Tobias Fischer

Veyron Swift und das Juwel des Feuers


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der Sache nicht voran. Wie du siehst, drängt die Zeit, wenn Leben in Gefahr sind. Ich hoffe, Willkins wird das eines Tages verstehen, und du ebenfalls. Deshalb nehme ich dich auf dieses Abenteuer mit. Ich bin davon überzeugt, dass ich mich auf dich verlassen kann, wenn’s darauf ankommt.«

      Tom glühte vor Verlegenheit und wusste gar nicht, was er jetzt sagen sollte.

      Veyron gestattete sich ein kleines, spitzbübisches Lächeln, griff in seine Manteltasche und kramte darin herum. »Hier, ein kleines Geschenk«, sagte er und hielt Tom einen weißen Briefumschlag hin. Das Kuvert zierten lediglich ein paar Worte am unteren rechten Eck. Mit kunstvollen, geschwungenen Buchstaben, per Hand geschrieben, stand dort eine Adresse.

      »Was ist das?«

      »Korrespondenz von Professor Daring.«

      »An die Weiße Königin«, las Tom vor und blickte verdutzt zu Veyron. »Haben Sie das etwa vom Tatort mitgehen lassen?«, fragte er erschrocken.

      Veyron blieb ihm die Antwort schuldig, aber die Wahrheit war ja offensichtlich. »Mach ihn auf, er ist nicht verschlossen.«

      Tom öffnete den Umschlag und holte einen sauber zusammengelegten Briefbogen heraus. Er faltete ihn auseinander und glaubte, seinen Augen nicht zu trauen. Das Papier war vollkommen leer. »Ist ja komisch. Warum steckt Daring ein leeres Blatt ins Kuvert?«, fragte er und reichte das Papier an Veyron.

      Der hielt es gegen die Scheibe und untersuchte es genau. »Sehr teures Papier, wie es in keinem normalen Büro verwendet wird. Darauf schreibt man keine Geschäftsbriefe; der Adressat muss also jemand Besonderes sein, jemand, den Daring tief verehrt hat. Allein schon die Qualität des Papiers ist Liebesbeweis genug.« Er drückte das Blatt an die Scheibe und ging mit seinen Augen ganz nah heran, kratzte mit dem Fingernagel über das Dokument. »Es wurde beschrieben. Mit Zaubertinte, würde ich spontan sagen. Ich kann feine Linien ausmachen, die wohl Buchstaben sind. Sehr wahrscheinlich eine geheime Botschaft für die Weiße Königin, wer immer das sein mag. Sicher der Deckname für Darings Geheimkontakt, eventuell Nagamoto oder jemand anderes. Wenn wir wieder zu Hause sind oder sonst irgendwo Zugang zu einem chemischen Labor haben, werden wir sie genau untersuchen und herausfinden, wie man diese Tinte wieder sichtbar macht«, sagte Veyron, faltete das Papier zusammen und reichte es zurück an Tom. »Das ist sehr wichtig, Tom. Bewahre den Brief gut auf, trage ihn immer bei dir. Sehr wahrscheinlich hängen Menschenleben davon ab, eventuell sogar noch weitaus mehr. Ich bin überzeugt, dass wir gerade dabei sind, eine riesige Verschwörung aufzudecken.«

      Tom steckte den Brief zurück in den Umschlag und verwahrte ihn sicher in der Innentasche seiner Jacke. Gerade wollte er Veyron versichern, dass niemand außer dem Tod ihm diesen Brief abnehmen könnte, als sein Patenonkel auch schon wieder das Wort ergriff.

      »Ich habe es Gregson nicht gesagt, aber ich konnte noch mehr Hinweise in der Korrespondenz des Professors finden. Sagt dir das Juwel des Feuers etwas?«

      Tom schüttelte den Kopf. »Noch nie gehört. Klingt wertvoll. Wissen Sie mehr? Natürlich wissen Sie mehr, Sie wissen immer mehr.«

      Veyron lachte kurz, lehnte sich zurück und dachte kurz nach. »Ich fürchte, ich kann mich nur auf das berufen, was Rashton dazu in seinen Büchern schrieb. Vor langer Zeit gab es in Elderwelt einmal sieben magische Juwelen. Sie wurden die Nuyenin-Steine genannt. Zwei Juwelen dienten dem Wissen und dem Leben, vier den Elementen, darunter das besagte Juwel des Feuers. Dann gab es noch einen Meisterstein, durch den die Kraft aller gebündelt werden konnte. Ihre Macht war verheerend. Armeen konnte man mit ihnen vernichten, Seen austrocknen und sogar Berge einstürzen lassen. Länder wurden verwüstet und ganze Völker ausgelöscht. Soweit die Überlieferungen vollständig sind, gab es keine schrecklichere Macht in Elderwelt«, erklärte Veyron schließlich.

      Tom schnappte nach Luft und krallte sich in den Filz der Sitzbank. »Was ist mit den Juwelen geschehen?«, fragte er aufgeregt.

