Stephanie Carle

Neubeginn


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Mutter stand hinter der Spüle und schaute aus dem Fenster. Als sie Hope erblickte, legte sich ein Lächeln auf ihr Gesicht und sie winkte ihr aufgeregt zu, während von ihren Putzhandschuhen in grellem Neon-Pink munter der Spülschaum heruntertropfte. Dann verschwand der dunkle Haarschopf, um kurze Zeit später an der sich öffnenden Haustür wieder in Erscheinung zu treten.

      Hope stellte den Schalthebel auf Parken, zog den Zündschlüssel ab und stieg aus.

      „Hope!“, rief ihr die Mutter zu. „Was für eine Überraschung! Wieso hast du dich nicht angemeldet, dann hätte ich doch ein Abendessen vorbereitet! Oh…“ Sie hielt in ihrer Freude inne, als sie das verweinte Gesicht ihrer Tochter sah.

      „Ich bin spontan hergefahren“, flüsterte Hope und fiel ihrer Mum um den Hals, ganz wie früher, als sie noch Mamas kleines Mädchen gewesen war. Ellen Cromworth war stets der sichere Hafen in ihrem Leben gewesen, eine enge Vertraute, ein Rückzugsort für alle Fälle, ein Auffangnetz, wenn sie ganz tief zu fallen drohte.

      Ellen strich Hope sanft über den Kopf wie nur Mütter es tun und sagte: „Komm erst mal herein. Ich mache dir eine heiße Milch und Kekse habe ich auch da. Danach wird es dir gleich viel besser gehen.“

      Denselben Effekt wie früher, als Kekse und Milch wirklich jede Kindersorge verscheuchen konnten, hatte das liebevoll zubereitete Frustessen zwar nicht, aber dennoch ging es Hope danach ein wenig besser.

      Sie saß auf ihrem breiten Lieblingssessel, wohlig eingemummelt in eine kuschelweiche Decke, den mittlerweile dritten warmen Becher mit dampfender Milch in der Hand. Auf dem Wohnzimmertisch brannte ein Stövchen, auf dem Ellen gerade eine heiße Kanne Tee postierte, während sie in der linken Hand zwei Thermo-Teetassen jonglierte. Dann nahm sie auf der kleinen Couch Platz, die im rechten Winkel zu Hopes Sessel aufgestellt war, und lächelte ihrer Tochter aufmunternd zu. „Ist es wegen Conrad?“, fragte sie. „Es hat mich tief getroffen, als ich deine Email über seinen Tod gelesen habe.“

      „Ich habe eine Ladung zur Testamentseröffnung bekommen.“

      „Oh.“

      Hope nippte an der noch immer heißen Milch. „Conrads Frau war heute im Präsidium. Sie hat mich Flittchen genannt.“

      Ellen legte die Stirn in Falten und wartete auf einen ausführlicheren Bericht und so sprach sich Hope alle Sorgen von der Seele. Sie erzählte vom Zusammentreffen mit Eleanor Harper, von der Feindseligkeit ihres Chiefs und der Arroganz des neuen Kollegen. Ihre Mutter hörte aufmerksam zu, ohne sie zu unterbrechen, trank schweigend ihren Tee und nickte hin und wieder, um Hope zu signalisieren, dass sie ihr noch folgen konnte.

      Als Hope schließlich am Ende ihrer Berichterstattung angelangt war, neigte Ellen den Kopf und blickte ihre Tochter noch eine Weile nachdenklich an. „Woher kommen nur diese tiefen Selbstzweifel?“, fragte sie irgendwann ganz unvermittelt. „Du bist eine starke Frau. Du wirst dich doch nicht von einer Hure im Pelzmantel und einem Arschloch in Uniform kleinkriegen lassen!“

      Klare Worte waren typisch für ihre Mum. Das Leben hatte sie geprägt. Nachdem sie mit siebzehn unverheiratet schwanger geworden war, hatten ihre streng katholischen Eltern sie aus dem Haus geworfen. In der Überzeugung, in Hopes Vater den Mann ihres Lebens gefunden zu haben, war sie nach Alexandria gekommen und bei ihm eingezogen. Doch noch ehe Hope das Licht der Welt erblickte, hatte der feige Kerl sich bereits aus dem Staub gemacht und lag bei einer anderen im Bett.

      Ellen Cromworth hatte alles alleine geschafft. Arbeit, Kindererziehung, Haushalt… Es hatte Hope nie an etwas gemangelt. Ellen hatte Zeit und Geduld für sie, war liebevolle Mutter und verständnisvoller Vater zugleich, eine gute Zuhörerin und sie hatte ihrer Tochter stets alles ermöglicht, was diese sich in ihren Kopf gesetzt hatte. Hope wusste, was sie ihrer Mutter verdankte.

      „Ich bin nicht so stark wie du.“, warf sie ein.

