Stephanie Carle

Neubeginn


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aber keine Prostituierte, auch wenn sie für ihre tägliche Dosis wohl so einiges in diese Richtung auf sich genommen hat“, sprudelte Taylor los und schien Hopes Verblüffung in vollen Zügen zu genießen.

      Hope schloss den Mund, der ihr vor Verwunderung aufgeklappt war, und schluckte, bevor sie weitersprechen konnte. „Und damit rücken Sie erst jetzt heraus?“ Sie winkte ab, weil er schon wieder Anstalten machte, mit irgendeiner an den Haaren herbeigezogenen Entschuldigung aufzuwarten und fuhr stattdessen fort: „Also suchen wir unser Motiv im Drogenbereich?“

      Ihr Gegenüber lächelte und schüttelte dabei den Kopf. „Nein, ermordet wurde sie im Zusammenhang mit einer Bandensache. Ich habe nur leider noch nicht herausgefunden, wie sich alles ineinanderfügt.“ Er kostete seine Informationen, die er ihr nur häppchenweise zuwarf wie einem räudigen Köter die Abfälle von Knochen, in vollen Zügen.

      Hope blähte die Nasenflügel und atmete tief ein. Am liebsten hätte sie sich die Ohrläppchen gerieben und ein beruhigendes Wuuuzaaa gestöhnt. Doch diese Blöße würde sie sich nun wirklich nicht in seiner Gegenwart geben. „Nach Ihren Ausführungen zu urteilen, scheint es mir, als könnten Sie diesen Fall ganz alleine lösen.“

      Christian Taylor schwieg, beobachtete sie jedoch aufmerksam. War ja zu erwarten. Hope schürzte die Lippen, blinzelte ein paarmal und fragte schließlich: „Und wie kommen Sie zu all diesen Informationen?“

      Die braunen Augen des Angesprochenen sprühten regelrecht Funken, so groß schien die Freude, die es ihm bereitete, trotz seiner untergeordneten Position den Stärkeren zu spielen. „Tja, ich fürchte, diese Frage werde ich Ihnen wohl erst bei der Besprechung beantworten können, denn die beginnt in wenigen Sekunden. Und wir wollen doch dafür nicht zu spät kommen, wo Sie mich gerade über die Dringlichkeit von pünktlichem Erscheinen aufgeklärt haben. Nicht wahr, Boss?“

       Dienstag, 10. November, 09.31 Uhr

      Ein Boxsack kam als dritten Punkt auf die Liste der zu erledigenden Dinge und Hope beschloss, sie in der nächsten freien Minute zu Papier zu bringen. Denn in der Geschwindigkeit, in der sich die einzelnen Positionen häuften, würde sie bis zum Ende der Woche einen ganzen Notizblock vollgeschrieben haben.

      Es waren sämtliche Teammitglieder versammelt und auch wenn sie – abgesehen von einer Ausnahme – ihr alle wohlgesonnen waren, hätte Hope sonst etwas darum gegeben, dass Conrad Harper heute das Wort führte. Doch er würde nicht mehr zurückkehren und die bevorstehende Testamentseröffnung machte die Sache nicht besser. Vielleicht sollte ich meine Waffe dorthin mitnehmen. Nur für alle Fälle. Mrs. Harper schien zu allem bereit, wenn es darum ging, ihr vermeintliches Erbe zu verteidigen.

      Hope räusperte sich, um sich ganz und gar auf ihren aktuellen Fall zu konzentrieren und dabei alle Nebenkriegsschauplätze aus ihren Gedanken zu vertreiben. Wenigstens vorläufig.

      „Guten Morgen und danke, dass ihr alle so pünktlich hier seid“, begann Hope mit eröffnenden Worten. „Grace, Marc und Luke, ich gehe davon aus, dass ihr bereits im Bilde seid, was unseren neuen Fall angeht?“

      Die Angesprochenen nickten unisono. „Adrian hat uns aufgeklärt“, erläuterte Marc. „Ich bin direkt vor der Arbeit noch zu Lynne gefahren und habe mich nach dem aktuellen Kenntnisstand von Seiten der Gerichtsmedizin erkundigt.“

      „Prima. Dann notiere ich das als ersten Punkt auf unserer heutigen Agenda“, beschloss Hope und tippte das Stichwort in ihren Laptop, der kabellos mit einem Beamer verbunden war und das aktuelle Desktopbild auf die weiße Wand projizierte. In diesem Raum fiel es ihr seltsamerweise einfacher, die alt eingesessenen Traditionen von Conrad zu modernisieren. „Danach möchte Detective Tylor uns noch ein paar Ermittlungsergebnisse mitteilen, wie er mir gerade beim Gespräch eröffnet hat.“ Sie schrieb auch dieses auf der Tastatur. „Und schließlich werden wir uns Gedanken über unser weiteres Vorgehen machen müssen und eine Aufgabenverteilung vornehmen. Gibt es weitere Punkte, die ich vergessen habe?“ Das allgemeine Schweigen und vereinzelte Kopfschütteln deutete Hope als Zeichen dafür, dass ihre Aufstellung vollständig war. „Gut, Marc? Dann hast du hiermit das Wort.“

