Klaus Bock

Morituri


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sie die Schlauberger vom Feuilleton fragen… Die wissen immer alles. Ist politisch nicht mehr korrekt! Political correctness, das ist jetzt in. Absolut. Jetzt müssen sogar Kinderbücher umgeschrieben werden, wenn da von Negern die Rede ist… Als ob das keine Neger mehr wären, nur wenn wir sie jetzt Schwarze nennen sollen! Wahrscheinlich muss man bald auch Gelber statt Chinese sagen! Die spinnen doch, die…, die... Ach was“, winkte es ab, „haben sie Gelbwurst „ohne“, Frau Z?“

      Und dann drehte er sich zu Hanna um und sagte, „Oder nehmen sie Israel. Die können alles machen, die Israelis, egal ob die Reaktoren in anderen Ländern zerbombten wie damals 1981 im Irak oder in Syrien 2007, oder ob sie im Gaza-Streifen Palästinenser unterdrücken oder ob die irgendwann die Perser angreifen werden, prophylaktisch natürlich, wir Deutschen müssen immer alles abnicken und auch noch gut finden und natürlich auch noch unterstützen, vor allem finanziell… Kritische Gedanken darf man da nicht äußern als Deutscher! Nie, und wenn doch, ist man gleich ein Ewiggestriger! Ein Rechter, ein Nazi. Nicht mal ein Gedicht4 darf man gegen die schreiben… Nicht einmal als Literatur-Nobelpreisträger! Ist politisch nicht mehr opportun, so einfach ist das. Naja, ich bin ein alter Mann, ich sage das einfach! Was ist jetzt mit der Gelbwurst?“

      „Ja“, lachte Hanna, „da haben sie schon Recht, aber komischerweise darf man einen Pazifik-Lachs, der nun wahrlich kein Lachs ist, als echten Lachs verkaufen, dabei ist der in Wirklichkeit nur sehr entfernt mit dem richtigen Lachs verwandt, wenn überhaupt…“

      „Da geht`s ums Geld!“, lachte Herr Mittermayer sarkastisch, „das ist etwas anderes, glaube ich.“

      „Wieso, Frau Doktor, was ist das mit dem Lachs?“, fragte Frau Z.

      „Ach Frau Z., das ist eine lange Geschichte, die erzähle ich ein anderes Mal, wenn es sie interessiert!“

      „Und Gelbwurst „ohne“ habe ich, wie viel soll`s denn sein? 100 Gramm, wie immer? Nicht so dünn geschnitten?“, Herr Mittermayr nickte und sagte dann: „Und eine Semmel. Bitte.“

      Herr F. war inzwischen von seinem Beobachtungsplatz auf der Bierkiste vor der Ladentür hereingekommen und hatte nur die letzten Worte mitbekommen: „Was ist das mit dem Lachs?“ fragte er neugierig.

      „Ein anderes Mal, Herr F., ein anderes Mal…“, lachte Hanna, „ich muss wieder los!“

      20. März. Hübnerstraße Ecke Fuertererstraße

      13.30 Uhr. Die Polizei hatte zwei oder drei Tage „rumgeschnüffelt“ und danach Hannelores Leiche freigegeben. Wolf-Dieter und Udo hatten gar nichts gewusst, als sie kurz befragt worden waren: „Unvorstellbar sei das alles für sie“ und „Nein, sie hatte nichts angekündigt… sie war doch sehr krank gewesen“ und „Man kann ja nicht in die Menschen reinschauen, oder?“ und „Ja, in den letzten Tagen ist sie schon irgendwie anders gewesen, so verschlossen, wissen Sie, aber wer hätte denn ahnen können, was sie da vor hatte? An so etwas denkt man doch auch nicht, oder?“ hatten sie una voce gesagt. Die Kommissare (die übrigens viel jünger waren als die im München Tatort) waren es zufrieden gewesen und bald wieder verschwunden.

      Die Sammelbüchse auf dem Tresen war fast geplatzt, soviel hatten die Kundinnen und Kunden für Hannelore hinein gesteckt. Frau Z. hatte den Kranz bei den „Blumenbuben“ in der Agnes- an Ecke Tengstraße bestellt, erstens, weil sie die Kränze da immer bestellte und zweitens, weil „die es nämlich immer besonders schön machen und nicht so „larifari““, wie sie sagte. Da Frau Z. die Chefin war, sagte niemand etwas dagegen und außerdem hatte sie ja Recht, wie die letzten Kränze bewiesen hatten.

      Die Trauerfeier würde nun in gut einer Stunde auf dem Westfriedhof stattfinden.

