John Mobray

The Plateau - Aufstieg in den Tod


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genug geworden, auch die vielen kleinen Annehmlichkeiten mitzunehmen. Eine Einladung zum Essen da, einen entspannten Plausch im Ferienanwesen eines Großkunden, ein Schmiergeld für bevorzugte Belieferung, es kam einiges zusammen. Obwohl er innerlich kaputt war, gab er nach außen hin immer noch den stets positiv daherkommenden Verkäufer, der alle Probleme aus dem Weg räumen konnte. Das tat er auch mit großer Routine, aber immer mehr wie ein Automat.

      Das, was er erlebt und zu verantworten hatte, konnte er nicht wie ein bisschen Schweiß auf der Stirn wegwischen. Es saß in seinen Gedanken und bohrte gnadenlos. Er konnte kaum noch schlafen. Nach einem Geschäftstermin am Vormittag war er zu seinem Firmensitz aufgebrochen. Wie sich dann bei den Ermittlungen herausstellen sollte, war sein Blut vollkommen rein von Alkohol oder Drogen gewesen. Sein letzter Besuch beim Hausarzt hatte eine gute und beschwerdefrei Konstitution bescheinigt. Allem Anschein nach war Richard Brody ein ziemlich gesunder Mann Anfang der vierziger Jahre gewesen.

      Vermutlich war es nur Pech gewesen, dass er von einem entgegenkommenden maroden VW T3 vorn schräg links erwischt, und von der Straße gerammt worden war. Brodys Auto hatte sich mehrfach überschlagen und war dann an einen Baum geschleudert worden. Brody selbst war aus dem aufplatzenden Wrack herausgeschleudert und an einen weiteren am Unfallort stehenden Baum katapultiert worden. Die Obduktion zeigte später, dass er kaum noch einen unversehrten Knochen im Leib hatte. Sein Unfallgegner, ein zweiundsiebzigjähriger Hippie, hatte bis unter die Schädeldecke voller Gras gestanden und war vollkommen unverletzt geblieben. Der Mann hatte sich verplaudert und zugegeben, dass er sich im Augenblick der Kollision gerade in eine Urinflasche entleert hatte, weil er keine Möglichkeit zum Anhalten gefunden hätte. Die Schuldfrage an dem Unfall war somit eindeutig geklärt gewesen.

      Für Dave Brody und seine Schwester Lea war dieses Ereignis zwar kein Jubeltag, aber ein Lichtblick gewesen. Richard Brody hatte eine Lebensversicherung für sich laufen gehabt. Obwohl die Versicherung alle möglichen und unmöglichen Einwände gegen eine Auszahlung der Versicherungssumme ins Felde führten, musste sie schließlich 1,435 Millionen Dollar auf ein Treuhandkonto einzahlen.

      Wenn Dave Brody 18 Jahre alt wäre, könnte er darauf zugreifen.

      Ein Sprechproblem

      Die Männer seines Platoon zollten ihm zweifellos Respekt, denn er war mutig, manchmal sehr draufgängerig aber immer darauf bedacht, keinen der Soldaten aus Ehrgeiz bei der Erfüllung der Befehle in eine nicht zu rechtfertigende Gefahr zu bringen. Dennoch verlangte er ihnen sehr viel ab und Disziplinlosigkeiten tolerierte er nicht. Nachdem er die High School 2006 mit 18 Jahren absolviert hatte war er zu einem Rekrutierungsbüro der Army gegangen und hatte sich für drei Jahre Dienst verpflichtet. Da er amerikanischer Staatsbürger war, polizeilicherseits nichts gegen ihn vorlag, und er älter als 18 Jahre war, hatte er nicht einmal die Erlaubnis seiner Eltern benötigt. Seine Mutter hatte seine Entscheidung nicht gutgeheißen, denn er hatte kein Hehl daraus gemacht, dass er keineswegs in irgendeinem Stützpunkt im Innendienst versauern, sondern mit der Waffe in der Hand richtig kämpfen wollte. Sein Vater stand dem aufgeschlossener gegenüber, denn er hatte selbst auch gedient, allerdings nie in realen Gefechten gestanden. Beide Männer verband in Bezug auf das Militär eine etwas verklärte Sicht auf Kameradschaft, Herausforderungen und Mut. Waffenaffin waren beide ohnehin. Schon mit 15 Jahren war der Junge mit seinem Vater in den weitläufigen Wäldern ihres Landstriches auf die Jagd gegangen und der Faszination dieser Beschäftigung erlegen. Das Recht Waffen zu besitzen, wurde in der Verfassung der Vereinigten Staaten geregelt, und es war kein Problem, sich mit entsprechenden Jagdwaffen auszustatten. Gewehre mit leistungsstarken Zieloptiken hatten es dem Jungen besonders angetan da es für ihn wichtig war, das Wild waidgerecht zu erlegen, und nicht unnötig leiden zu lassen.