      »Sie galten als verschollen – bis heute. Offenbar sind jetzt Spuren davon aufgetaucht. Zumindest war es dem Professor sehr wichtig, mehr darüber zu erfahren. Ich bin davon überzeugt, dass Flammenschwert-Joe hinter den gleichen Informationen her ist. Nach allem, was wir von diesem Schurken wissen, sollte uns der Gedanke nicht gefallen, dass er das Juwel des Feuers zuerst findet. Nein, das müssen wir auf jeden Fall verhindern.« Veyron tauchte wieder in die undurchschaubare Welt seiner Gedanken ab. Mit starren Augen blickte er aus dem Fenster und nahm seine Umwelt nicht mehr weiter wahr.

      Eine Stunde später befanden sich bereits auf dem Weg nach New York.

      3. Kapitel: Mr. Nagamoto

      New York war dieser Tage kein besonders reizvoller Ort. Die Stadt versank in Regen; überall an den Straßenrändern bildeten sich kleine Bäche, die – mal schneller, mal langsamer – in die Kanalöffnungen flossen, Folgen eines Sturmtiefs, das sich seit Tagen über der Atlantikküste austobte und einfach nicht nachlassen wollte.

      Nagamoto Tatsuya blickte nach draußen. Regen trommelte gegen die großen Aussichtsfenster seines Büros im dreizehnten Stock, und seine Stimmung glich dem Bleigrau des Himmels. Das Gewicht der Welt schien derzeit auf seinen Schultern zu lasten. Er musste sich der Versuche erwehren, das Unternehmen, für das er verantwortlich war, an Borgin & Bronx zu verlieren, ein ebenso reicher wie wegen seines Geschäftsgebarens gefürchteter Hedge Fonds. Hinzu kamen noch seine Gedanken, die unentwegt um Professor Lewis Daring kreisten. Die Sache mit dem Juwel des Feuers wollte ihm nicht mehr aus dem Kopf gehen. Am liebsten wäre er sofort nach London aufgebrochen, um die Suche dort fortzusetzen, wo er sie vor zwei Wochen abgebrochen hatte. Zuvor musste er jedoch diese Sache mit Borgin & Bronx hinter sich bringen. Die Beschäftigung mit dieser profanen Angelegenheit war ihm fast zuwider, denn im Verborgenen waren Dinge im Begriff zu geschehen, welche die ganze Welt für immer verändern würden. Die Zeit lief ihm davon! Stattdessen musste er sich mit einer Bande habgieriger Manager herumschlagen, denen jedes legale – und auch illegale – Mittel recht war, um ihre Hälse vollzustopfen.

      Die treibende Kraft hinter Borgin & Bronx war dessen Hauptanteilseigner, ein Mann mit Namen H. G. W. Morgan, den angeblich noch niemand zu Gesicht bekommen hatte. Der Mann schien ein Phantom zu sein. Schon seit einer ganzen Weile versuchte Nagamoto mehr über diesen Morgan zu erfahren, doch wohin er sich auch wandte, er stieß immer nur auf Anwälte und Notare, die im Auftrag von Mr. Morgan handelten. Zumindest die Vorstände von Borgin & Bronx schienen ihn persönlich zu kennen, aber sie hüteten sich, auch nur ein Wort über ihn zu verlieren. Es war dieser Morgan, der dem Hedge Fonds seine Unternehmensphilosophie aufgezwungen hatte.

      Borgin & Bronx kauften lukrative Unternehmen (meist mit Kapital, das sie sich für günstige Zinsen bei anderen Investmenthäusern liehen), übernahmen die Aktienmehrheit und setzten weitreichende Restrukturierungsmaßnahmen durch. Mitarbeiter wurden zu Tausenden entlassen, Standorte geschlossen. Aus dem Unternehmen wurde jeder Cent herausgequetscht, der sich irgendwie einsparen ließ. Der Gewinn wurde maximiert – bei sinkenden Ausgaben und bei durchaus kalkuliert sinkender Wirtschaftsfähigkeit. Das ging so lange (meistens drei bis fünf Jahre), bis Borgin & Bronx ihre Investition refinanziert und nebenbei Dividenden kassiert hatten. Dem Hedge Fonds ging es allein um die Rendite. Wenn alles aus einem Unternehmen rausgesaugt war, wurde es zerschlagen, und war diese »Restrukturierung« erst abgeschlossen, zogen sich Borgin & Bronx aus dem Unternehmen zurück. Die rentablen Anteile wurden gewinnbringend verkauft, während das Eigenkapital vorher aus den unrentablen Teilen abgezogen wurde. Der klägliche Rest des Unternehmens ging in die Insolvenz, zu der dann Borgin & Bronx nichts mehr beitragen mussten.

      Eine Bande von Vampiren. Die saugen einem das letzte Blut aus, dachte Nagamoto. Er war vor fünfzig Jahren in Osaka geboren und erst seit zehn Jahren in den Vereinigten Staaten tätig. Englisch sprach er noch immer mit Akzent, doch das gefiel ihm. Er bemühte sich auch gar nicht, seine Aussprache zu verbessern. Auf diese Weise wurde er von vielen Gegnern unterschätzt – was sich bisher stets zu seinem Vorteil ausgewirkt hatte. Seine stattliche Erscheinung, sein kantiges Gesicht mit den dunklen, vor Entschlossenheit leuchtenden Augen und dem schmalen Oberlippenbart ließen ihn wie einen grimmigen Samurai wirken, das wusste er. Manche behaupteten ihm