Tobias Fischer

Veyron Swift und das Juwel des Feuers


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klingt schlimmer als jeder Bonze, mit dem wir es bisher zu tun hatten.«

      »Bei fünfunddreißig Millionen Dollar pro Nase hört man auf, Fragen zu stellen«, gab Alec lapidar zurück.

      Tamara schien das zu verärgern. »Was ist mit unserer Sache, Alec? Sind wir also nun ebenfalls käuflich? Kann uns jetzt jeder Wahnsinnige für jeden beliebigen Anschlag buchen?«

      Alec wirbelte zu ihr herum, packte sie an den Schultern. »Du verstehst es einfach nicht! Geld bedeutet Macht und Einfluss! Genau das ist es, was wir brauchen, wenn wir irgendwann Erfolg haben wollen. Dieser andauernde Kampf gegen Windmühlen muss aufhören. Wir müssen endlich etwas bewirken«, fauchte er.

      Tamara wand sich nicht aus dem harten Griff, sondern erwiderte seinen Blick kalt. »Also verraten wir jetzt doch noch unsere Ideale. Du hast aufgegeben«, meinte sie mit Abscheu in der Stimme.

      Alec ließ sie los. »Ich habe nicht aufgegeben! Wir befinden uns im Krieg mit Leuten, die uns himmelhoch überlegen sind. Wenn wir ihnen auf Augenhöhe begegnen wollen, müssen wir uns einige ihrer Methoden aneignen. Sieh es einfach als ein notwendiges Übel«, erwiderte er und ging weiter.

      Tamara folgte ihm verärgert. Das war nicht der erste Disput zwischen ihnen, und es würde auch nicht der letzte sein. Er verriet ihr besser nicht, dass er bereits eine Villa im Hochland Boliviens gekauft hatte, ebenso einen neuen Ferrari. Alec liebte schnelle Autos. Wenn diese kleine Ironie der Preis für den Kampf gegen den Kapitalismus sein sollte … nun, so war es ein verdammt angenehmer Preis.

      »Ruf jetzt die anderen. Sorg dafür, dass jeder auf seinem Posten ist und seine Aufgaben kennt. Said, du gehst als Erster in den Terminal und sondierst die Lage. Sorg dafür, dass sich alle zerstreuen und erst beim Einchecken zusammenfinden. Wir dürfen keine Aufmerksamkeit erregen. Noch werden wir von der Polizei weitgehend ignoriert. Aber das wird sich ändern, sobald wir einmal an die Öffentlichkeit gegangen sind«, befahl Alec.

      Said gab ein zustimmendes Brummen von sich. Als sie das übernächste geparkte Auto passiert hatten, bog er in eine andere Richtung ab. Alec drehte sich zu Tamara um, die immer noch hinter ihm hermarschierte, die Fäuste tief in die Hosentaschen gestopft. »Zieh dich um und mach dich hübsch. Wir haben unsere Rollen zu spielen, bis wir an Bord sind. Wir wollen das schnellste Flugzeug der Welt entführen, und das machen wir mit Stil.«

      Er lachte laut und ging weiter.

      Tamara war dagegen gar nicht zum Scherzen zumute. Sie plagte das ungute Gefühl, dass dieser Höhepunkt der Karriere des Roten Sommers zugleich sein Schwanengesang würde. Wir werden alle sterben, und keine Menschenseele wird es kümmern. Ganz im Gegenteil: Eine Menge Leute werden heilfroh sein, dachte sie mit einiger Verbitterung. Sie fand es seltsam, dass sie sich plötzlich derartige Gedanken machte. Zweifel waren seit jeher ihre Weggefährten, doch jetzt kam etwas Neues hinzu: Kummer und Bedauern. Aber sie empfand Alec gegenüber eine zu große Loyalität, um zu kneifen. Sie ging dorthin, wo er hinging, selbst wenn es den Tod bedeutete.

      Tom Packard stand am Aussichtsfenster des Terminals und blickte hinaus auf das Rollfeld. Dort stand sie, die SCC-1001 Supersonic, das schnellste Flugzeug der Welt – und nach Toms Auffassung zugleich auch das schönste.

      Der Rumpf glich einer neunzig Meter langen und vier Meter dicken Rakete. Die Maschine besaß einen riesigen Delta-Flügel, der knapp hinter dem Cockpit ansetzte und sich allmählich zum Heck hin mit einem Schwung verbreiterte. An der Unterseite des Flügels waren die vier Triebwerke eingebaut. Auf spezielle Weise angepasst, wirkten sie, wie organisch gewachsen. Die ganze Maschine war in Perlmuttweiß lackiert, nur der riesige Heckflügel in Dunkelblau, wo das goldene Emblem von Torben-Carrisson-Airways prangte.

      Tom sah zu, wie das Personal die Tankschläuche abkoppelte. Kleine Zugfahrzeuge manövrierten das riesige Flugzeug an die Fluggastbrücke heran.

      Ich kann mich nicht beklagen, dachte er. Ich habe zwei Leichen gesehen, bin in die USA gereist, habe Veyron Swift in Aktion erlebt und durfte zum Schluss noch mit dem schnellsten und schönsten Flugzeug der Welt fliegen. Das ist ein wirkliches Abenteuer; auch wenn ich mit meinem Paten immer noch nicht so richtig warm werde. Ich bin mir nicht sicher, ob er mich leiden kann, oder ob er überhaupt Gefühle besitzt.

