Stephanie Carle

Neubeginn


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wie er es getan hat. Aber ich gebe dennoch mein Bestes.“

      Nach einem kurzen Schweigen, in dem wohl jeder noch einmal für sich Abschied von ihrem langjährigen, hochgeschätzten Captain nahm, stellte Adrian klar: „Du bist ab sofort der Boss, du sagst, was gemacht wird, Hope. Und du weißt, dass wir alle immer hinter dir und deinen Entscheidungen stehen werden!“

      „Wir unterstützen dich, wo wir können“, pflichtete Marc ihm bei. „Hey, wir sind doch ein Team! Und wenn wir ehrlich sind, warst du doch schon die letzten Jahre stets die Besonnene, die Denkerin und Planerin. Conrad hat sich voll und ganz auf dich verlassen. Du wirst einen prima Job machen!“

      Grace stand auf und schlang ihre Arme um Hope, die vor Rührung nur noch verschwommen durch den Tränenfilm ihrer Augen sehen konnte, und versicherte ihr: „Wir schaffen das. Du bist unser neuer Captain, auch wenn du diesen Titel nicht von offizieller Seite hast und wir dich nicht so nennen dürfen.“

      „Bleiben wir bei Hope“, schniefte Hope und nahm dankbar das von Marc angebotene Taschentuch entgegen. „Wir schaffen das“, wiederholte sie dann und fühlte sich unglaublich wohl, so gute Freunde zu haben.

       Montag, 02. November, 15.30 Uhr

      „Herein.“ Hope war überhaupt nicht darauf vorbereitet, dass jemand an ihrem ersten Arbeitstag in neuer Position an ihre Tür klopfte. Eigentlich hatte sie gehofft, die erste Woche ruhig angehen zu können. Schonfrist sozusagen. Ließen das nicht sogar Straftäter neuen Gefängnisleitern zukommen?

      Adrian, Marc und Grace schrieben die Berichte des letzten Falls, um zumindest auf sachlich-korrekter Ebene mit dem, was geschehen war, abzuschließen. Hope selbst befand sich noch immer im Zwiespalt mit sich selbst darüber, ob sie Conrads Büro zu ihrem eigenen umgestalten oder einfach so belassen sollte, wie es war. Was sie definitiv benötigte, war ihr Computer. Conrads Maschine war aus dem vorigen Jahrhundert und dementsprechend laut und langsam. Damit endete jedoch ihre Entschlussfreudigkeit.

      Die Tür fiel auf und das erste, was Hope entgegenströmte, war eine dichte Wolke süßlichen Parfums, welches offenbar über den abgestandenen Zigarettenrauch hinwegtäuschen sollte, der unterschwellig mitschwang.

      Hope blinzelte und erkannte die in Nerz ummantelte Dame erst, als sie unmittelbar vor ihrem Schreibtisch zum Stehen kam. „Was haben Sie im Büro meines Mannes zu suchen?“, keifte die Frau ohne Umschweife und warf dabei ihre künstlich zurechtgemachte Dauerwelle in den Nacken.

      Hope legte langsam und mit Bedacht den Stift zurück auf den Schreibtisch, den sie kurz zuvor aufgenommen hatte, um die Initialen C.H. näher zu betrachten, die am oberen Ende in vornehm geschwungener Schreibschrift eingraviert waren. Conrad Harper. Ging man die Sache jedoch von hinten nach vorn an, so ließe sich auch problemlos ein Cromworth, Hope hineingeheimnissen. „Mrs. Harper, ich wusste nicht, dass Sie heute vorbeikämen, um die Sachen Ihres Mannes abzuholen“, entschied Hope sich für einen diplomatischen Weg ohne Gegenangriff. „Sie hatten sich nicht bei mir angemeldet, oder?“

      „Bei Ihnen?!“ Mrs. Harpers Stimme schien Purzelbäume zu schlagen, so dass sich Hope unwillkürlich ein Vergleich zu Mozarts berühmter Figur der Königin der Nacht aufdrängen wollte. „Nein. Niemals. Das ist das Zimmer meines Mannes und ich werde mich zu keiner Zeit bei Ihnen anmelden oder gar um Ihre Erlaubnis betteln, wenn ich die Habseligkeiten meines liebsten Conrad hier abholen möchte.“ So bist du mei-ne Toch-ter ni-mme-er-mehr. Hahahaha-hahaha. Hahahaha-hahaha. Hahaha-ha. Haha. Haha-haa. Mrs. Harper presste sich bei der Erwähnung ihres verstorbenen Ehemannes eine Träne aus dem mit übertrieben blauen Lidschatten angepinselten Auge und wischte diese sogleich theatralisch mit einem bestickten Seidentaschentüchlein ab, bevor der Mascara verschwimmen und ihr Aussehen ruinieren konnte. Fühlt nicht durch dich – Sarastro Todesschmerzen. Sarastro Todesschmerzen…

      Hope hob die Brauen. Hörte das denn heute überhaupt nicht mehr auf? Nur Anfeindungen und Geringschätzungen. Was hatten nur alle gegen sie? Habe ich was verpasst? Steht auf meiner Stirn: Bitte mach mich fertig, das gefällt mir!?

