Tobias Fischer

Veyron Swift und das Juwel des Feuers


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Ein Grund mehr, ihn zu feuern, dachte Jessica wütend.

      »Ihr setzt euch hin, und zwar sofort«, donnerte da eine tiefe, männliche Stimme durch die Kabine.

      Das hustende Lachen Fizzlers erstarb ebenso wie das Grölen seiner bekifften Kumpels. Nagamoto Tatsuya stand mitten im Raum. Seine Blicke schienen Blitze zu verschießen. Fizzler wandte sich ihm zu, wollte etwas sagen, doch Nagamoto hob die Hand und brachte ihn augenblicklich zum Schweigen. »Hinsetzen!«, befahl er.

      Auf einmal ging eine Veränderung in Fizzler vor. Er begann zu zittern wie Espenlaub, und seine Stimme nahm einen weinerlichen Tonfall an. »Klar, sofort, sofort. War nicht so gemeint. Wir wollten doch nur ein bisschen Spaß haben«, entschuldigte er sich und hastete zurück zu seinem Sessel. Auch die anderen Mitglieder von Fiz-Fish-Ass setzen sich, brav wie Schuljungen. Jessica war echt beeindruckt. Nagamoto kam zu ihr.

      »Ist mit Ihnen alles in Ordnung?«, fragte er, die Stimme jetzt ruhig und freundlich.

      »Danke, alles bestens. Fizzler war keine Bedrohung für mich«, erwiderte sie.

      Nagamoto sah sie aus ernsten Augen eindringlich an. Er nickte nur. »Das heute Morgen war nichts Persönliches, Miss Reed. Ich vertrete nur die Interessen meiner Firma, so wie Sie zweifellos die Interessen Ihres Unternehmens«, sagte er.

      Jessica lächelte, jedoch nicht aus Freundlichkeit, sondern aus einem plötzlichen Triumphgefühl heraus. Sie hatte seinen Schwachpunkt gefunden! Nagamoto, dieser edle Samurai in Hemd und Krawatte, besaß einen Beschützerinstinkt. Das war seine Schwäche, das war es, wie Jessica ihn umgänglicher machen konnte. Sie musste die Hilflos-Karte ausspielen. Nagamoto würde sich innerlich dazu verpflichtet fühlen, sie vor Schaden zu bewahren. Es war ein Zwang, er würde nicht anders können. Vielleicht konnte sie es sogar noch während des Fluges schaffen, ihn rumzukriegen.

      »Ja, das tun doch alle, nicht wahr? Eigentlich verstehe ich Sie sehr gut, und vermutlich würde ich an Ihrer Stelle genauso handeln. Aber was soll ich tun? Ich wünschte, es wäre alles anders«, säuselte sie im allerfreundschaftlichsten Ton, den sie in ihrem Repertoire hatte. Sie konnte förmlich zusehen, wie Nagamotos harte Schale aufknackte.

      Doch plötzlich verschloss sich sein Gesicht, das bisher freundlich gelächelt hatte, wieder. »Bleiben Sie ehrlich, das steht Ihnen besser«, brummte er und kehrte zu seinem Sessel zurück.

      Jessica schloss verärgert die Augen. Konnte dieser Mann Gedanken lesen? Hatte sie irgendeinen Fehler gemacht? War sie vielleicht zu schnell vorgegangen? Sie lehnte sich aus dem Sitz und blickte zu Harry, der direkt hinter ihr saß. Ihr Assistent schob gerade seine Brille wieder auf die Nase und machte eine Geste mit seinen Händen. Immer mit der Ruhe, signalisierte er.

      Sie lehnte sich wieder in den Sessel zurück. Sie war zu schnell gewesen, zu drängend, jetzt war sie sich sicher. Harry mochte zwar in fast allen Dingen ein Schlappschwanz sein, aber er besaß ein unheimliches Gespür für Menschen, darauf konnte sie sich verlassen. Also ruhiger, weniger geschäftstüchtig erscheinen. Sie würde ein paar Minuten vergehen lassen, anschließend zu Nagamoto gehen, sich entschuldigen, ihm für sein Eingreifen danken und abwarten, wie er darauf reagierte. Sie würde ihn knacken, noch bevor sie in Heathrow landeten.

      »Das ist voll langweilig, man spürt ja gar nichts«, maulte Tom beim Blick auf die Geschwindigkeitsanzeige, die auf allen Monitoren leuchtete. Mach 1,8. Schneller als der Schall, und doch gab es keinerlei merkbaren Unterschied zum letzten Flug, als sie nur halb so schnell unterwegs gewesen waren.

      Veyron interessierte sich natürlich nicht dafür, er hatte die Augen geschlossen, die Fingerspitzen aneinander gepresst und die Beine ausgestreckt. Tom war nicht sicher, ob sein Pate schlief oder nur meditierte. Ehrlich gesagt wurde er aus Veyron einfach nicht schlau. Auf der einen Seite war er furchtbar großzügig und erlaubte fast alles. Himmel, er hatte Tom zu einem Tatort mitgenommen und war mit ihm nach New York geflogen – gegen den Willen der Polizei! Auf der anderen Seite zeigte er sich jedoch so gehässig und gefühlskalt, wie man es nur sein konnte. Viele Freunde kann er nicht haben, dachte Tom, aber das geschieht ihm auch ganz recht, weil er immer so furchtbar angeben muss.

