Tobias Fischer

Veyron Swift und das Juwel des Feuers


Скачать книгу

konnte nur staunen. »Sie haben alle Gespräche in der Lobby mitgehört? Wie geht das?«

      Veyron seufzte enttäuscht. »Mit sehr viel Training. Ich habe alles in dieser Lobby wahrgenommen. Du solltest ebenfalls versuchen, deine Wahrnehmung entsprechend zu konditionieren, das ist sehr hilfreich. Jetzt aber los!«, erklärte er, während er die Stufen zur Straße hinunter nahm.

      Tom folgte seinem Paten, so schnell er konnte. Sie eilten durch den noch immer strömenden Regen zu den wartenden Taxis. Tom hatte die Sorgen, dass Nagamotos Sekretärin vielleicht mit dem eigenen Auto da sein könnte, aber Veyron ließ ihn wissen, dass dieses Gebäude keine Tiefgarage besäße. Energreen versuchte, Umweltschutz zu leben. Jeder Mitarbeiter durfte nur mit öffentlichen Verkehrsmitteln zur Arbeit kommen – oder eben per Taxi.

      »Sie wird hierher kommen, vertrau mir«, meinte er bestimmend.

      Tatsächlich dauerte es keine zwei Minuten, bis die Sekretärin oben am Treppenabsatz auftauchte, einen Regenschirm aufspannte und hinunter zu den Taxis stakste. Veyron richtete es so ein, dass er es kurz vor ihr erreichte. Er tat so, als würde er sie jetzt erst bemerken.

      »Oh, sorry Ma’am«, raunte er im allerhöflichsten Tonfall, trat rasch zur Seite und öffnete ihr die Tür. Sie bedankte sich freundlich.

      »Ich nehme an, Mr. Nagamoto ist bereits wieder auf dem Weg nach London? Wir sind wegen wichtiger Nachrichten hier und hätten ihn gern getroffen«, sagte Veyron. Er versuchte dabei, so unschuldig wie möglich zu klingen.

      Die Frau schaute ihn überrascht an und hielt inne. Sie musterte zuerst Veyron und dann Tom mit sichtlicher Skepsis. »Wer sind Sie? Gehört der Junge zu Ihnen?«

      Veyron setzte ein entwaffnendes Lächeln auf. »Ich bin Veyron Swift, und das ist mein Assistent, Tom Packard. Wir sind im Auftrag von Professor Lewis Daring hier. Tom, zeig der Lady bitte den Brief des Professors.«

      Tom war angesichts dieser Schwindelei ein wenig überrascht, kramte aber in der Jackentasche, holte das Schreiben des Professors heraus und reichte es der Sekretärin. Sie blickte den Briefumschlag mit seiner ungewöhnlichen Anschrift kurz an, schien aber zufrieden und gab ihn Tom zurück, der ihn sofort wieder in der Innentasche seiner Jacke in Sicherheit brachte. Weder er noch Veyron hatten einen Schirm.

      »Ich bin Mary Watson, Mr. Nagamotos Sekretärin. Es tut mir leid, Mr. Swift, aber Sie haben ihn verpasst. Er ist vor einer Stunde zum Flughafen gefahren und zu Ihrem Professor nach London unterwegs. Er meinte, er könne nicht mehr länger warten«, erklärte sie und stieg ins Taxi.

      Veyron beugte sich zu ihr hinunter. »Ich nehme nicht an, dass Sie uns seine Telefonnummer geben können?«, fragte er.

      Mrs. Watson lächelte nur, was er sofort als unmissverständliches Nein interpretierte.

      »Wenn Sie sich beeilen, können Sie ihn vielleicht noch vor dem Abflug erwischen«, meinte sie, bevor sie die Tür schloss.

      Das Taxi fuhr los und überließ sie beide schutzlos dem Regen. Veyron blickte dem Fahrzeug noch einen Moment lang hinterher. Hinter ihm tapste Tom von einem Fuß auf den anderen. Wenn sie hier noch länger herumstanden, wäre er bald durchweicht bis auf die Haut.

      »Eine clevere Frau, so eine Sekretärin lobe ich mir. Da sie uns nicht kannte, gab sie uns nur die Auskünfte, von denen sie glaubte, sie wären ungefährlich. Allerdings hat sie mir genau die Informationen gegeben, die ich brauche. Jetzt können wir Nagamoto noch einholen«, verkündete Veyron und klatschte triumphierend in die Hände. Er winkte dem nächsten Taxi, das sofort herankam.

      Tom kletterte neben Veyron in den Fonds.

      »Kennedy Airport«, ließ sein Pate den Fahrer wissen und sank in die Sitzbank.

      Tom schaute ihn verwirrt an. »Zurück zum Flughafen? Aber wir wissen doch nicht einmal, mit welcher Linie Nagamoto nach London fliegen wird oder wann. Er könnte auch bereits im Flieger sitzen«, protestierte er.

