Heinrich Jordis-Lohausen

Wir denken an....


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ihrer in sich ruhenden Nähe gegenüberstellte. Wangen und Schultern ihrer jugendlichen Gestalt umspielt das silbrige Licht einer sich in unmessbare Fernen verlierenden Landschaft. Sie dreht ihr den Rücken, als wollte sie sagen: „Ich bin viel einfacher, als ihr denkt. Ich bin in dieser unbegrenzt wirkenden Welt das Begrenzte. Aber merkwürdig: eben jenes Begrenzte vermögt ihr niemals zu fassen!“.

      Erscheint das Lächeln der Mona Lisa nach außen gewandt mit einem leichten Anflug von Spott und einer versteckten Erwartung von Lust – sie heißt nicht umsonst „la Gioconda“, die Frohgemute – so wandelt es sich in späteren Frauenzeichnungen dos Leonardos – etwa der heiligen Anna des sogenannten Londoner Kartons – in den Ausdruck einer so reinen und nach innen gekehrten Glückseligkeit, wie ihn Raffael an keiner seiner berühmten Madonnen jemals erreicht oder auch nur angestrebt hat.

      Vor ihnen – und der mütterlichen Sanftheit ihrer Urbilder – begriff Leonardo, dass ihm, dem ruhelosen forschenden Mann, der einfache einfältige Weg, allein durch Güte und Glauben selig zu werden, verwehrt war. Er sah und wusste, dass hier die unübersteigbare Grenze lag, zwischen einem Lohn, der erkämpft werden musst und einer Begnadung die zufiel. Raffael ahnte sie gar nicht.

      Obgleich selbst Schöpfer der ausgeprägtesten Bildnisse, welche die italienische Renaissance hervorzubringen vermochte, hat Leonardo in seiner Abhandlung über die Malerei mit Nachdruck jene Künstler verspottet, „die nichts als immer nur Menschengesichter malen konnten“. „Seht ihr denn nicht“, so schreibt er, „wie vielerlei Tiere, Bäume, Sträucher, Blumen, Quellen, Flüsse, Landschaften es gibt?“.

      Ihm, der jedes Blatt und jeden Halm mit mikroskopischer Genauigkeit nachzeichnete, waren alle gleich nah, wie sie der Ewigkeit gleich nah sind – Pflanze, Tier und Mensch. So hat er – ein Franziskus unter den Künstlern des Abendlandes – als Erster mit dem althergebrachten Vorurteil von der unumschränkt bevorrechteten Stellung des Menschen unter den Ebenbildern des Ewigen gebrochen.

      Sein Altersbild – ein Selbstporträt – zeigt uns in der haarscharfen Zeichnung aller wesentlichen Einzelheiten und in einer fast chinesisch anmutenden Kunst des Weglassens aller unwesentlichen, den Kopf eines Weisen, der in rastloser Erforschung der Besonderheiten aller Geschöpfe den einzigen ihm wesensgemäßen Weg sah, ihrem Schöpfer zu dienen.

      „Die große Liebe“ – so schrieb er –„entsteht allein aus der Erkenntnis der Dinge“.

      Raffael Santi

      Er kam in jenem glücklichen Jahrhundert zur Welt, da sich die Sonne noch um die Erde bewegte, das Himmelreich noch knapp und fast greifbar nahe über den Köpfen der Menschen schwebte, und Italien noch Mittelpunkt der Welt war.

      Heute beinahe vergessen – damals unter dem kunstsinnigen Grafen von Montefel-tro einer der glänzendsten Höfe und dichterischer Schauplatz des „Cortegiano“ von Castiglione, des meistgelesenen Buches seiner Zeit – lag Urbino, von Wäldern umgeben, an einem der vielen Wege, die von Norden her nach dem ewigen Rom führen.

      Dort, im Schatten dieses Hofes wurde Raffael Santi am Karfreitag des Jahres 1483 geboren. Sein Vater war als Goldschmied, Maler, selbst als Dichter bekannt. Von seiner Mutter wissen wir, dass sie als Mädchen den Namen Magia Ciarla geführt hat. Beide Eltern starben früh und mit elf Jahren stand Raffael allein und verwaist in der Welt.

      Mit 16 kam er nach Perugia, in die Werkstätte des Perugino. Da entstand auch sein bekanntestes Jugendwerk, „Lo sposalizio“, die Vermählung Marias. Äußerlich ganz im Stil der umbrischen Schule, zeigt es in hundert feinen Merkmalen doch seinen „künftigen“ Weg.

      Alles an diesem Bild ist schon irgendwie Raffael und vieles schon nicht mehr Perugino: die blumenhafte Anmut der Farben und Maße, das beseelte Spiel der Hände, der auffallend weiträumige, zu etwas Grenzenlosem wegstrebende Hintergrund.

      Der Eindruck wird bei längerem Hinsehen so stark, dass alles Vordergründige wie im Zeitlosen spielend erscheint und der rückwärts aufragende Tempel wie hingestellt, um durch ein Tor und zwischen hochragenden Säulen nach unsagbaren Ewigkeiten zu blicken.

