Tobias Fischer

Veyron Swift und das Juwel des Feuers


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kannst. Es ist mir aber auch heute noch eine Quelle bei Nachforschungen über fremde Wesen aus Elderwelt.«

      Tom setzte sich wieder hin und konnte sich einer gewissen Ehrfurcht gegenüber diesem alten, zerfledderten Wälzer nicht erwehren. »Okay, Rashton war Ihr Wegweiser, aber Sie hatten ja immer noch keine Beweise für die Existenz Elderwelts oder einen Hinweis darauf, wie man dorthin gelangen kann«, sagte er.

      Veyron nickte eifrig. Er nahm einen hastigen Schluck Kaffee, bevor er weitersprach. »Mir blieb keine andere Wahl, als meine Theorien praktisch zu überprüfen. Rashton war leider das Ende der Informationskette. Allein Ramers Bemerkungen haben mich auf diese Spur geführt, welche die Werke jedes anderen Fantasy-Autors ausschloss. Allein mit Büchern kam ich nicht weiter. Also annoncierte ich auf meiner Website, bot meine Dienste als Berater für Geisterheimsuchungen und andere unerklärliche Fälle an. Lange Zeit passierte gar nichts, doch schließlich kamen meine ersten Klienten. Ich hörte mir ihre Geschichten an und glich die gewonnenen Informationen auf Übereinstimmungen mit Rashtons Werken ab. Du musst wissen, dass Rashton Orte und Wesen sehr detailliert beschrieben hat. Sogar Stammbäume von Herrscherlinien, Landkarten und kulturhistorische Essays über die in seinen Romanen vorkommenden Geschöpfe verfasste er.

      Neunzig Prozent meiner Klienten schickte ich wieder nach Hause. Ihre Geschichten waren nichts weiter als Einbildungen und Spinnereien. Denen konnte ich nicht helfen, das konnten nur Therapeuten. Lediglich ein einziger Fall erwies sich als interessant: Mr. Pete Tweed, der Inhaber eines Schrottplatzes, beklagte sich, dass er seit gut einer Woche von Kobolden heimgesucht würde. Sie klauten alle funktionstüchtigen Apparate und richteten dabei ein heilloses Chaos an. Tweeds Beschreibung der Kobolde deckte sich mit denen Rashtons. Sogar das Verhalten und die Beschreibung der Kobold-Sprache waren mit der Rashtons identisch.

      Also legte ich mich auf die Lauer, genau darauf achtend, von den sensiblen Kobold-Sinnen nicht aufgespürt zu werden. Sie können im Dunkeln hervorragend sehen, noch besser riechen und auch ausgezeichnet hören. Die ersten Versuche erwiesen sich als Fehlschläge. Sie hatten mich offenbar ausgemacht und die Flucht ergriffen. Doch ich wurde vorsichtiger. Schließlich war ich imstande, die Kerle mit eigenen Augen zu beobachten.

      Kobolde zählen zur Familie der Schrate, allesamt boshafte, menschenartige Kreaturen, denen auch die Orks angehören. Sie sind kurz gewachsen, krummbeinig, mit hässlichen Gesichtern und fahlen Augen. Als ich sie einmal gestellt hatte, konnte ich allerdings gegen diese Geschöpfe nicht viel ausrichten. Ich musste tatenlos zusehen, wie sie eine Menge Schrott zusammenrafften und spurlos mit ihrer Beute verschwanden – vermutlich zurück zu einem geheimen Durchgang nach Elderwelt, jenem Ort, den Rashton einst mit so schönen Worten beschrieben hat und zu dem Floyd Ramer gegangen war.

      Dieses Erlebnis ließ mich weitere Spuren ungewöhnlicher Wesen suchen. Ich stieß vor drei Jahren auf die Vampire von Surrey, drei Brüder, die einige abscheuliche Morde begangen haben. Inspektor Gregson hielt mich für einen Verrückten, als ich ihm meine Theorie vortrug, genau wie Willkins und die anderen vom Revier. Inzwischen tun sie das nicht mehr. Wahrscheinlich wegen der Vampire und ihres unschönen Abgangs im Sonnenlicht. Hmm. Vielleicht doch eher wegen des Trolls, den ich vor zwei Jahren aufspürte? Er hatte die Nachbarschaft von Woking terrorisiert und dort mit Vorliebe Bäume ausgerissen und Scheiben eingeschlagen, ganz zu schweigen von den drei Opfern, die er aufgefressen hat. Oder wegen der Kobolde, die in Notting Hill Autos anzündeten – wahrscheinlich dieselbe Bande, die schon Tweeds Schrottplatz geplündert hatte. Dieses Abenteuer endete in einer üblen Schießerei, es floss eine Menge Koboldblut. Es ist übrigens schwarz, falls dich mal jemand danach fragen sollte.«

      Tom starrte Veyron an. Er suchte nach einem Anzeichen, dass er erneut veralbert wurde, oder dass Veyron irgendwie anderweitig verrückt war. Jane hatte gestern Nacht jedoch nicht gelacht, ebenso wenig Dr. Strangley. Einen dermaßen Verrückten würde die Polizei sicherlich nicht frei herumlaufen lassen. Also blieb nur ein einziger Schluss übrig: Alles, was Veyron Swift gesagt hatte, musste die Wahrheit sein. Toms Aufregung kehrte zurück. Für einen Moment suchte er nach den richtigen Worten. »Wow. Cool«, war alles, was er herausbrachte.