      Veyron hob die Hand und brachte ihn zum Schweigen. Er holte sein Smartphone aus der Tasche und tippte wieder wie ein Verrückter darauf herum. »Mrs. Watson sagte, Nagamoto konnte nicht mehr auf Professor Darings Antwort warten. Also hat er es eilig. Sehr wahrscheinlich ist ihm noch nicht bekannt, dass Daring sich gar nicht mehr am Leben befindet. Er will also schnell zu ihm, am besten sofort. Natürlich könnte er bereits in einem Linienflieger sitzen, doch es gibt eine Alternative: eine schnellere Maschine, die den Überflug in nur der Hälfte der Zeit schafft. Das wäre diese hier: die SCC-1001 Supersonic, das schnellste Flugzeug der Welt. Es gibt momentan nur zwei solcher Maschinen, beide fliegen unter dem Banner von Torben-Carrisson-Airways. Die Supersonic schafft die doppelte Geschwindigkeit eines normalen Passagierflugzeugs – und das bei nur einem Drittel mehr Treibstoffverbrauch«, erklärte Veyron. Er stieß einen triumphierenden Laut aus. Tom und der Fahrer drehten sich zu ihm um und starrten ihn erschrocken an. Veyron winkte ab, und der Fahrer konzentrierte sich wieder auf die Straße. »Und siehe da! TC-Airways hat gegenwärtig eine Supersonic auf dem Kennedy!«, rief er begeistert und zeigte Tom das Bild eines schnittigen, futuristisch anmutenden Flugzeugs, wie er es nie zuvor gesehen hatte. Veyron schaltete das Bild schnell wieder weg. Konzentriert tippte er auf dem Smartphone herum. »Mal sehen, ob sie ausgebucht sind. Natürlich, hätte mich auch gewundert. Die Supersonic ist allwettertauglich und wird sogar mit den schwersten Unwettern fertig. Ah … Das ist interessant. Das Simon-Weller-Orchester.«

      Von denen hörte Tom jetzt zum allerersten Mal, und das sagte er auch. Besser, er hätte es nicht getan, denn es brachte ihm nur einen besonders enttäuschten Blick von Veyron ein.

      »Simon Weller, der Stardirigent! Ein furchtbarer Choleriker. Er macht mit seinem Orchester gerade eine Welttournee. Paganini, Vivaldi, Puccini oder Rossini. Er spielt alle italienischen Meister, manchmal zwischendrin auch Mozart oder Händel. Ich habe gerade seine Homepage aufgerufen. Jetzt rate mal, mit welcher Maschine er fliegt? Ganz recht! Mit der Supersonic. Hier steht es: ›Das schnellste Orchester der Welt. Es spielt an einem Tag auf zwei Kontinenten.‹

      Damit ist natürlich die Datumsgrenze gemeint. Nur die Supersonic ist schnell genug, um das zu ermöglichen. Wann ist der Abflug? Aha, in vier Stunden. Das dürfte reichen. Mal sehen … ein Riesen-Orchester, zweihundert Männer und Frauen, die abgefertigt werden müssen und nicht viel Zeit für Aufbruch und die Fahrt zum Airport haben. Sehr wahrscheinlich hat Weller ein Hotel in der Nähe des Flughafens gewählt. Wahrscheinlich haben seine Musiker noch nicht einmal gepackt. Jetzt pass gut auf, Tom. Sieh zu und lerne.«

      Veyron wählte eine Nummer und schaltete das Smartphone auf Lautsprecher. Tom hatte nicht die blasseste Vorstellung von dem, was sein Pate bezweckte. Er hörte, wie auf der anderen Seite der Leitung abgenommen wurde.

      »Torben-Carrisson-Airways, Reservierungsservice, was kann ich für Sie tun«, hallte ihnen die freundliche Stimme einer jungen Frau entgegen.

      Veyron holte tief Luft, und mit einem Mal lief sein Kopf knallrot an, er zitterte am ganzen Körper und keuchte schwer. Tom erschrak, fürchtete sein Pate bekäme einen Anfall. Doch in diesem Moment dröhnte Veyrons Stimme ins Telefon, lauter und voluminöser als sonst. Eigentlich war es gar nicht mehr seine Stimme, sondern die einer vollkommen fremden Person.

      »Ja, wo zum Teufel, bin ich denn jetzt gelandet? Ist hier TC-Airways? Spreche ich mit dem Vorstandsvorsitzenden? Ich verlange, sofort mit Mr. Carrisson zu sprechen!«, bellte Veyron. Die arme Frau auf der anderen Seite musste förmlich zu Tode erschrocken sein, so still, wie sie einen langen Moment war.

      »Tut mir leid, Sir. Mit wem habe ich die Ehre?«

      »Was? Sie kennen mich nicht? Ich bin es: Simon Weller! Ich kann nicht glauben, dass Sie noch nie von mir gehört haben!«

      »Oh, Mr. Weller. Natürlich, Sir. Ist etwas nicht in Ordnung? Kann ich irgendetwas für Sie tun?«

      »Krank bin ich, das ist nicht Ordnung! Ich bin krank, Grippe oder irgendwas Schlechtes im Essen. Ich werde den Koch verklagen, das ist los! Ich kann heute unmöglich fliegen. Auf keinen Fall! So kann ich unmöglich in London auftreten. Sie müssen Ihr Flugzeug am Boden halten, bis ich wieder auf