      Marc setzte sich reflexartig ein Stück aufrechter, während er einen Bündel Blätter vor sich hochkant nahm und auf den Schreibtisch klopfte, um sie zu einem passenden Stapel zusammenzubringen. „Nun, die Leiche wurde gegen sechs Uhr dreißig in der rechtsmedizinischen Abteilung angenommen. Bis die Formalitäten geklärt waren, war es gut eine halbe Stunde später und um halb neun bin ich gefahren, so dass Lynne definitiv noch nicht die Zeit hatte, uns abschließende Ergebnisse aufzuschreiben. Was ich hier habe, sind oberflächliche Untersuchungen und erste Schnelltests. Ob sie hilfreich sind, weiß ich nicht, aber sie decken sich mit den vorläufigen Ergebnissen der Spurensicherung, die Bishop uns per Fax hat zukommen lassen“, begann Marc seine Ausführungen. „Bei der Leiche handelt es sich um eine weibliche Person im Alter 21 bis 23 Jahren. Es liegen keine offensichtlichen Spuren einer Sexualstraftat vor. Die Frau war zum Todeszeitpunkt vollständig bekleidet. Einstichstellen unter ihren Finger- und Fußnägeln, sowie Vernarbungen an beiden Hand- sowie Kniegelenken deuten auf regelmäßigen Drogenkonsum hin. Wobei selbstverständlich noch auf die Laborwerte hierzu gewartet werden muss, um dies eindeutig zu belegen und auch eventuell nachzuweisen, um welche Art von Drogen es sich handelt.“

      „Bis diese forensischen Screeningtestergebnisse vorliegen, was geschätzte sieben Tage dauern kann“, schaltete Tylor sich ein, „sollten wir davon ausgehen, dass es sich um sogenanntes Braunes Heroin handelt.“

      Nicht nur Hope, auch die übrigen Teammitglieder starrten ihn verständnislos an und warteten auf eine Erläuterung seiner in den Raum gestellten Vermutung. „Aha. Und das… sagt dir dein Bauchgefühl?“, erkundigte sich Adrian schließlich und legte dabei den Kopf leicht schräg.

      „An Braunes Heroin ist wesentlich günstiger heranzukommen als an das Weiße Heroin. Letzteres obliegt strengeren Reinheitsgeboten und wird nicht so stark und vielfältig gestreckt wie die braune Variante. Reichere Drogensüchtige halten sich daher an die weiße Form, weil der Qualitätsunterschied von ‚Kennern‘ deutlich zu spüren ist. Mittellosen Junkies dagegen ist jede Mischung recht, sofern sie sie eine gewisse Zeitlang abheben lässt“, führte Taylor aus. „In der Benton Road sind ein paar Locations angesiedelt, die Braunes Heroin vertreiben. Ich gehe davon aus, dass unsere Tote aus diesem Zweck nach Bossier City gekommen war. Gerade dieses Gebiet wird dominiert von einer afroamerikanischen Mehrheit, von denen ein Großteil sich in verschiedenen Clans zusammengefunden hat. Eine der Banden dort, die sich auf das Dealen von Heroin spezialisiert hat, nennt sich die Black Disciples. Ihre Verkaufsstrategie ist einfach: Produziere billige Rauschmittel für jedermann. Meist ist das Zeug jedoch so stark gestreckt, dass es entweder kaum eine Wirkung zeigt, oder zu Übelkeit, Erbrechen oder – in fataleren Fällen – zu schweren Erkrankungen oder sogar dem Tod führt.“

      Nicht nur Hope war sprachlos über diesen plötzlichen Wortschwall des neuen Kollegen. Was er sagte, schien Hand und Fuß zu haben und klang plausibel.

      Marc pfiff durch die halb geschlossenen Lippen. „Da kennt sich jemand aus“, lobte er anerkennend und legte seine Notizen auf der Tischplatte ab. „Das lässt uns wohl davon ausgehen, dass unsere Leiche einen dieser, wie hast du es so schön ausgedrückt, fatalen Fälle darstellt. Offensichtliche Wunden durch äußerliche Fremdeinwirkung und Gewaltanwendung konnte Lynne nämlich nicht entdecken.“

      Taylor hob die Schultern, dann atmete er gedehnt aus. „Ich vermute, dass die Sache viel tiefgreifender ist. Aber das kann ich nicht mit Sicherheit sagen. Ich habe mich heute früh mit einem Barkeeper unterhalten. Ihm gehört das PomPom.“ Das Schmunzeln und Grinsen der Anwesenden überging Taylor gekonnt. „Jeder, der etwas auf sich hält, besucht das PomPom, wenn er sich in Bossier City aufhält. Es ist der einzige Ort in ganz Louisiana, in dem es Bier gibt, welches nach original deutschem Reinheitsgebot gebraut wurde.“

      „Hm, vielleicht sollten wir unsere Weihnachtsfeier dieses Jahr dort abhalten“, schlug Adrian vor, um die gerade entstandene Vertrautheit noch ein wenig zu intensivieren.

      „Jedenfalls habe ich so in Erfahrung gebracht, dass es sich bei unserer Toten höchstwahrscheinlich