      Plötzlich kann Unruhe im Flugzeug auf.

      »Aus dem Weg, aus dem Weg! Ich muss auf die Toilette!«, ertönten laute Rufe aus dem hinteren Teil der Supersonic.

      Einige Passagiere hoben die Köpfe, und auch Tom warf einen Blick über die Schulter. Ein riesiger Mann, ein wahrer Koloss aus Fleisch und Muskeln, schob sich durch die engen Sitzreihen nach vorne. Er stieß eine Flugbegleiterin grob zur Seite, als sie ihm ihre Hilfe anbot. Einige der Passagiere hießen ihn lautstark einen Idioten (da musste Tom ihnen recht geben), andere kicherten nur. Warum geht er denn nicht nach hinten? Da sind doch die Klos. Der Idiot rennt in die falsche Richtung, dachte Tom amüsiert, als der Riese eilte an seinem Sitzplatz vorüber kam.

      Eine Reihe vor ihnen sprang plötzlich ein weiterer Mann auf. »Oh mein Gott! Meinem Kumpel ist schlecht! Er muss dringend auf die Toilette!«, rief er und folgte dem Riesen nach vorne.

      Tom konnte nur staunen. Er wandte sich an Veyron, der tief durchatmete. »Genau wie befürchtet. Ich dachte schon beinahe, ich hätte mich geirrt, als so lange nichts passierte. Die Informationen ließen eigentlich keinen anderen Schluss zu«, seufzte er.

      Tom sah ihn verwundert an. »Vielleicht erklären Sie’s auch einem Normalsterblichen?«

      Veyron seufzte wieder. »Sind dir nicht die ganzen nervösen Leute aufgefallen, verteilt über die ganze Kabine? Alle zeigten recht ähnliche Verhaltensmuster: ein krampfhaftes Bemühen, nicht aufzufallen. Aber das hat sie letztlich verraten. Weiter hinten ist einer alten Lady ein Becher zu Boden gefallen, und alle in ihrer Nähe haben sich gebückt oder wenigstens hingesehen, bis auf unsere Verdächtigen. Sieh gut zu, mein lieber Tom: Unser Flugzeug wird gerade entführt.«

      Tom spähte ungläubig nach vorne. Die beiden Männer drangen brüllend in die First Class ein. Ihnen folgten in geringem Abstand Toms Objekt Nr. 1 und ihr muskulöser Freund. Es war ein beinahe bizarres Schauspiel: Aus dem hinteren Teil des Flugzeugs kamen nun noch mehr Männer und Frauen angelaufen, alle mit wilden, entschlossenen Mienen. Das war wirklich kein Spaß. Um diese Tatsache zu unterstreichen, schlug der Riese mit einer seiner Pranken eine junge Flugbegleiterin nieder, deren Namensschild Tom vorhin direkt vor der Nase gehabt hatte, als sie ihm eine Cola serviert hatte: Mariah Kirkland. Blut spritzte aus ihrer Nase, während sie mit einem Keuchen zu Boden ging. Tom sprang auf, bereit, irgendetwas zu unternehmen. Das Herz schlug ihm bis zum Hals. Auch einige der anderen Passagiere waren aufgestanden, sahen sich ratlos um, andere stellten dumme Fragen. Doch niemand konnte sich zum Eingreifen bewegen, alle schauten nur tatenlos zu, wie es geschah. Veyron packte Tom und zog ihn zurück in den Sitz.

      »Wir müssen was unternehmen!«, protestierte er, doch Veyron schüttelte den Kopf.

      »Aussichtslos, jetzt etwas zu unternehmen. Es sind ganze zehn Mann. In dieser Phase der Entführung könnten wir sehr schnell erschossen werden. Deshalb müssen wir es geschehen lassen und beobachten. Entweder ist das Teil von Flammenschwerts Plan, oder aber er wird selbst etwas unternehmen müssen. In diesem Fall sind diese Entführer sicher nicht zu beneiden. Also ruhig bleiben, alles genau beobachten und im Stillen Pläne schmieden«, erklärte er so gelassen, als sähe er einen Krimi im Fernsehen und wäre gar nicht mittendrin im Geschehen.

      Kurz darauf kehrten die Entführer aus der First Class zurück. »Alles sitzen bleiben! Keiner rührt sich! Keiner rührt sich!«

      Einige von ihnen trugen Schnellfeuergewehre, andere nur Pistolen, aber alle hatten kugelsichere Weste angelegt. Die Passagiere wurden kleinlaut, nur hier und da gab es einen panischen Ausruf, den die Entführer mit gebellten Befehlen zum Verstummen brachten.

      »Werden wir gerade entführt? Wir werden doch nicht gerade wirklich entführt! Das darf doch nicht wahr sein!«, hörte Tom Dimitri aufgebracht rufen. Schnell steckte der junge Blogger sein Tablet in die Tasche, als wäre es ein Schatz, den es zu behüten galt.

      »Wo haben die nur die Waffen her? Es gibt doch überall Kontrollen«, jammerte Tom leise, die Ausweglosigkeit der Situation allmählich begreifend.