Tobias Fischer

Veyron Swift und der Schattenkönig


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gesteuert, erfasst und katalogisiert. Von hier aus tätigt Floyd seine Einkäufe, von hier aus fließen Kapitalströme ins Ausland und wieder zurück«, erklärte er Tom.

      »Ihr redet, als würden wir dem Mann gleich begegnen. Aber Floyd Ramer hat doch vor etwa zehn Jahren Selbstmord begangen. Das stand in allen Zeitungen, und das Internet war voll von Verschwörungstheorien«, wandte Danny ungläubig ein.

      Veyron lachte laut auf, als er das hörte. »Ja, das soll die ganze Welt denken. Die Wahrheit ist, dass er vor zehn Jahren dorthin ging, wo wir auch hingelangen wollen: nach Elderwelt. Aber das werden Sie hoffentlich alles sehr bald selbst sehen«, sagte er.

      Sie nahmen die westliche der beiden Brücken, wo sie bereits von Agent Hunter erwartet wurden. Sie trug einen teuren beigefarbenen Designeranzug, der sie wie eine knallharte und erfolgreiche Geschäftsfrau aussehen ließ. Als Gepäck hatte sie nur ein modisches Köfferchen dabei, farblich genau auf ihren Anzug abgestimmt.

      Veyron begrüßte sie mit einem saftigen Tadel. »Sie können von Glück sagen, das der Schattenkönig letzte Nacht keine Lust auf weiteren Mord hatte. Es war sehr unklug von Ihnen, uns zu verlassen und sich aus dem Krankenhaus davonzustehlen. Außerhalb der Mauern wären Sie leichte Beute gewesen.«

      Agent Hunter lächelte nicht, sie zeigte überhaupt keine Gefühlsregung, als sie erwiderte: »Ich habe den Befehl, mich Ihnen anzuschließen, Mr. Swift. Ich bin angewiesen worden, zu tun, was Sie von mir verlangen, sobald wir Elderwelt erreicht haben.«

      Tom hatte das Gefühl, als empfände sie das als Demütigung. Aber heiligte der Zweck für sie nicht die Mittel? Für Königin und Vaterland würde Agent Hunter sich Veyron unterordnen und notfalls jede Schikane ertragen, da war er sicher. Ich werde ihr keinen Moment über den Weg trauen, entschied er im Stillen.

      »Also, ich find’s auch schön, dass du wieder mit dabei bist. Eine echte Geheimagentin, hm? Das ist ja was!«, rief Danny und grinste Hunter breit an.

      Tom bemerkte, dass sie kurz einatmete, länger und tiefer als gewöhnlich, fast, als unterdrückte sie einen Seufzer des Überdrusses.

      »Verzeihung, Mr. Swift. Aber was macht der noch hier? Wohin wir uns begeben, erwarten uns wahrscheinlich jede Menge Gefahren. Zivilisten haben bei dieser Angelegenheit nichts verloren. Mr. Darrow ist nur Ballast«, sagte sie halblaut.

      Veyron würdigte sie keines Blickes, sondern marschierte schnurstracks weiter als er ihr antwortete: »Um eines klarzustellen: Ich bringe niemanden zu einem Abenteuer mit, der unnütz ist. Letzte Nacht hat Mr. Darrow die Vampire vom Bus aus im Auge behalten. Das ist weit mehr als das, zu dem Sie imstande waren. Von daher frage ich mich, wer hier der Ballast ist. Alles, was ich tue, geschieht mit exakter Berechnung und ist Teil eines fein austarierten und wohlüberlegten Plans.«

      Dieser Rüffel saß. Hunter lief rot an und schaute zu Boden. Tom fand es nur gerecht, und wäre es nach ihm gegangen, er hätte diese hinterlistige Schlange gar nicht erst mitgenommen. Das Ausnutzen des armen Ernie Fraud wollte er ihr ebenso wenig vergeben wie die Falle in der False Lane. Hinzu kam ja noch, dass sie auch Danny ganz übel mitgespielt hatte.

      Der schien jedoch keinerlei Abneigung der Frau gegenüber zu verspüren. »Nimm’s ihm nicht krumm, Fiona. Mr. Swift ist ein Genie, das kann ich dir sagen. Ich hab noch nie jemanden gesehen, der mit einem Bus einen Eins-a-Drift hinlegen kann.«

      »Hören Sie auf, mich Fiona zu nennen, Mr. Darrow«, raunzte sie ihn an.

      Danny hob überrascht die Augenbrauen. »Ach, sind wir wieder beim Sie? Na schön, was wär dir denn recht? Amanda vielleicht oder doch lieber Agent Hunter?«, gab er zurück, so unschuldig dreinblickend wie ein Fünfjähriger mit Schokoladenresten im Gesicht.

      Hunters Wangenfarbe wurde noch einmal eine Nuance roter. Tom fand das klasse. Danny hatte sie am Wickel, sehr gut!

