Isabella Kniest

In Your Arms


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auf seine Schulter legte, riss ihn kurzzeitig aus seinem Taumel. »Ich spreche aus Erfahrung. Ich habe mich auch einmal in ein Mädchen verguckt – aber das wollte dann nichts von mir wissen.«

      Er wusste, es war bloß ein gut gemeinter Ratschlag. Aber sosehr er es wollte, es gelang ihm schlichtweg nicht mehr, sich diesem beißenden Gefühl des Missverstandenseins wie der Kompromittierung zu erwehren.

      Bei Gott … Es war ihm selbst klar, wie fürchterlich Liebeskummer sich anfühlte! Speziell dann, wenn Liebe nicht erwidert wurde! Und weitaus schlimmer, wenn die Angebetete seine absolute Traumfrau darstellte! Aus exakt diesem Grunde fühlte er sich schließlich dergestalt elend! Aus exakt diesem Grunde litt er an all diesen Hemmungen. Aus exakt diesem Grunde hatte er sich von Frauen distanziert!

      Himmelherrgottsakrament!

      Ein unmöglich zu unterdrückender Seufzer drang aus seiner Kehle.

      Wäre Liza lediglich eine unbedeutende Schwärmerei gewesen, wie einst Hannah in der Hauptschule …

      Sein verschwommener Blick wanderte zu Tina zurück.

      Oder würde sein Liebeskummer einzig von der Distanz herrühren, wie es bei seiner besten Freundin der Fall war …

      Er hingegen hatte weder die Möglichkeit seine Traumfrau telefonisch noch mit dem Zug zu erreichen – denn Liza wollte bekanntlich nichts mit ihm zu tun haben! Er musste mit der bitteren Erkenntnis leben, sein Herz an eine Person verloren zu haben, welche seine Gefühle niemals erwidern würde.

      Ein ihn in die Knie zwingender Emotionssturm fegte durch sein Innerstes, verdrängte Wut, um weiterer Verzweiflung Platz zu machen.

      …

      Er wusste es: Er liebte sie. Unsterblich. Bedingungslos. Abgöttisch.

      Ebenso gut wusste er über die Infantilität dieser Tatsache Bescheid.

      …

      In seine Lage musste man sich einmal versetzen: Da liebte er eine Frau, welche er noch nie zuvor geküsst, geschweige denn intimere Zärtlichkeiten mit ihr ausgetauscht hatte! Er liebte eine Frau, welcher seine Existenz gleichgültig war. Er liebte eine Frau, welche keinen einzigen Gedanken an ihn verschwendete …

      …

      Wie hatte er es so weit kommen lassen können?

      Wieso hatte er sich nicht von Anfang an zurückgehalten?

      Weshalb war es ihm nicht gelungen, sich von Liza abzuwenden?

      …

      Wieso?!

      …

      Frische Emotionswellen, darunter Ärger, Verzweiflung, Sehnsucht, Trauer und Hoffnungslosigkeit türmten sich in ihm auf. Sie umschlangen seine Seele, zerquetschten ihm den Brustkorb, brachten seinen Schädel zum Pochen. Zu diesen übelkeitsauslösenden Empfindungen gestellten sich jähe heftige Adrenalinausstöße gepaart mit Herzrasen, welche ihm Magen und Hinterteil zusammenkrampften.

      …

      Er blickte in die Gesichter seiner zwei Kollegen.

      Pures Mitleid spiegelte sich in ihren Zügen wider – ein Ausdruck, der ihn an besorgte Eltern erinnerte …

      Nein.

      Nein!

      Bei allem, was ihm heilig war!

      Nein!

      Er ertrug wahrlich vieles, aber ganz gewiss kein Mitleid!

      Ein Schwall an Übelkeit erhob sich. Schweißausbrüche folgten. Scham vernebelte seine Sinne. Ein Schwindel ergriff Besitz von ihm.

      Er musste hier raus … Er musste hier weg.

      Sofort!

