Tobias Fischer

Veyron Swift und der Schattenkönig


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Tom erwartete fast, Darrow in die Luft gehen und wütend das Haus verlassen zu sehen. Es wäre nicht das erste Mal, dass Veyron andere Menschen auf diese Wiese vergraulte.

      Danny begann stattdessen, laut und herzlich zu lachen. »Stark!«, rief er aus. »Echt stark! Das haben Sie mit einem einzigen Blick in mein Auto alles herausgefunden?«

      »Die einzig logische Analyse, wenn ich alle Fakten miteinander kombiniere. Aber genug der Spielchen. Was ist nun Ihr Problem, Mr. Darrow?«, gab Veyron im lapidaren Tonfall zurück.

      »Sie haben recht, Mr. Swift«, sagte Darrow. »Aber das ist vorbei, diesen nachlässigen Danny, den gibt’s nicht mehr. Und wissen Sie, warum? Ich habe die Frau meines Lebens kennengelernt. Wissen Sie, wie es ist, wenn Sie eine Frau zum ersten Mal sehen, und es macht Kazoom, und Sie können an nichts anderes mehr denken als an sie? Das ist mir noch nie passiert. Normalerweise interessieren mich nur Arsch und Titten und vielleicht noch ein nettes Gesicht. Aber bei Fiona … Na ja, das hat mich einfach umgehauen. Ich kann eigentlich nur noch an sie denken. Das kennen Sie doch sicher, oder?«

      »Nein, kenne ich nicht«, sagte Veyron kalt – und meinte es auch so. »Fahren Sie fort, und bitte nur sachliche Details. Klammern Sie alle Emotionen aus, wenn es geht.«

      Darrow schaute kurz überrascht auf und musste wieder lachen. »Alles klar, Mr. Spock – äh, Swift. Nur sachliche Details. Alles klar. Also, ich hab Fiona in der Bibliothek kennengelernt. Hatte mich mal wieder dazu entschlossen, etwas zu studieren. Wirtschaftswissenschaften – mein Vater will, dass ich sein Nachfolger in der Bank werde. Es stimmt, Geld war und ist für mich kein Problem. Ich kann mir kaufen, was ich will, ich brauch auf nichts zu achten. Na ja, eigentlich geh ich ja nie in die Bibliothek, doch ein Kumpel von mir hatte sich ein paar Bücher ausgeliehen, sich aber das Bein gebrochen. Drum hab ich die ollen Schinken für ihn zurückgebracht. Und da hab ich sie gesehen. Fiona Smith. Mann, was für eine Frau! Saß einfach dort, über einem dicken Wälzer gebeugt … was war’s doch gleich? Ach, keine Ahnung. Ich hab’s fotografiert. Hier …«, erklärte er, griff in seine Hosentasche, holte ein Smartphone heraus und warf es Tom zu.

      Der staunte nicht schlecht. Das allerneueste Modell.

      »Nur zu, ist nicht Passwort-gesichert. Ich vergess so was eh schnell«, sagte Darrow.

      Tom aktivierte die Bildergalerie und fand sofort ein paar Fotos eines dicken Buchs. »Griechische Sagen. Von Lewis A. Daring! Veyron, es ist ein Buch des Professors«, rief er überrascht aus, als er das Bild des Umschlags heranzoomte.

      Darrow schaute verwirrt drein.

      Veyron winkte ab. »Ein Insider – und uns fehlt die Zeit, das näher zu erläutern. Es ist auch unwichtig. Fahren Sie bitte fort, Mr. Darrow.«

      »Okay. Also Fiona. Sie saß dort und las dieses Buch. Mir war sofort klar: Das ist die Frau meines Lebens. Ich geh zu ihr hin und stell ein paar saublöde Fragen. Über das Buch, ob es gut ist oder so. Sie findet es wohl lustig. Sie hat ein umwerfendes Lachen, kein so oberflächliches Gekicher. Na ja, auf alle Fälle sind wir irgendwie ins Gespräch gekommen – weiß gar nicht mehr, um was es ging … egal. Wir machten ein Date aus und gingen ins beste Pub von ganz Oxford. Es war ein netter Abend, wir hatten beide viel zu lachen. Danach noch kurz in den nächsten Club, ein bisschen tanzen, und zuletzt hab ich sie heimgefahren. Und das war’s dann. Normalerweise endet ein Abend mit einem Mädchen bei mir nie auf diese Weise. Frauen fliegen auf meine Autos und mein Geld. Zuletzt landen sie alle bei mir im Bett. Aber Fiona, die war nicht so leicht rumzukriegen. Sie bedankte sich für den schönen Abend, aber mehr nicht. Mann, zum ersten Mal im Leben habe ich gefragt, ob wir uns wiedersehen werden. Vielleicht hätte sie Lust, ins Kino zu gehen? Sie hat Ja gesagt! Wirklich gern, meinte sie. Stellen Sie sich das vor: Ich und um ein zweites Date bitten, ein Danny Darrow! Das gab’s noch nie. Und als sie Ja gesagt hat, da war ich aufgeregt wie ein kleiner Junge, der …«

      Veyron räusperte sich und unterbrach den jungen Mann. »Keine Emotionen«, erinnerte er seinen Klienten streng.