      Dort sollte Hannelore anonym in einer Urne beigesetzt werden. In „illustrer Gesellschaft“, wie man wusste, denn auf diesem Friedhof fanden sich unter anderen – natürlich nicht anonym – die Grabstätten der Sängerin Alexandra, der Lindenstraße-Schauspielerin Tilli Breidenbach, von Maxl Graf vom Komödienstadl, auch vom Urgestein der Münchner Lach- und Schießgesellschaft, der Ursula Herking, vom „Was bin ich?“-Robert Lembke, vom Malerfürsten Franz von Lenbach, die russisch-Münchner Größe Väterchen Timofei ruhte auf dem Westfriedhof, die schöne Ex-Kaiserin Soraya und sogar der Schachgroßmeisters Unzicker, sowie – das wurde nicht verschwiegen – Ernst Röhm, einst Stabschef der SA, war dort bestattet.

      Vor dem Laden haben sich um die zehn gedeckt gekleidete Personen versammelt, die im Schlagschatten der Häuser auf die Taxen warten, die sie zum Friedhof bringen sollen.

      Wenige hundert Meter entfernt, an der nächsten Ecke, wartet auf der anderen Straßenseite im strahlenden Schein der jahreszeitlich bedingt tief stehenden Sonne, die genau durch die Fuertererstraße fällt, eine andere Gruppe auf ihr Großtaxi.

      Und weil es eine besondere Gruppe war, soll sie kurz vorgestellt werden:

      Hanna

      Als erste war da Hanna in ihrem Rollstuhl. Sie konnte sich mit ihren siebzig Jahren in ihrer Wohnung oder bei kurzen Strecken zwar auch ohne Rollstuhl bewegen, aber Rheuma, Gicht und eine Polyneuropathie ließen ihren Bewegungsspielraum immer kleiner werden. Ein Prozess, der sich in letzter Zeit offenbar beschleunigte, weshalb sie ihre Wohnung nicht mehr so häufig verließ – die heutige Trauerfeier war so eine Gelegenheit, obwohl sie Hannelore eigentlich kaum gekannt hatte...

      Hanna gehört das Häuserensemble an der Ecke Fuertererstraße und Hübnerstraße. Sie war Doktorin der Biologie, aber sie arbeitete schon viele Jahre nicht mehr. Sie war unangefochten „die Chefin“ in ihrem Bekanntenkreis, was sie aber nicht ihrem Geld verdankte, sondern ihrer Ausstrahlung und Intelligenz.

      Sie saß im Nerzmantel über schwarzem Hosenanzug mit Pumps in ihrem Rollstuhl. Ihre kurzen weißen Haare zeigten einige bunt gefärbte Spitzen über der Stirn, das ergab fast einen Regenbogen. Natürlich war sie geschminkt – nicht zu viel, nicht zu wenig, aber sichtbar. Sie war – auch im Rollstuhl – eine gut aussehende Dame, die älter war als sie aussah.

      Um die Schultern hatte sie ein großes Tuch gelegt und in der Hand hielt sie zusätzlich ein Wollplaid, das sie bei Bedarf über die Beine legen konnte. Eine so elegante Frau mit Nerz und Pumps im Rollstuhl – das war schon ein unerwarteter Anblick, aber typisch für Dr. Hanna, die eindeutig das Ungewöhnliche bevorzugte.

      Sarah

      Hinter ihr stand Sarah. Sarah war...- einmalig, hinreißend, ein Bild von einer Frau. Sie war (optisch) irgendetwas zwischen Anfang bis Mitte Fünfzig und eine „Frau in den allerbesten Jahren“. Nicht klein, nicht groß, nicht dick, nicht dünn - einfach nur sehr, sehr proper gebaut.

      Sie war ganz in Grau gekleidet: Ein keckes graues Hütchen auf den kurzen Haaren leitete den interessierten Blick in ihre blauen Augen, darunter ein rundes Gesicht, dessen sehr roter Mund meistens ein Lächeln zeigte.

      Über dem grauen Kostüm trug sie einen grauen Wollmantel, die Beine (natürlich in grauen Strümpfen) endeten sehr wohlgeformt in grauen pelzgefütterten Kurzstiefeln.

      Kurz: Sarah ist „ein Hingucker“ – nicht zuletzt deshalb, weil sie den Mantel offen trug, der ansonsten ihren durchaus beachtlichen Busen versteckt hätte.

      Sarah wohnte als mit Abstand jüngste, als das „Nesthäkchen“ und beste Freundin von Hanna, in der Alten-WG der anderen. Schräg gegenüber im Haus an der Ecke Artilleriestraße hatte sie ein kleines Studio, in dem sie zwei- bis dreimal pro Woche Stammkunden empfing, die sie „liebevoll“ betreute.

      „Das ist viel leichter, als als eine Krankenschwester Schichtdienst im Klinikum zu schieben - und ich weiß wovon ich rede“, erläuterte die blonde mit wasserblauen Augen in die Welt schauende bildhübsche Sarah den „Genossen“ manchmal, „und es ist viel, viel besser bezahlt... Wisst ihr eigentlich, was ich einmal als Rente kriegen würde, wenn ich nach vierzig Jahren noch im Häubchen durch die Krankenhausgänge