      Da er in der Schule keine Probleme hatte waren die Wochenenden ganz zu seiner freien Verfügung. In seiner Klasse war er als Einzelgänger bekannt und von den anderen machte sich keiner groß eine Mühe ihn irgendwie in ihre Aktivitäten einzubinden, da er viele Angebote für Gemeinsamkeiten bereits früher abgeschlagen hatte. Der Grund dafür war vermutlich sein fehlendes Selbstbewusstsein gewesen, denn er stotterte in Phasen der Anspannung ziemlich heftig. Obwohl die anderen es anfangs wahrscheinlich nicht vorsätzlich darauf anlegten ihn zu demütigen, gerieten seine Vorträge vor der Klasse immer zu einer Katastrophe. Er war überdurchschnittlich intelligent und hatte eigentlich auf keinem fachlichen Gebiet des Lernstoffes irgendein Verständnis- oder Logikproblem. Was er aufschrieb war lesenswert, was er berechnete stimmte, was er (in Mathematik oder Physik) schriftlich herleitete, absolut korrekt. Wenn man nur seine schriftlichen Leistungen zur Bewertung herangezogen hätte, dann wäre ihm ein Platz unter den Besten der Schule sicher gewesen.

      All dies wurde aber durch seine Sprechprobleme entwertet. Obwohl er immer perfekt vorbereitet gewesen war wusste er schon vor seinem Auftritt vor der Klasse, dass er es wieder vermasseln würde. Es ging solange gut, bis er an ein Wort in seinem Vortrag stieß, welches sich beharrlich weigerte, richtig intoniert zu werden. Natürlich war sein Problem in seiner Familie bemerkt worden, aber alle Therapien waren ergebnislos geblieben. Letztlich hatte man sich die Sache schönredend und verdrängend darauf geeinigt, dass es eine anatomische Angelegenheit wäre, die wohl vom Grunde her aus irgendeiner Fehlfunktion der linken Hirnhälfte herrührte, denn dort befanden sich viele Nervenbahnen, die den Sprechvorgang steuerten.

      Diese Toleranz und Rücksichtnahme konnte er in einer Klasse heftig pubertierender Jungen und Mädchen nicht erwarten. Schon lange hatten die Revierkämpfe der heranwachsenden Männer um die Mädchen begonnen, und vor allem um die Frage, wer der Boss der Clique sein sollte. Das war bislang alles nur auf der verbalen Ebene und körperlich friedfertig abgelaufen. Es gab aber zwei Typen in seiner Klasse, deren konstitutionelle Dominanz das bald ändern sollte. Noch hatte man ihn nur mit tosendem Gelächter und beleidigenden Worten fertig gemacht aber er ahnte, dass es nicht dabei bleiben würde.

      Im Falle einer körperlichen Auseinandersetzung wäre er momentan gegen einige der teils schon recht bulligen Mitschüler absolut chancenlos gewesen, denn er war nur ein Meter achtundsechzig groß, und wog gerade einmal 65 Kilo.

      Kletterversuche

      Seine Eltern hatten einen breit gestreuten Freundeskreis und waren im Regelfall jedes zweite Wochenende nicht zu Hause. Er hätte dann das großzügig gebaute Haus für sich allein gehabt und die Zeit nach seinem Gusto verbringen können. Im Jahr 2003 war er 15 Jahre alt und auf dem Schreibtisch seines Zimmers stand ein Power Mac, welcher mit dem 64-Bit-Prozessor G5 von Intel bestückt war. Es war ein sündhaft teures Modell, aber seine Eltern waren mehr als vermögend und wollten ihm nur Gutes tun. Schon im Herbst 1997 war Google an den Start gegangen und der Junge hatte schnell begriffen, dass er Zeitzeuge eines gewaltigen Veränderungsprozesses war. Seit der Mitte der Neunziger Jahre war das Internet aus seiner reinen militärischen Nutzung herausgetreten und nunmehr auch dem normalen Bürger zugänglich. Er verbrachte viel Zeit mit dem Computer und beschäftigte sich auch recht erfolgreich mit den damals üblichen Programmiersprachen. Allerdings musste er konstatieren, dass ihm zu einer möglichen Professionalität vieles an Wissen und Kenntnissen fehlte, und er sagte sich, dass es momentan ausreichen würde, sich kontinuierlich mehr Fähigkeiten anzueignen. Wo seine berufliche Reise hingehen würde stand noch lange nicht fest. Aber in dieser Zeit hatte er für sich wichtige Grundlagen für das Verstehen der Computerlogik gelegt. Immer wieder in gewissen zeitlichen Abständen würde er seine Kenntnisse auffrischen und so einigermaßen auf Stand bleiben können.

      Da er durchaus unter seiner schwachen Konstitution litt und etwas dagegen tun wollte, hatte er für sich ein Trainingsprogramm aufgelegt. Er besaß eine Honda CY 50, ein Moped, mit 50 Kubikzentimetern Hubraum und einer Leistung von 3 PS. Mit diesem Vehikel knatterte er dann am Sonntag zu der ungefähr 15 Kilometer entfernten Höhenkette. Diese Berge waren keine alpinistische Herausforderung, sondern reine Wandergebiete, die jedermann mit etwas Ausdauer besteigen konnte. Es ging ihm darum, erst einmal Kondition aufzubauen, um sich später an andere Herausforderungen heranwagen zu können. Nach drei Besuchen in dem Gebiet fühlte er sich unterfordert. Da es seine Eltern auch nicht ungern sahen, dass er sich körperlich ertüchtigte, bezahlten sie ihm eine Kletter-Erstausstattung. Etwas südlich der von ihm zuerst erkundeten Höhenkette, gut