      Das rang Veyron ein Lächeln ab. »Ja, das war damals auch meine erste Reaktion«, meinte er. Sein Lächeln wurde noch breiter, nicht wegen der Anerkennung, die er von Tom erfuhr, sondern wegen der Textnachricht, die soeben auf seinem Smartphone erschien. Ich hab was Interessantes für Sie. Dury Manor, Library Street, Brentford. Gregson.

      Er zeigte die Nachricht Tom, der vor Aufregung die Tischkante umkrallte. Etwas Tee schwappte über den Tassenrand, weil er dabei die Tischdecke verzog.

      »Bist du also für ein weiteres Abenteuer bereit, Tom?«, fragte Veyron.

      Tom sprang sofort vom Stuhl, so heftig, dass Teller und Tassen beinahe fliegen lernten. »Jederzeit, Sir!«

      Sie riefen ein Taxi, ein klassisches Black Cab, da Veyron kein Auto besaß, und im Nu befanden sie sich auf dem Weg nach Brentford. Ihr Ziel war ein großes Anwesen mit einem sehr üppigen, gepflegten Garten voller uralter Bäume. Mittendrin stand Dury Manor, ein sakral anmutendes Gutsherrenhaus aus rotem Backstein, alt und verwittert.

      Am Eingang wurden sie von Jane empfangen, die sie sofort hineinführte. Das Innere des Hauses war auf sehr altmodische Weise eingerichtet, aber Tom fand es dennoch recht gemütlich. Überall große Plüschmöbel und Ohrensessel, orientalische Teppichböden und Holz getäfelte Wände. Von den Decken hingen eiserne Kronleuchter. Nirgendwo ein Schimmer der Moderne. Wer auch immer hier wohnte, er mochte die heutige Welt nicht und schwelgte in der Vergangenheit des frühen 20. Jahrhunderts, als England noch ein Empire war. An den Wänden hingen Gemälde verschiedener – wahrscheinlich bedeutender – Personen, die Tom jedoch alle nicht kannte.

      Veyron ging voraus, führte Tom durch die Absperrungen der Polizei, und sie gelangten zu Gregson, der im Wohnzimmer schon auf sie wartete. Der Inspektor, der sein silbergraues Haar in militärisch strenger Bürstenfrisur trug, kaute auf einem Kugelschreiber herum, während seine wachen Augen den Tatort abtasteten.

      »Ah, Gregson, der beste Mann vom CID. Was haben Sie für mich?«, fragte Veyron mit einer Selbstverständlichkeit, als würde er die Ermittlungen leiten und nicht der Inspektor.

      »Sieht nach Mord aus. Kommen Sie rein, Veyron. Der arme Kerl liegt noch im Arbeitszimmer«, erwiderte Gregson.

      Sie verließen das Wohnzimmer durch eine Seitentür und betraten das Arbeitszimmer, das in Toms Augen wie ein zweites Wohnzimmer aussah (auch hier wieder bequeme Plüschmöbel), nur dass zusätzlich noch ein kleiner Schreibtisch in der Mitte des Raumes stand. Dahinter lag ein älterer Mann zusammengekrümmt auf dem Boden. Das gutmütige, runde Gesicht des Toten, das von schneeweißem Haar umrahmt wurde, machte Tom betroffen. Er wirkte, als sei er nett gewesen, etwa so, wie er sich immer seinen Großvater vorgestellt hatte. Der wohlgenährte Leib des Mannes steckte in einem altmodischen Tweed-Anzug. Eine weinrote Weste spannte sich über einem weißen Hemd. Seine Gesichtszüge waren nicht schmerzverzerrt, sondern wirkten auf seltsame Art und Weise friedlich. Nichts hätte auf einen Mord hingedeutet, befände sich nicht auf Höhe seines Herzens ein faustgroßer, pechschwarzer Fleck.

      »Professor Lewis Daring, 83 Jahre alt, ehemaliger Oxfordprofessor. Von vorne erstochen. Die Klinge ging durch die Brust, mitten durch sein Herz, und hinten wieder raus. Jane …« Gregson drehte sich zu der Polizistin um. Jetzt erst entdeckte er Tom, der wie gebannt vor der Leiche stand. Veyron hatte sich inzwischen gebückt und untersuchte den Toten von allen Seiten. Gregson schüttelte verärgert den Kopf. »Veyron, das geht zu weit! Sie können keine Kinder an einen Tatort mitnehmen! Warum besorgen Sie ihm keinen Ferienjob? Was macht er hier überhaupt?«, schimpfte er.

      Tom biss sich auf die Lippe. Am liebsten hätte er sich irgendwo versteckt.

      »Er hat einen Ferienjob, und zwar bei mir. Tom ist mein Assistent, und soeben assistiert er mir«, antwortete Veyron im beiläufigen Tonfall.

      Gregson stellte das jedoch nicht zufrieden. »Bei Ihnen? Sie haben gar keinen echten Beruf, Sie werden nicht einmal bezahlt!«, konterte er zornig.

      Veyron schenkte ihm einen genervten Blick. »Ich bin finanziell unabhängig, für Tom ist gesorgt, das wissen Sie genau. Was soll diese Zeitverschwendung?