyron zuckte mit den Schultern. »Da könnte ich nur spekulieren, und ich spekuliere nicht gern, ohne handfeste Fakten in der Hand zu halten. Ich habe jedoch keinen Zweifel, dass Ramer Elderwelt lebend und sicher erreicht hat. Viel faszinierender fand ich allerdings die anderen Teile von Ramers Aufzeichnungen. Er beschrieb Elderwelt nie, aber er zog in einer Korrespondenz einen Vergleich mit einem erfundenen Reich, das John Rashton in seinen Fantasy-Romanen beschrieben hat.

      Ramer schrieb: ›Eigentlich müsste der alte Rashton es besser gewusst haben. Seine Darstellung dieser anderen Welt ist viel zu romantisch und zu stark idealisiert. Ich frage mich, ob er sie wirklich so wahrgenommen hat, als er dort war.‹

      Von da an war ich überzeugt, auf der richtigen Spur zu sein. Also kaufte ich alles, was Rashton jemals geschrieben hatte, auch sämtliche Werke über die Werke Rashtons. Bitte hol mir doch rasch eines der Bücher, Tom.«

      Tom, inzwischen völlig im Bann von Veyrons Bericht, schnippte mit den Fingern, sprang auf und eilte hinüber ins Wohnzimmer. Es war nicht schwer, die Werke Rashtons zu finden, denn Veyron hatte alle Bücher alphabetisch geordnet. Er nahm das dickste Buch heraus, ein altes Exemplar, aus dem viele lose Seiten hingen. Zahlreiche zusätzliche Zettel steckten darin. Es war so dick, dass es jemand mit einem Ledergürtel verschnürt hatte, um alles zusammenzuhalten. Er kehrte mit seiner Beute in die Küche zurück und legte das zerfledderte Werk auf den Stapel Zeitungen.

      »Die Stein-des-Feuers-Trilogie. Teil eins: ›Die Weiße Königin‹. Teil zwei: ›Der Schatz der Zwerge‹. Teil drei: ›Krieg in Elfenland‹«, las Tom vom Einband ab. »Ich hatte mal damit angefangen, bin aber nie weiter als bis Seite 100 gekommen.«

      Veyron seufzte enttäuscht. »Dann hast du was verpasst. Die Sprache Rashtons ist wunderschön zu lesen. Ich glaube nicht, dass heute jemand in England lebt, der unsere Sprache noch so kunstvoll benutzen kann. Aber ich studierte seine Bücher nicht deswegen, sondern durchsuchte sie nach brauchbaren Daten über