      Es hieße zu viel behaupten, wollte man sagen, dass Raffael diese Wirkung beabsichtigt hat. Wenn irgendeine Kunst im tiefsten Sinn absichtslos ist, dann seine, und wenn eine gerade darum bedeutungsvoll ist, dann wiederum seine. Denn nur das Ungewollte verkündigt sich uneingeschränkt, und erst da, wo keine Absicht mehr dazwischen spricht, beginnt das Göttliche zu sprechen.

      Nun Meister Perugino ihm nichts mehr zu sagen hatte, wandte sich Raffael mit 21 Jahren nach Florenz.

      Er kam mit guten Empfehlungen dahin und sein Talent sowohl wie sein gefälliges und anspruchsloses Benehmen, öffneten ihm rasch die Häuser der Großen und machten ihn bald zum Liebling der gebildeten und vornehmen Gesellschaft.

      So oder ähnlich lesen wir in volkstümlichen Lebensbeschreibungen den Beginn seines Aufstiegs.

      „Mehr als sonst wo“ – schrieb Vasari – „gelangten die Menschen hier in Florenz zur vollkommenen Beherrschung aller Kunstzweige, denn sie wurden ununterbrochen von drei Kräften angespornt und getrieben: von der Kritik, vom Handelsgeist und von der Ruhmsucht“.

      Vasari überging bei dieser Aufzahlung das offenbar Wichtigste: die unmittelbare Gegenwart unzähliger Vorbilder.

      Ihre damalige Bedeutung können wir heute kaum noch ermessen. Denn während sich in unseren Tagen die Kenntnis jeden einzelnen Kunstwerks in tausendfältigen Abbildungen über die ganze Welt hin verbreitet, war ihr Erlebnis damals der lebendigen Anschauung eines einzigen Urbildes vorbehalten. Und dahin, zu diesen Urbildern, führen tage-oft wochenlange Wege zu Fuß und im Sattel.

      Kunst wollte in jenen Tagen erfahren, im buchstäblichen Sinne des Wortes „erfahren“ werden und wir können heute nur ahnen, was Raffael empfand, als er zum ersten Mal und ohne sie anders als dem Namen nach gekannt zu haben, den Kunstschätzen der Stadt Florenz gegenüberstand.

      Er mag lange vor den Farbgluten des Fra Bartolomeo, lange vor den sanften Verträumtheiten des Botticelli und des Filippo Lippi verweilt haben. Er wird die alten wuchtigen Fresken des Masaccio und Castagno bewundert haben und nach ihnen die jüngeren und weltlicheren des Benozzo Gozzoli und Ghirlandaio. Er wird vor den Bronzetüren des Ghiberti und den herben Gestalten des Donatello stehen geblieben und vor dem David des Michelangelo verharrt sein, wie vor dem befremdenden Anruf einer heraufkommenden Zeit. Von der „Gioconda“ des Leonardo aber mag sich der 21-jährige, mutterlose junge Mann nachdenklich zurückgewendet haben zu den Madonnen – denen Botticellis, Lippis und den eigenen, um schließlich zum größten Madonnenmaler aller Zeiten zu werden. Einige seiner bekanntesten – auch die „Madonna im Grünen“ sind Werke jener frühen Florentiner Jahre.

      Ihren Ausklang bezeichnet ein Auftrag der Atalanta Baglioni aus Perugia, eine Grablegung Christi.

      Schon seine ungewöhnliche Bewegtheit verleiht dem Bild eine Sonderstellung unter den Schöpfungen Raffaels, kaum ist es trotz seines Inhalts ein Bild der Trauer zu nennen, Anmut und Kraft der handelnden Gestalten übertönen den Eindruck des Schmerzes und die feinen, birkenzweigdünnen Silhouetten des verlassenen Kalvarienberges, die lichten Bäume daneben und die erwartungsvolle Weite des Tales – sie alle sind ein einziger Ruf nach Auferstehung.

      Raffael ist kein Bildner des Schmerzes wie Michelangelo, kein Maler der Gewalt und kein Maler des Rausches, sondern ein Künstler des stillen, vom Himmel leuchtenden Glücks.

      Kinder und Madonnen vor in silbernen Fernen verklingende Landschaften gesellen sich diesem Glück wie ein Stück Sehnsucht oder Heimweh. Diese finden sich gerade in seinen innigsten, unserem deutschen Empfinden verwandtesten Bildern, wie der „Madonna im Grünen“, der „Madonna mit dem Stieglitz“ oder der „mit dem Johannesknaben“.

      Nicht lange blieb Raffael in Florenz. Im Herbst 1507, ziemlich zur selben Zeit, da Michelangelo in der Sistina zu malen begann, rief ihn Papst Julius II. nach Rom.

      Diesen Ruf verdankte Raffael seinem Landsmann und entfernten Verwandten Bramante, dem neuen Baumeister des Vatikans und Architekten der Peterskirche.