Stephanie Carle

Neubeginn


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theatralische Pause, um seine Aussage wirken zu lassen. „Nun, da es bei Ihnen ja offenbar kein Heim mit Kindern gibt“, er nahm seine Brille ab und musterte sie geringschätzend, „scheinen Sie wohl beschlossen zu haben, Unruhe in diese von Männern aufgebaute Ordnung zu bringen.“

      Hope war sprachlos und schockiert. Sie fühlte sich um Jahrhunderte zurückversetzt, in eine Zeit, in der Frauen und Sklaven in etwa die gleichen Rechte hatten. War sie im falschen Film? Slapstick von primitivster Art. Das konnte doch wohl nicht sein Ernst sein! Konnte ein Polizeichef sich wirklich solch eine frauenverachtende Meinung leisten? Und damit Erfolg haben?

      Frauenverachtend? Menschenverachtend! Arrogantes Arsch­­loch!

      Dennoch vermochte Hope nicht, etwas darauf zu erwidern. Zu viele Gedanken überschlugen sich in ihrem Kopf. Das alles lief anders als erwartet. Mit Turbogeschwindigkeit in die falsche Richtung. Nur war sie nicht in der Lage, die Notbremse zu ziehen.

      Sollte das nun heißen, Chief Rice hatte sie hier einberufen, um ihr mitzuteilen, dass ein anderer Conrads Posten als Leiter ihrer Einheit übernehmen würde? Wer? Womöglich noch ein vollkommen Fremder?

      „Zu meinem großen Bedauern kannte auch Conrad meine Einstellung diesbezüglich und nahm mir das Versprechen ab, dass ich Ihnen eine Chance geben werde…“ Rices Unmut über diese Sache stand ihm deutlich ins Gesicht geschrieben, als ob er in Erwartung einer Zuckerstange stattdessen in eine saure Zitrone gebissen hätte.

      Hope zog die Augenbrauchen hoch. Und jetzt Klartext bitte!, hätte sie ihm gerne entgegengespien, aber das stand ihr nicht zu. Also schwieg sie weiter und harrte der Dinge, die da kommen mochten.

      Der Chief seufzte. „Da ich davon ausgehe, dass Ihnen früher oder später ohnehin ein Fehler unterläuft, ist es ja nur eine Zeitsache, die sie die – sagen wir Vertretung für Captain Harper übernehmen. Denn dass sie scheitern werden, ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Alle Frauen in anspruchsvollen Positionen scheitern irgendwann. Und wissen Sie auch warum? Weil sie einfach nicht dafür gemacht sind, Verantwortung zu übernehmen!“

      Hope sog die Wangen ein und biss sich auf die Innenseite, um nicht zu platzen. Wieso stand sie immer noch hier? Wieso warf sie ihm nicht ihre Marke vor die Füße, sagte ihm, dass sie auf ihn und seine Einstellung scheiße und reichte unverzüglich ein Versetzungsgesuch ein?

      Weil es genau das ist, was er erreichen möchte, gab sie sich selbst die Antwort.

      „Was stehen Sie hier noch herum, Miss Cromworth?“, schlug Rice nun einen harschen Ton an. „Haben Sie keine Arbeit? Unsere Unterredung ist längstens beendet. Sie kennen nun meine Einstellung Ihnen gegenüber. Fühlen Sie sich also beobachtet in allem, was sie tun und entscheiden. Ich werde jeden Schritt, den Sie machen, mit Argusaugen überwachen und seien Sie gewiss, dass ich nur darauf warte, dass Ihnen ein Missgeschick passiert. Falls sie noch darauf warten, dass ich Ihnen den Status eines „Captain“ verleihe, muss ich Sie leider enttäuschen. So lange ich hier das Regiment führe, wird keine Frau die Macht über ein Schiff erhalten. Und sei es auch nur ein kleines Paddelboot. Guten Tag, Miss Cromworth.“

      Ein Team zu leiten, ohne einen höheren Status zu besitzen, war nicht einfach. Vor allem, da Hope die ganze Zeit über bereits auf gleicher Ebene mit ihren Kollegen zusammengearbeitet hatte. Sie waren praktisch eine eigene kleine Familie… Eine Familie, die nun zwei neue Adoptivkinder aufzunehmen plante.

      Hope blätterte durch die Personalakten, die vor ihr auf dem Schreibtisch lagen, ohne wirklich bei der Sache zu sein. Bei dem ersten Polizisten, Christian Taylor, handelte es sich zwar um eine Versetzung, doch Luke Dorians Antrag war eine Neubewerbung. Der junge Mann konnte zwar einige Jahre im Streifendienst vorweisen, doch verfügte er über keinerlei Erfahrungen in der Ermittlungsarbeit. Hope hätte eigentlich erwartet, dass ein älterer Detective ihr Team komplettieren würde, beziehungsweise dass man ihr als zukünftige Leiterin dieser neu zusammengewürfelten Einheit zumindest ein Mitspracherecht bei der Besetzung der offenen Stellen zukommen ließ.

      Dem war nicht so und sie konnte sich gut denken, auf wessen Mist das gewachsen war. Chief Rice würde ihr sämtliche Steine in den Weg legen. Soll er doch!

