Stephanie Carle

Neubeginn


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trinkbare Temperatur angenommen hatte, war sie mit einer Haut überzogen, die Elise eklig fand. Ihre Lieblingsstrumpfhose hatte ein Loch im Knie, das Chris zuvor nicht aufgefallen war, und es gab Tränen, weil die neue Strumpfhose am großen Zeh kniff. Deshalb bestand Elise darauf, ihre Sandalen zu tragen, was Chris ihr bei Regen und für Louisiana untypisch kalten Wind nicht erlauben konnte. Das Haarekämmen ziepte so sehr, dass Chris es schließlich aufgab und seine Tochter im Bed-Head-Look zum Kindergarten brachte.

      Auf dem Weg fiel ihm auf, dass er das Pausenbrot für sie zu Hause neben der Spüle vergessen hatte, und so verloren sie noch unnötig viel Zeit in der Menschenschlange vor einer Bäckerei, in der heute nur eine Bedienung Dienst hatte. Dann waren die Laugenbrötchen aus und auch die Donuts mit dem hellen Überzug. Elise schmollte und erklärte Hungerstreik.

      Nachdem er seine kleine Zicke endlich im Rainbow-House abgeliefert hatte, benötigte Chris fünf Minuten, um wieder herunterzukommen und sich zu sammeln. Dann fuhr er los, um geradewegs in den nächsten Verkehrsstau zu düsen und zwischen wütend hupenden Autos zu warten, bis irgendein dämlicher Truckfahrer sein gigantisches Gefährt in aller Seelenruhe rückwärts in irgendeine viel zu kleine Einfahrt gelenkt hatte.

      Es war bereits viertel nach acht, als er seinen Wagen in das für Mitarbeiter der Polizei reservierte Parkhaus des Shreveport Police Departments lenkte und glücklicherweise recht schnell einen Parkplatz fand.

      Gleich am ersten Arbeitstag zwanzig Minuten zu spät zu erscheinen, versprach beste Voraussetzungen! Damit kann ich mir der überschwänglichen Sympathien der neuen Kollegen sicher sein! Murphy lässt grüßen…

      Hastig schwang er sich aus dem Fahrersitz und eilte durch die Eingangstür ins Gebäude, wo ihm eine Hitzewelle entgegenschlug und kräftiger Kaffeegeruch verführerisch empfing. Ohne weiter darauf zu achten, ging er zielstrebig zum Aufzug und wartete ungeduldig, bis die Türen sich öffneten.

      In seinem Brief zur Einstellung stand, dass er sich in Zimmer 205 im zweiten Stock bei Detective Cromworth einzufinden hatte. Um acht! Mittlerweile war er gut eine halbe Stunde in Verzug. Blieb nur zu hoffen, dass sein neuer Chef kein Erbsenzähler war.

      Aus dem engen Fahrstuhl heraus, blickte Chris sich nach beiden Seiten um, um abzuschätzen, in welcher Richtung Zimmer 205 lag. Er entschied sich für links und stellte fest, dass es tatsächlich die richtige Entscheidung gewesen war. Unmittelbar vor der steril-weißen Tür, die einen krassen Gegensatz zu den fröhlichen Farben des Rainbow-House bildete, angekommen, fühlte Chris seinen schnellen Herzschlag. Doch es blieb keine Zeit mehr, sich zu sammeln, und so klopfte er schwer atmend an.

      Eine Frauenstimme bat ihn herein und während er noch grübelte, wie reich die Shreveporter Polizei sein musste, wenn sich Detective Cromworth eine Vorzimmerdame leisten konnte, trat er ein und hielt dann perplex im Türrahmen inne. Detective Cromworth konnte sich keine Vorzimmerdame leiste, die Vorzimmerdame war Detective Cromworth!

       Montag, 09. November, 8.37 Uhr

      Hope schaute demonstrativ auf die Uhr, als Detective Christian Taylor zur Tür hereinstolperte. „Schön, dass Sie es auch noch für nötig halten, zum Termin zu erscheinen“, empfing sie ihn, vielleicht ein wenig zu bissig, doch Unpünktlichkeit war eine Untugend, die Hope verabscheute. Wenn er bereits an seinem ersten Arbeitstag über eine halbe Stunde zu spät zum Dienst erschien, dann konnte sie sich die Verlässlichkeit dieses Kollegen bei zukünftigen Fällen an drei Fingern abzählen.

      „Es tut mir leid, Detective“, sagte Taylor und besaß wenigstens so viel Anstand, ein schuldbewusstes Gesicht zu machen. „Der Verkehr… Ich bin erst seit einer Woche in der Stadt. Es wird nicht wieder vorkommen.“

      Das kann ich abwarten. „Das käme mir sehr entgegen“, erklärte Hope. „Setzen Sie sich, Chris.“

      „Detective Taylor“, berichtigte er sie und Hope war einen Moment lang verwirrt. „Ich zeihe es vor, einander auf der förmlichen Ebene zu begegnen“, führte Christian Taylor aus.