      Er ging zurück in den Wartebereich des Flugsteigs, wo die Passagiere saßen und darauf warteten, einsteigen zu dürfen. Es waren gerade einmal einhundert Personen, nicht besonders viel. Immerhin konnte die Supersonic laut Angaben 308 Passagiere transportieren. Dass der Wartebereich nicht von Menschen überquoll, schien alle zu überraschen, am allermeisten die TC-Airways-Mitarbeiter. Draußen in der Empfangshalle standen 200 Orchestermitglieder, die sich über die Stornierung ihrer Tickets wunderten. Ein tobender Simon Weller, der hartnäckig bestritt, die Tickets storniert und umgebucht zu haben, versuchte vergeblich, telefonisch zum Vorstandsvorsitzenden von TC-Airways durchzukommen. Noch ahnte niemand, was Veyron Swift vor ein paar Stunden angerichtet hatte.

      Tom setzte sich zu seinem Patenonkel, der in aller Seelenruhe eine Zeitung las. »Nicht viel los«, bemerkte Tom spitz.

      Über Veyrons dünne Lippen zuckte ein flüchtiges Lächeln. »Rechts von dir, zwei Reihen weiter vorn«, sagte er, ohne von der Zeitung aufzublicken.

      Tom schaute in die entsprechende Richtung. Er fand sieben junge Männer, deren Alter er nicht genau einschätzen konnte. Alle lümmelten mehr oder weniger teilnahmslos in ihren Sitzen, die Gesichter leichenblass, die Augen trüb. Einem troff sogar deutlich sichtbar Speichel aus dem Mund. Sie trugen schlampige Kleidung, falsch geknöpfte Hemden, abgetragene Jacken und total unterschiedliche Socken und Schuhpaare, die nicht zusammenpassten. »Was sind das für Kerle? Vampire vielleicht?«

      »Am helllichten Tag? Gebrauche deinen Verstand, Tom! Nein, die Kerle gehören zu einer Punkrockband mit dem drolligen Namen Fiz-Fish-Ass. Sie kamen vor fünf Minuten von der Toilette, wo sie sich mit irgendeinem Zeug vollgedröhnt haben müssen. Zuvor waren sie aufgekratzt und laut, jetzt sind sie wie ausgewechselt. Ich frage mich, wie sie die Drogen bis hierher schmuggeln konnten? Wo hatten sie die versteckt? Sie haben kein Handgepäck, und die Drogenhunde bei der Eingangskontrolle haben nicht angeschlagen. Sehr wahrscheinlich ist es ein vollkommen neuer Stoff«, schlussfolgerte Veyron.

      Tom schmunzelte. »Ich dachte, Sie interessieren sich nicht für Kriminalistik?«

      Veyron blätterte die Zeitung um. »Nein, aber für Drogen und ihre Auswirkungen auf den menschlichen Verstand. Arme Teufel, diese sieben. John Fizzler und Ira Fisher, die beiden Bandgründer, der eine Leadsänger, der andere Gitarrist. Beide noch keine dreißig, und schon mit eineinhalb Beinen im Grab. Furchtbare Musiker, die nur Misstöne hervorbringen. Zurzeit jedoch recht populär; weil sie anders sind als der ganze Industrie-Pop, der in den Radiostationen rauf und runter gespielt wird. Jetzt sieh nach hinten, die letzte Reihe ganz außen, weit weg von den anderen Passagieren.«

      Tom drehte sich um und versuchte, ganz beiläufig zu gucken. Dort saßen eine junge Frau und ein junger Mann nebeneinander. Nun, nicht direkt. Ein kleiner Aktenkoffer stand zwischen ihnen. Der Mann arbeitete pausenlos auf einem kleinen Notebook, die Frau zog gerade ihren Lippenstift nach. Sie war eine Schönheit, langes blondes Haar und ein Körper, dessen Anblick Verzückung auslöste. Tom starrte sie an, er konnte gar nicht anders. Sie entdeckte ihn, erwiderte seinen Blick mit einem kurzen, geschäftlichen Lächeln. Verlegen wandte sich Tom in eine andere Richtung. »Wer ist sie? Sie könnte ein Model sein, so wie sie aussieht«, flüsterte er ehrfurchtsvoll.

      Veyron schmunzelte. »Unwahrscheinlich. Sieh dir ihre Kleidung an: strenge Linien, teurer Stoff, und ständig der Blick auf die Uhr. Sie ist ungeduldig, muss wahrscheinlich Termine wahrnehmen. Schau, wie fest sie ihr Telefon in der Hand hält, ein sehr teures Modell aus echtem Silber. Pass auf! Da, schon wieder! Ein neues SMS-Signal. Sie erhält laufend Nachrichten, sicherlich nicht von einem Verehrer oder einer Freundin, dafür interessieren sie die Nachrichten viel zu wenig. Neben ihr sitzt ihr Assistent, der Mann mit der Brille und dem krummen Rücken. Er arbeitet am Notebook, sie gibt ihm Anweisungen. Sie ist Geschäftsfrau, Bankerin sehr wahrscheinlich. Sie fliegt ansonsten mit dem Privatjet. Darum fühlt sie sich hier unwohl, das siehst du an der Art, wie sie sich umsieht und wie nervös sie auf ihrem Platz