      „Aber Conrad war der festen Überzeugung, dass du es bist“, hielt ihre Mum dagegen. „Sonst hätte er dich nicht für seine Nachfolge bestimmt.“

      Hope verzog das Gesicht, denn gegen diese logische Argumentation gab es nichts einzuwenden. Der Captain hatte an sie geglaubt und sie gefördert. Bis zum letzten Atemzug, als er sie im Haus der Familie Thomas, in dem sich eine unglaubliche Tragödie zugetragen hatte, am Boden liegend und wohlwissend, dass er sterben würde, ermahnt hatte, sich nicht unterkriegen zu lassen. „Du bist für mich die Tochter, die ich nie hatte“, waren seine Worte gewesen. „Du bist stark und klug. Lass dir von niemandem jemals etwas anderes einreden. Versprich es mir!“

      „Wenn Chief Rice mich raushaben will, dann wird er das auch schaffen“, sagte Hope missmutig. „Er ist derjenige mit Macht und Einfluss und die gewinnen immer.“

      „Wenn du jetzt alles hinwirfst und davonrennst, dann hat er bereits gewonnen“, schlussfolgerte Ellen. „Und es wird irgendwo irgendwann wieder eine neue Hope geben, die derselben Ansicht sein wird und hinwirft. Außer du beweist heute hier und jetzt das Gegenteil. Nämlich dass es doch möglich ist, den Mächtigen die Macht zu nehmen, den Einflussreichen den Einfluss und den Rechthabern ihre vermeintlichen Rechte.“

      Hope seufzte. Das klang alles so einfach. Dabei war es alles andere als das. Und sie war diejenige, die da durch musste. Das konnte ihre Mutter ihr nicht abnehmen. „Was würdest du an meiner Stelle tun?“

      Ellen zuckte die Achseln. „Das weiß ich nicht“, gab sie offen zu. „Vielleicht würde ich das Handtuch werfen, um den Chief in seiner Überzeugung, dass Frauen in Verantwortungspositionen nichts verloren haben, zu bestärken. Und der Witwe damit die Genugtuung geben, dass sie mit ihrer Hinterhältigkeit Erfolg hatte. Und Detective Taylor die Möglichkeit bieten, zum Captain deiner Einheit aufzusteigen.“

      „Ich hasse es, wenn du so gehässig bist“, murrte Hope, mehr darüber verärgert, dass ihre Mutter Recht hatte als über ihren vor Sarkasmus triefenden Satz. „Taylor wird niemals mein Team leiten. Vorher muss ihm zuerst einmal jemand Manieren beibringen und ihn von seinem hohen Ross holen.“

      „Du magst ihn!“, rief Ellen aus und strahlte dabei übers ganze Gesicht.

      Hope erstarrte. „Wie bitte? Nein!“, wies sie diese Idee weit von sich. „Niemals. Um Himmels Willen, Mum!“

      Ellen lachte und Hope warf in gespielter Beleidigung ein Kissen nach ihr. „Aber er sieht doch bestimmt gut aus, nicht wahr?“, sagte sie neckisch.

      „Mum, hör auf damit!“

      „Ein kleines, heimliches Techtelmechtel mit einem Kollegen würde dir sicher guttun.“

      Hope rollte mit den Augen. „Und mich wahrscheinlich schneller auf den obersten Platz auf Rices Abschussliste katapultieren, als ich Techtelmechtel aussprechen kann. Überhaupt – wer verwendet diesen archaischen Ausdruck heutzutage noch? Sowas kann nur von dir kommen!“

      Ellen winkte ab. „Ich übe schon einmal Großmuttersprache“, zwinkerte sie. „Außerdem stehst du bereits auf dem obersten Platz dieser Liste. Egal was du tust oder wie absolut korrekt du dich verhältst, ein Fehler wird dir früher oder später unterlaufen, denn kein Mensch ist perfekt“, prophezeite sie. „Und dann schnappt die Falle zu und das einzige, was dich retten kann, wird die Unterstützung und Loyalität deiner Kollegen sein. Das Vertrauen deines Teams und zwar von jedem einzelnen. Also auch von Detective Taylor. Aber meine Tochter ist schlau, ich bin sicher, ihr wird eine Möglichkeit einfallen, auch seine Sympathie zu gewinnen. Was ist, wollen wir noch eine Folge Desperate Housewives gucken?“, schwenkte sie unvermittelt zu einem vollkommen anderen Thema.

      „Diesen alten Kitsch?“, seufzte Hope. „Na los. Wirf die DVD schon ein. Kann ich danach wenigstens hier schlafen?“

       Dienstag, 10. November, 03.10 Uhr

      Aus einer Folge waren im Nu sieben geworden und als Hope sich in ihr altes Jugendbett fallen ließ, beschloss sie, am nächsten Morgen später arbeiten zu gehen. Ihre Pläne wurden jedoch jäh zerstört, als um kurz nach drei in der Früh ein aufgeregter, junger Polizist aus der Einsatzverteilerzentrale auf ihrem Handy anklingelte und der noch im Halbschlaf