Stephanie Carle

Neubeginn


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den näheren Einzelheiten lauschte, schlüpfte sie mit Unterstützung der anderen Hand ungeschickt in ihre Jeans und in das Shirt vom Vortag. Auf Grund des weiten Anfahrtswegs würde sie nicht einmal mehr duschen können…

       Na toll, ich rieche wie ein Otter…

      Die Zeit, die die Kaffeemaschine zum Brühen benötigte, nutzte Hope dafür, ihrer Mum ein paar Zeilen bezüglich ihres überhasteten Aufbruchs nieder zu kritzeln, dann füllte sie die dampfende, schwarze Brühe in eine Isolierkanne, streifte hastig die Jacke über und rannte zu ihrem Wagen. Um diese frühe Uhrzeit sollten wenigstens die Straßen frei sein. Dennoch montierte Hope vorsichtshalber das mobile Blaulicht auf dem Dach und fuhr mit laut quietschenden Reifen an.

      Wie dankbar war sie dem Erfinder der Spracherkennungssoftware, mit deren Hilfe ihr Handy auf Zuruf die Nummer von Adrian wählte, der nach kurzem Freizeichen müde abhob. „Wir haben einen ersten Fall“, setzte sie ihn in Kenntnis. „Und laut Navi benötige ich noch fünfzig Minuten zum Tatort.“

      „Scheiße, wo bist du denn?“, fragte Adrian und aus dem Rascheln im Hintergrund schloss Hope, dass er dieselbe Anziehprozedur durchlief, wie sie kurz zuvor.

      „Ich war bei meiner Mum. Egal“, versuchte Hope die Sache abzutun und sich damit weitere, unnötige Erklärungen zu ersparen. „Eine weibliche Leiche auf dem Parkplatz des Kroger Food Stores in der Benton Road in Bossier City. Kannst du mit Grace früher dort sein als ich? Ich schicke auch noch Taylor los.“

      „Ich versuche es. Bis dann.“

      Zum Glück gestalteten sich solche Telefonate immer kurz, weil nur die wesentlichen Punkte geklärt wurden; danach musste jeder Ermittler sich auf seine ganz persönliche Art und Weise auf den Anblick eines weiteren, durch Gewalteinwirkung ausgelöschten Lebens einzustellen.

      Hope drehte das Radio auf, um einem Sekundenschlaf vorzubeugen, und trällerte lauthals mit. Das blinkende Sirenenlicht gab ihr die Berechtigung, sämtliche Tempobeschränkungen zu ignorieren.

      Im Fünfminutentakt klingelte sie bei Detective Christian Taylor durch, doch stets meldete sich nur die Mailbox. Es war Taylors erste Woche und schon jetzt fiel er durch seine Unzuverlässigkeit negativ auf. Die Musterakten mussten gefälscht sein! Hope notierte sich im Kopf, dass sie sich bei nächster Gelegenheit einmal direkt mit den Kollegen in Milwaukee in Verbindung setzen wollte, um etwas mehr über den neuen Ermittler in ihrem Team in Erfahrung zu bringen. Aus erster Hand sozusagen.

       Dienstag, 10. November, 04.00 Uhr

      Hope passierte gerade das Willkommensschild von Shreveport, als ein brummelnder Taylor endlich ranging.

      „Guten Morgen, Herr Kollege. Schön, Sie zu erreichen.“ Sie konnte sich den bissigen Kommentar nicht verkneifen. „Haben Sie schon einmal etwas davon gehört, dass Sie auch erreichbar sein müssen, wenn Sie Dienst haben?“

      Einen etwas zu langen Augenblick blieb es still in der Leitung und Hope konnte sich lebhaft vorstellen, wie Taylor wütend mit den Zähnen knirschte. „Rufen Sie deshalb mitten in der Nacht an, um mich über meine dienstlichen Pflichten zu informieren?“, fragte er schließlich nicht weniger bissig zurück. „Das hätte auch bis morgen früh warten können.“

      „Nein“, schnitt Hope ihm das Wort ab. „Ich rufe an, weil wir zu einem neuen Fall gerufen werden. Eine weibliche Leiche in der Benton Road. Wie schnell können Sie dort sein?“

      Taylor räusperte sich und den Hintergrundgeräuschen nach zu urteilen, versuchte er gerade seine Gürtelschnalle zu schließen. „Wird mir das Navi gleich verraten“, gab er kurz zurück und drückte ihren Anruf weg.

      Ungläubig schüttelte Hope den Kopf, murmelte ein paar Schimpfworte auf ihren neuen Kollegen und trat mit Nachdruck auf das Gaspedal. Erst als sie in die Benton Road einbog, drosselte sie ihre Geschwindigkeit und lenkte ihren Wagen in die nächstbeste Parklücke.