      »Ja, ja, schon klar. Auf jeden Fall kam es zu keinem zweiten Date. Sie ist einfach nicht aufgetaucht. Das hat mich echt verwirrt. Ich hatte ja ihre Handynummer, doch als ich sie anrief, sagte eine verdammte Computerstimme, die Nummer sei nicht vergeben. Aber so leicht gibt ein Danny Darrow nicht auf. Ich hab in der Uni nachgeforscht, doch kein Mensch kannte eine Fiona Smith. Sie war nicht eingeschrieben, nirgendwo. In keinem Wohnheim, in keinem einzigen Kurs. Aber Zugang zu dieser Bibliothek erhalten nur gemeldete Personen, und man muss sich eintragen, wenn man Bücher ausleiht. Ich hab auch da nachgeforscht. Dieses Buch, dieser fette Wälzer, der wurde seit drei Jahren nicht mehr ausgeliehen, hat mir der Bibliothekar erzählt«, fuhr Danny fort. Dann wurde er seine Stimme leise.

      Tom erkannte, wie unangenehm es ihm war, weiterzuerzählen.

      »Ich fuhr sie ja nach unserem ersten Date heim. Bin schließlich ein Gentleman. Sie wohnt hier, mitten in London, in Paddington, 42b False Lane. Aber auch dort gibt es keine Fiona Smith. Der Hausmeister erzählte mir, es hätte nie eine Mieterin im Haus gegeben, auf die meine Beschreibung passt. Ich hatte an jenem Abend ihr Namensschild an der Klingel gesehen. Jetzt war es jedoch verschwunden. Mr. Swift, meinen Sie, ich hatte ein Date mit einem Geist? Also mir kommt’s fast so vor.«

      Veyron Reaktion bestand in einem tiefen Durchatmen. »An wie vielen Tagen haben Sie Miss Smith gesehen?«

      »Leider nur an einem.«

      »Nur an diesem einen Tag?«

      »Ja, klar.«

      »Sie genießen an der Universität den Ruf eines Frauenhelden, nehme ich an?«

      »Ja, denk schon. Ich bin nicht hässlich, wissen Sie, und ich glaub, ich bin eigentlich immer gut drauf. So was mögen die Mädels.«

      »Sie haben an diesem Abend alle Rechnungen bezahlt?«

      »Selbstverständlich. Ich bin ein Gentleman, zumindest meistens. War ziemlich viel. Ist ja auch ein nobler Schuppen, die lassen da nicht jeden rein.«

      Veyron lachte amüsiert. Dann klatschte er in die Hände. »Sind Sie schon einmal auf die Idee gekommen, dass Miss Smith Sie belogen haben könnte? Dass Sie wegen Ihres Bekanntheitsgrades und Ihres Rufs hereingelegt wurden? Es gibt nicht nur Frauenjäger, sondern auch Männerjägerinnen, Mr. Darrow. Die Lady hat sie ausgenommen. Geben Sie eine Vermisstenanzeige auf, wenn Sie sie unbedingt finden wollen.«

      »Habe ich schon gemacht. Die Polizei hat noch nichts von sich hören lassen. Die waren anfangs sehr engagiert und haben auch alles in den Computer eingeben. Aber als ich am nächsten Tag nachfragte, waren sie sehr komisch, als würde sie der ganze Fall nicht mehr interessieren. Sie würden sich dann schon melden und noch mehr Blabla«, versuchte Darrow sein Anliegen zu retten.

      »Wahrscheinlich, weil man zu der gleichen Erkenntnis gelangte wie ich, Mr. Darrow. Die Sache ist es nicht wert. Fahren Sie nach Hause und vergessen Sie Miss Smith am besten sofort. Goodbye«, erwiderte Veyron kalt, schloss die Augen und beachtete Darrow nicht mehr weiter.

      Sichtlich niedergeschlagen erhob sich der junge Mann und schaute Veyron noch einmal flehentlich an. Als der nicht reagierte, trat er mit einem Seufzen hinaus in den Flur. Tom folgte ihm; immerhin verlangte es seiner Meinung nach der Anstand, dass er den armen Kerl wenigstens zur Tür brachte. Veyron zeigte sich stets sehr abweisend gegenüber den Leuten, wenn ein Fall nicht sein Interesse fand.

      »Tut mir leid, Mr. Darrow«, sagte Tom schließlich und versuchte ein aufmunterndes Lächeln zustande zu bringen. »Vielleicht überlegt er es sich noch anders. Wäre nicht das erste Mal. Manchmal muss er nur ein Weilchen darüber nachdenken.«

      »Sag Danny zu mir, Kleiner. Hier, nimm meine Karte. Ruf mich an, wenn dein … was ist er eigentlich von dir?«

      »Mein Boss«, log Tom. Die Wahrheit, dass er bei Veyron lebte, weil seine Eltern tot waren, wollte er nicht jedem erzählen. Nur seine Freunde durften davon wissen. Alle anderen ging es nichts an.

      »Okay. Dein Boss eben. Hatte mir schon so was gedacht. Kann schon sein, dass ich auf ein Biest hereingefallen bin. Blöd, mich gerade in so eine verknallt zu haben, was?«, meinte Danny