      »Gwen«, murmelte sie. »Ich heiße Gwen. Oder Gwendolyn, wenn Sie es genau wissen wollen.«

      »Gwen, das gefällt mir. Gwen … Also, ich bin immer noch Danny, so wie vor zwei Wochen.«

      Diesmal erwiderte sie nichts mehr, sondern beschleunigte ihre Schritte, um zu Veyron aufzuschließen. Danny trottete ihr mit einem vergnügten Lächeln hinterher. Zu Tom gewandt, raunte er: »Was für eine fantastische Frau. So wunderbar zickig, es ist eine echte Freude. Die ist nichts für jeden, ein richtiger Schatz.«

      Tom glaubte, nicht recht zu hören. Das meinte Danny doch sicher nicht ernst, oder? Nach all den Tricks, die diese Frau abgezogen hatte? »Ich bin mir nicht sicher, ob du dich da nicht in was verrannt hast, Danny«, meinte er skeptisch.

      Danny lachte darüber nur und schlug Tom so fest auf den Rücken, dass es schmerzte. »Ach, Tom. Du musst noch viel lernen. Aber das erklär ich dir später, wenn wir mal unter uns sind und richtige Männergespräche führen können. Okay?«

      »Klar.« Trotzdem blieb er bei seiner Meinung, dass Danny einen ausgesprochen schlechten Frauengeschmack besaß – zumindest, was das Charakterliche betraf.

      Tom kannte die gewaltigen Paläste Elderwelts, Hallen aus weißem Marmor, verziert mit den kostbarsten Materialien, die man sich vorstellen konnte. Die Lobby der Ramer-Stiftung stand ihnen in Dimension und Ausstattung in nichts nach. Jeder Tisch, jeder Sessel – sogar die Wartestühle – waren mit Chrom- oder Goldleisten verziert, überall funkelte und blinkte es; Glas und Spiegel, wohin das Auge auch fiel. Um zum Empfang zu kommen, mussten sie erst einmal eine schier endlose Rolltreppe in den ersten Stock nehmen. Tom fiel auf, dass sich sogar Danny und Gwen erstaunt umsahen.

      »Was hat das alles gekostet?«, hörte er Danny immer wieder leise fragen.

      Hunter fühlte sich verpflichtet, darauf zu antworten. »Ein Vermögen. Wir haben versucht herauszufinden, aus welchen Quellen die Ramer-Stiftung sich finanziert, konnten aber den Ursprung nicht identifizieren. Diese Organisation verfügt über unvorstellbare Mittel und Ressourcen, verteilt über die ganze Welt.«

      Tom lächelte still in sich hinein, als er das hörte. Gwen Hunter mochte zwar beim MI-6 arbeiten, aber über Elderwelt, seine Bewohner und Regenten, wusste sie gar nichts. Floyd Ramer, der angeblich verstorbene Milliardenerbe, war der vielleicht reichste Mensch der Erde. Kein Aufwand war ihm zu groß, kein Preis zu teuer. Nun, das würden die beiden schon noch erfahren, falls sie ihn kennenlernten.

      Oben angekommen steuerte Veyron schnurstracks den nächsten freien Empfangsschalter an, wo er von einer freundlichen, jungen Servicemitarbeiterin begrüßt wurde.

      »Wir möchten mit jemandem sprechen, der die Talassair-Abteilung verwaltet«, sagte Veyron.

      Die junge Dame, laut Namensschild Mandy Sikes, machte große Augen, als sie das hörte. »Oh, das tut mir ausgesprochen leid. Ich fürchte, da sind Sie bei uns falsch. Eine solche Abteilung haben wir nicht«, erwiderte sie.

      Veyron schloss kurz die Augen. »Sie haben früher bei Torben Carrisson Airways in der Kundenbetreuung gearbeitet. Das ist jetzt fast zwei Jahre her. Sie wurden im Zuge der Ermittlungen des Supersonic-Vorfalls von Polizei und MI-5 bezüglich der Sitzplatzreservierung eines gewissen Mr. Veyron Swift befragt. Anschließend warb Sie die Ramer-Stiftung ab, und seitdem arbeiten Sie hier, bei doppeltem Gehalt. Sie sind Linkshänderin und eine leidenschaftliche Hobbymalerin, spezialisiert auf Acryl und heute Morgen hatten Sie es ausgesprochen eilig. Ihr Hobby hat Sie einfach nicht losgelassen«, sagte er so schnell, dass Miss Sikes erst einmal einen Moment brauchte, um alles zu verarbeiten.

      »Wo … woher, woher wissen Sie das?«

      »Das mit Ihrer Karriere? Nun, alle Mitarbeiter von TC-Airways wurden nach dem Vorfall vom MI-5 und der Polizei ausgiebig befragt, immerhin waren da Terroristen am Werk. Dass Sie Linkshänderin sind, verrät mir Ihr Kugelschreiber, den sie links neben Ihrem Notizblock liegen haben. An der Linken haben Sie zudem Farbreste unter dem kleinen Fingernagel und einige winzige Spritzer zwischen Zeige- und Ringfinger. Blau, gelb und rot. Daraus lässt sich Ihre künstlerische Tätigkeit ersehen. Sie haben sich die Hände mit Wasser und Seife gewaschen, um die Farbe zu entfernen. Jedoch nicht mit einem chemischen Reiniger, das sehe ich an der frischen, kräftigen Farbe Ihrer Haut.