      Wie sie erwartet hatte, war Adrian bereits am Tatort, als sie dort eintraf. Zwei Streifenpolizisten hatten die Stelle um die Leiche mehr schlecht als recht mit gelbem Polizeiband abgesperrt und waren jetzt damit beschäftigt, betrunkene und bekiffte Discoheimgänger davon abzuhalten, eventuell vorhandene Spuren zu verwischen.

      Detective Taylor war nicht zu sehen.

      Hope schürzte die Lippen, drängte zwei Jugendliche etwas grob zur Seite, während diese ihr unverständliche Laute entgegenblafften. Offensichtlich wussten sie nicht, dass sie sie allein wegen ihres alkoholgeschwängerten Atems in die Ausnüchterungszelle hätte sperren können.

      „Hope!“ Adrian winkte ihr mit behandschuhten Fingern zu. „Sie ist tot.“

      Hope kroch unter dem viel zu hoch gespannten Band hindurch und nahm die Handschuhe entgegen, die Adrian ihr reichte.

      „Kein Puls, kein Herzschlag, keine Atembewegungen… Ihr Körper ist schon relativ kalt.“ Adrian gab die Fakten wieder, während sein Atem leichte Wölkchen in der Luft formte.

      Hope vermutete, dass es bei diesen Temperaturen recht schnell ging, dass ein bewegungsloser Körper auskühlte. Doch dass die Frau am Boden tot war, war dennoch eine unabänderliche Tatsache.

      „Offensichtliche Wunden, an denen sie gestorben sein könnte?“

      Adrian hob die Schultern. „Ich hoffe, dass die Spurensicherung demnächst mit einer Flutlichtquelle hier eintrifft. Bei diesen ständig wechselnden Lichtverhältnissen aus den umstehenden Tanzcafés ist das schwer zu sagen. Ich kann kein Blut entdecken, doch ein Schwarzlichtcheck sollte uns da bessere Auskunft geben können.“

      Hope nickte. Um den mit Rock und zugeknöpfter Bluse bekleideten Leichnam der jungen Frau waren keine Blutspuren zu erkennen. Sogar die Nylonstrümpfe wiesen, abgesehen von einer kleinen Laufmasche, keine Beschädigung auf und die Pumps saßen fest an den Füßen der Toten. Hope kam aus der Hocke hoch. „Auch auf den ersten Blick nichts, das für eine Vergewaltigung spricht.“ Das war zwar erst einmal ein positives Zeichen, doch es erschwerte das Finden des Tatmotivs. Hope ließ ihren Blick umherschweifen.

      Dieser Teil von Bossier City war bekannt für seinen hohen Anteil an afroamerikanischen Mitbewohnern. Während diese ethnische Gruppe in der Stadt Shreveport etwa die Hälfte der Einwohner darstellte, schätzte Hope sie hier auf mindestens achtzig Prozent.

      In der Benton Road war man in Feierlaune. Sieben Nächte die Woche wurde hier getanzt, getrunken, gefeiert und auf jede erdenkliche Weise dem Laster gefrönt. Spielhöllen reihten sich neben Diskotheken, Tanzbars und billigen Spelunken. Das Rotlichtmilieu hielt sich dezent im Hintergrund, war aber dennoch spürbar.

      Hope schaute wieder auf die Tote hinab und überlegte, ob sie wohl ein Teil dieser sündhaften Gegend oder lediglich ihr Gast gewesen war. „Was schätzt du, wie alt sie war?“, fragte sie, in Gedanken noch immer jede Option erwägend.

      Adrian holte tief Luft. „Schwer zu sagen“, meinte er. „Jedenfalls ist ihr Teint nicht so dunkel wie der der übrigen, die hier herumlungern.“

      „Ja, das ist mir auch aufgefallen“, sagte Hope und kaute nachdenklich auf ihrer Unterlippe. „Lateinamerikanisch. Was hatte sie hier zu suchen?“

      Adrian schüttelte den Kopf. „Mann, wenn Bishop nicht bald seinen Arsch hierher bewegt, breche ich ihm alle Knochen. Mir ist schweinekalt und das Herumstehen und Warten macht es nicht besser.“

      Hope warf ebenfalls einen Blick auf seine Armbanduhr. „Und wenn Detective Taylor nicht bald seinen Arsch hierher bewegt, dann breche ich ihm alle Knochen.“

      „Wie charmant.“

      Hope und Adrian fuhren gleichermaßen erschrocken herum.

      Der hochgewachsene Mann mit den schwarzen Haaren, auf denen er nicht einmal eine Mütze trug, senkte ehrerbietend den Kopf. „Detective Taylor, zu Ihren Diensten.“

      Hope hätte ihm für diesen offen zur Schau getragenen Sarkasmus am liebsten tatsächlich alle Knochen gebrochen. Doch sie gab sich mit einem kurzen: „Wie erfreulich; und das mit einer nicht nennenswerten