      Arrogant also. Davon stand nichts in der Akte. Vielleicht war das der Grund, warum die Kollegen aus Milwaukee ihn loswerden wollten…

      „Gut.“ Hope sammelte sich wieder und setzte erneut an: „Setzen Sie sich, Detective Taylor.“

      Sie wartete, bis der neue Kollege ihrer Aufforderung nachgekommen war. Dann stellte sie sich vor: „Ich bin Detective Hope Cromworth und ich leite die Abteilung für Kapitalverbrechen. Ich weiß nicht, inwieweit man Sie über die Neustrukturierung unseres Teams in Kenntnis gesetzt hat. Neben Ihnen wird es noch einen weiteren neuen Kollegen geben. Die übrigen Teammitglieder stelle ich Ihnen später vor, für zehn Uhr ist ein Meeting angesetzt.“

      Taylor nickte. „Prima.“

      Hope fand dieses erste Gespräch zwar alles andere als prima, aber bitteschön, wenn er diesen Eindruck hatte, würde sie versuchen, ebenfalls gute Miene zum bösen Spiel zu machen. „Dann erzählen Sie doch kurz etwas über sich.“

      Christian Taylor fuhr sich mit der Hand durch die kurze, schwarze Igelfrisur, was Hope als Zeichen dafür wertete, dass er trotz seiner überheblich wirkenden Haltung unter der Oberfläche auch ein wenig nervös war. „Eigentlich steht alles in der Akte, die Sie gelesen haben“, sagte er ausweichend.

      Hope blickte ihn streng an. „Eigentlich steht gar nichts in der Akte, die ich gelesen habe“, entgegnete sie ihm. Wieso sind es immer die Arschlöcher, die gut aussehen? Sie erschrak über ihren eigenen abschweifenden Gedanken. „Außer dass Sie lange Zeit in Milwaukee gearbeitet haben. Was war der Grund für Ihre Neuorientierung hier im Süden?“

      Detective Taylor hob die Schultern und senkte den Blick. „Es gab diverse Gründe privater Natur, die einen Tapetenwechsel verlangten“, antwortete er kurz.

      „Hm“, brummte Hope. Das kann ich mir vorstellen. Doch sie hakte nicht weiter nach. Wie es schien, würde sie mit diesem Menschen niemals Freundschaft schließen, von daher mochte er seine privaten Probleme gern für sich behalten. Sie hatte derzeit genügend eigene Sorgen, die ihre volle Aufmerksamkeit in Anspruch nahmen. „Sie haben dort aber bereits als Ermittler gearbeitet, ist das richtig?“

      „Ja.“ Kurz und bündig.

      Hope zwang sich, nicht die Augen zu verdrehen. Bei einem Bewerbungsgespräch hätte er definitiv verloren. „Es ist schade, dass wir nicht mehr Zeit haben, uns näher kennen zu lernen“, sagte sie mit einer gewissen Ironie, „doch, wie bereits erwähnt, habe ich gleich noch ein Gespräch mit dem zweiten neuen Kollegen. Ich werde Detective Glover bitten, Ihnen Ihren neuen Schreibtisch zu zeigen, dann können Sie sich ein wenig mit Ihrem neuen Job hier bekanntmachen. Er wird Ihnen auch das Besprechungszimmer zeigen, wo wir uns um zehn Uhr zusammenfinden. Und zwar pünktlich.“

      Taylor hob den linken Mundwinkel und bewegte den Unterkiefer, verzichtete jedoch auf einen Kommentar zu ihrer spitzen Bemerkung.

      Sollte Adrian sich mit ihm herumschlagen. Vielleicht hatte der ja mehr Glück. Blieb nur zu hoffen, dass Luke Dorian ein angenehmerer Zeitgenosse war.

       Montag, 09. November, 9.55 Uhr

      Luke Dorian war das exakte Gegenteil von Detective Christian Taylor, sowohl optisch, als auch charaktermäßig. Der blonde, junge Cop mit der hellen Haut und den blauen Augen war aufgeschlossen und sichtlich glücklich darüber, dass Hope ihn mit Vornamen ansprach. Er sprudelte wie ein Wasserfall von seinem bisherigen Aufgabenfeld – hauptsächlich bei der Highway Patrol – und von Kollegen und seiner Ausbilderin, die ihn alle in seiner Entscheidung, zur Kriminalpolizei aufzusteigen, unterstützt hatten. Luke war ambitioniert und freundlich und Hope war sicher, dass er sich gut in ihr Team einfinden würde. Im Gegensatz zu Taylor, der um seine Person und Vergangenheit ein riesengroßes Geheimnis machte. Irgendetwas hatte dieser Typ zu verbergen und seit ihrer Fehleinschätzung bezüglich Bertram Sand, der vor wenigen Wochen alles zerstört hatte, was Hope lieb und teuer war, war sie ein gebranntes Kind. Dem gutaussehenden Dunklen konnte sie nur mit Distanz und Misstrauen begegnen.

      Hope eröffnete die Teamsitzung, zu der tatsächlich