      „Nun, genau genommen ist das jetzt mein Büro…“, versuchte Hope freundlich zu erklären und sich dabei den ausladenden Mantel als weitschweifenden, an einen abendlichen Horizont erinnernden, sternbesetzten Umhang aus Der Zauberflöte vorzustellen. An Mrs. Harper war eine bilderbuchreife, arrogante Diva verloren gegangen. Dafür hätte sie definitiv großes Talent aufgebracht.

      Mrs. Harper zog eine Grimasse. „Nun, genau genommen“, wiederholte sie dreist, „glaube ich das nicht. Jedenfalls nicht nachdem, was man so hört…“

      Hope war nahe daran, in die Luft zu gehen und die düstere Königin in den Abgrund zu stürzen. Oder besser noch, in das gleißende Licht der Mittagssonne… Mit mühevoll unterdrücktem Zorn sagte sie drohend: „Verlassen Sie sofort dieses Büro. Und wenn Sie das nächste Mal planen, die Habseligkeiten Ihres Mannes heimzuholen, dann vereinbaren Sie vorher einen Termin mit mir!“

      Die farbkastenroten Lippen verzogen sich zu einem noch breiteren Grinsen und Mrs. Harper blieb fest an ihrem Platz stehen. „Ich denke nicht, dass ich mir das von einem Flittchen wie Ihnen sagen lassen werde. Wie oft mussten Sie mit meinem Mann schlafen, bis Sie diesen Posten bekommen haben, hm? Zweimal die Woche? Täglich?“

      Hope fiel vor Erschütterung der Unterkiefer herab. Sie war sprachlos ob dieser bodenlosen Frechheit. Regelrecht entsetzt. Sie spürte, wie ihre Zunge Worte zu formen versuchte, doch ihr Gehirn war zu blockiert, um entsprechende inhaltliche Informationen auszusenden, und ihr Innerstes zu sehr damit beschäftigt, Tränen der Resignation zurückzudrängen. Schließlich bracht sie mit bebenden Lippen hervor: „Was maßen Sie sich an, mich derart zu beleidigen? Raus hier. Sofort!“ Mit einer entschlossenen Bewegung war Hope in der Höhe und stampfte mit ausladenden, wütenden Schritten zur Tür, um sie aufzureißen und dieser unverschämten Person den Ausgang zu weisen. „Raus!“, wiederholte sie noch einmal, so fest sie nur konnte.

      „Ich denke ja gar nicht daran, dieses Zimmer zu verlassen. Nicht ehe ich die Sachen meines Mannes zusammengepackt habe“, erwiderte Mrs. Harper ruhig und sichtlich erheitert über Hopes aufgebrachte Reaktion.

      Hope bebte vor Wut über ihre eigene Hilflosigkeit. Eine solch dreiste Frau war ihr noch selten untergekommen. Am liebsten hätte sie ihre Pistole gezückt und die verwöhnte, hochnäsige Dame damit nach draußen befördert. Doch das wäre mit Sicherheit bereits das erste Fehlverhalten gewesen, auf das Chief Solomon Rice geradezu fanatisch wartete. Ob er Mrs. Harper sogar persönlich hergeschickt hatte, um sie zu provozieren?

      In diesem Moment tauchte vom Flur her Adrian auf. „Gibt es hier ein Problem?“, fragte er mit seiner sonoren, ruhigen Stimme.

      Hope schluckte, um sich zu sammeln. „In der Tat“, bestätigte sie dann mühevoll beherrscht. „Mrs. Harper weigert sich trotz mehrfacher, deutlicher Aufforderung, mein Büro zu verlassen.“

      Adrian runzelte die Stirn und schien die Reichweite des Unausgesprochenen abzuschätzen. Schließlich wandte er sich an die Lady in Pelz und sagte mit freundlicher Schärfe: „Mrs. Harper, wir alle bedauern Ihren Verlust zutiefst und sicher können wir alle nicht im Mindesten nachfühlen, wie Ihnen nach dem Tod Ihres Gatten zumute ist. Doch ich muss Sie dennoch leider bitten, jetzt zu gehen. Selbstverständlich können Sie jederzeit mit Detective Cromworth oder mit mir einen neuen Termin vereinbaren, damit wir Sie auch gebührender empfangen können als unter den momentanen Turbulenzen, die hier im Präsidium Einzug gehalten haben. Es tut uns sehr leid, aber Sie sehen ja, dass bei uns auch einiges neu geordnet werden muss und dass Ihr Mann auch hier eine große Leere hinterlassen hat.“

      Mrs. Harper schürzte die Lippen und machte auf ihrem hochhackigen Absatz kehrt. Langsam und gemächlich stöckelte sie auf die beiden zu, musterte Hope vom tiefschwarzen Haaransatz bis zu den uneleganten Sneakern und sagte dann mit unverhohlener Geringschätzung: „In der Tat. Das sehe ich.“ Dann warf sie sich den Nerz fester um die Schultern und stolzierte hoch erhobenen Hauptes davon, ohne noch einen Blick zurückzuwerfen.

      „Alles in Ordnung?“, fragte Adrian, nachdem Mrs. Harper um die Ecke gebogen war und lediglich noch