      Ein »Es tut mir leid« drang gepresst aus seiner Kehle, gefolgt von erstickenden Schluchzern, ehe er sich umdrehte und aus der Küche stürmte.

      Seine Sicht von Tränen verschleiert hechtete er durch den Korridor, weiter ins Foyer und letztendlich durch die Tür hinaus auf den Parkplatz.

      Sein Mund fühlte sich wie ausgetrocknet an. Eine niederzwingende nach wie vor ansteigende Beschämung wie seelische Schmerzen drückten ihm den Hals zusammen.

      Er sah sich nicht um, als seine Beine sich erneut in Bewegung setzten. Ebenso wenig brachte er es zustande, irgendeinen klaren Gedanken zu fassen.

      Einzig vier Worte geisterten unentwegt durch seinen lahmgelegten Verstand: Ich kann nicht mehr. Ich kann nicht mehr. Ich kann nicht mehr.

      Blindlings rannte er die asphaltierte Straße entlang – als verlöre seine Sehnsucht mit einem jeden seiner Schritte an Kraft, als erleichterte ein jeder zurückgelegter Meter sein Herz.

      Bedauerlicherweise trat nichts davon ein.

      Weiter und weiter trugen ihn seine Beine.

      Ich kann nicht mehr.

      Stetig schwerer wurde sein Herz.

      Ich kann nicht mehr.

      Immer öfter rang er nach Atem.

      Ich kann nicht mehr.

      Erst nachdem das Brennen seiner Lungen einen nicht mehr ertragbaren Zustand erreicht hatte, gelang es ihm, stehen zu bleiben.

      Keuchend und mit tränennassen Wangen blickte er sich um.

      Die Pappelallee … weite Wiesen … das Schaffnerhaus – und daneben die alte Linde.

      Seine Sehnsucht hatte ihn zum Hauptbahnhof geführt.

      …

      Liza.

      …

      Er benötigte keine Sekunde, um zu wissen, was er zu tun hatte.

      Mit unsagbar gefestigten Schritten steuerte er den Ticketschalter an, kaufte dort einen Fahrschein nach Klagenfurt und trat zum Bahnsteig.

      Er brauchte Gewissheit! Selbst auf die Gefahr hin, von ihr ausgelacht und verspottet zu werden … er musste ein für alle Mal Klarheit erlangen. Wenn Sie ihm den Laufpass gab – gut, dann sei es so! Dann vermochte er wenigstens, dieses fürchterliche Thema abzuschließen.

      Aber in seiner jetzigen Situation?

      Wie sollte er da weitermachen?

      Das hielt doch keine Menschenseele aus!

      Der haltende Zug riss ihn aus seinen rasenden Gedanken. Zielsicher betrat er den leeren Waggon, setzte sich auf einen Fensterplatz – das Ticket krampfhaft in seiner linken Hand haltend.

      …

      Liza. Wunderschöne Liza.

      So gerne wollte er sie in seinen Armen halten. Er wollte sie lieben … sie nie mehr loslassen. Er wollte sich an ihre Schulter kuscheln, ihre Körperwärme spüren. Er wollte das wunderbare Gefühl der Geborgenheit und des Geliebt-Werdens in sich aufnehmen – und es nie mehr missen.

      War daran etwas verwerflich? War es solchermaßen schrecklich, einen Menschen bedingungslos lieben zu dürfen?

      War es ein Verbrechen, glücklich sein zu wollen?

      Tränen flossen ihm über die geröteten Wangen.

      Der Kontrollor trat zu ihm.

      Jan blickte blinzelnd zu diesem hoch.

      Entweder interessierte den alten Mann es nicht, oder hatte dieser genügend Anstand, ihn nicht auf sein verweintes Gesicht anzusprechen – auf jeden Fall warf er lediglich einen uninteressierten Blick auf das Ticket und schritt weiter, ohne ein einzig Wort verloren zu haben.

      Und Jan?

      Ihm war es ebenfalls egal geworden.

      Er schämte sich nicht.

      Nein.

      Nicht mehr. Nie mehr!

      Lange genug hatte er sich zusammengerissen.