      Christian Taylor wirkte auf den ersten Blick vielversprechend. Beste Beurteilungen, top Leistungen… Seine Akte sah geradezu ‚frisiert‘ aus. Warum wird ein so hoch angesehener Top-Detective plötzlich versetzt? Milwaukee müsste alles daran gesetzt haben, ihn behalten zu können… Hope blätterte weiter, doch die gewünschten Erläuterungen blieben aus. Wenig Information, nur Lobesworte. Anscheinend war es dem Polizeipräsidium der größten Stadt Wisconsins ein großes Anliegen gewesen, diesen Kollegen loszuwerden. Das kann ja heiter werden.

      Hope blickte auf die Uhr. In zehn Minuten war das erste Meeting unter ihrer Führung angesetzt. Das erste Zusammentreffen des Teams seit Bertrams Selbstmord. Und Conrads Tod. Das erste Mal, dass sie wieder beruflich zusammenkamen. Es ging weiter. Auch ohne Conrad. Es muss… Auch wenn ich momentan nicht weiß, wie.

      Sie war absolut nicht vorbereitet auf dieses Meeting. Es war nicht so, dass Hope sich nicht den Kopf darüber zerbrochen hätte, was sie sagen und wie sie auftreten wollte. Doch richtige Worte wollten sich einfach nicht finden lassen. Es war einfach eine Scheiß-Situation; so hätte es jedenfalls Conrad ausgedrückt. Vielleicht war das der geeignetste Einstieg. Der, den Conrad gewählt hätte; der, der ihm aus der Seele gesprochen hätte. Hope schluckte. Die Erinnerungen waren schmerzhaft.

      Noch ein Blick auf die Uhr und Hope schlug die Akten zu. Auch wenn alles weitere sich ergeben musste und keiner Planung unterlag, so war sie sich doch zumindest sicher, dass sie bei ihrem unerwarteten Einstand nicht zu spät kommen sollte.

      Trotz dieses guten Vorsatzes war Hope die Letzte, die das Konferenzzimmer betrat. Adrian zwinkerte ihr aufmunternd zu, Grace lächelte traurig und Marc nickte zum Gruß. Hope vermied es absichtlich, sich auf Captain Harpers Platz niederzulassen. Vielleicht wenn sie eines Tages selbst Captain war, doch momentan fühlte es sich einfach nicht richtig an.

      Mit zitternden Fingern legte sie einen Stapel weißer Blätter vor sich ab. Dann räusperte sie sich, blickte in die Runde und sagte mit fester Stimme: „Das ist eine absolute Scheiß-Situation.“ Sie hätte nicht mit Sicherheit vorhersagen können, ob die übrigen ihre Aussage so auffassten, wie sie gemeint war, doch das allgemeine Schmunzeln überzeugte sie, dass sie die richtigen Worte gewählt hatte. „Ich hatte heute Morgen ein Gespräch mit Chief Rice… Fürs Erste werde ich die Leitung unseres Teams übernehmen.“

      „Was heißt, fürs Erste?“, schaltete Adrian sich sofort ein und verengte die Augen.

      „Der Chief stellt mich sozusagen in Probezeit ein“, versuchte Hope das offensichtliche Misstrauen des Polizeichefs in ihre Fähigkeiten mit netten Worten zu kaschieren.

      Adrian schüttelte verständnislos den Kopf. „Das kann ja wohl nicht sein Ernst sein! Es war allen immer klar, dass du Harpers Nachfolge antreten wirst. Das ist wirklich das Letzte.“

      Hope rückte unruhig auf ihrem Stuhl. Detective Adrian Glover war ein sehr guter Freund und absolut loyal gegenüber seinem Team, aber dennoch war es in dieser Situation angebracht, den Mund zu halten und abzuwarten. Sie stand unter ständiger Beobachtung, das hatte der Chief ihr deutlich zu verstehen gegeben und Hope wollte auf keinen Fall, dass ihre Freunde Schwierigkeiten bekamen, weil sie sich zu sehr hinter sie und damit gegen die Führungsebene stellten. „Es ist schon okay“, versuchte sie die Sache abzuschwächen. „Ich denke, es ist auch für Chief Rice eine außergewöhnliche Situation, mit der er nicht recht umzugehen weiß. Wir sollten uns allen etwas Zeit geben.“ Das war gelogen. Chief Rice würde seine Meinung bezüglich Frauen in Männerberufen niemals ändern. „Wir sollten uns jetzt erst einmal auf die nächsten Tage konzentrieren“, schlug Hope vor. „In der Hoffnung, dass die bösen Buben Shreveports uns ein paar Stunden Galgenfrist gewähren, bevor sie wieder zuschlagen, wäre es mir ein Anliegen, dass wir uns als Truppe neu zusammenfinden. Wir haben zwei Kollegen verloren. Keiner von uns hätte jemals für möglich gehalten, dass in Bertram ein so versessener, kranker Geist schlummert.“ Das zustimmende Nicken ermutigte Hope, weiterzusprechen. Du machst das gut, spornte sie sich an. Die