Tobias Fischer

Veyron Swift und der Schattenkönig


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Fraud sie wie ein Haifisch auf Beutefang oder saß einfach nur abseits und suchte Aufmerksamkeit. Tom tat der schüchterne Junge fast ein wenig leid. Ernie besaß keine Freunde – außer einer Facebook-Freundin, die sich Judy nannte. Er hatte Tom mal so was erzählt, als sie sich kurz unterhalten hatten. Soweit Tom wusste, war diese Judy auch Ernies einzige Facebook-Freundin. Ein armer Kerl.

      »Und da kommt Ärger anmarschiert. Rodgers ist da«, sagte Bert und nickte in die entgegengesetzte Richtung.

      Toms Fäuste ballten sich fast instinktiv, als er diesen Namen hörte.

      Stevie Rodgers, einen halben Kopf größer als Tom und annähernd doppelt so breit in den Schultern, stolzierte heran, gefolgt von seinen vier üblichen Handlangern – deren Namen Tom immer wieder entfielen.

      »Gleich setzt es was. Der arme Ernie«, meinte Bill.

      Tatsächlich umstellten Rodgers und seine Jungs Fraud, kaum dass sie ihn erspäht hatten. Tom konnte die gewechselten Worte nicht genau verstehen, aber es waren ohne jeden Zweifel üble Drohungen und Gemeinheiten. Normalerweise machten sich Rodgers und seine Leute einen Spaß daraus, Ernie das Fürchten zu lehren und ihn dann wegrennen zu lassen. Doch diesmal war es anders – die Burschen waren auf Stunk aus. Rodgers, Rugbymeister der Schule, war bekannt für sein hämisches Grinsen und sein herablassendes Gehabe. Das war ihm heute abhandengekommen.

      »Was hat Ernie denn ausgefressen?«, wollte Tom wissen und deutete auf Rodgers’ knallrot angelaufenes Mopsgesicht.

      Seine beiden Freunde schauten ihn dermaßen verwundert an, als würde das die ganze Welt wissen, mit Ausnahme von Tom. »Weißt du das gar nicht? Fraud ist verknallt. Und zwar in Lilly«, klärte ihn Bill auf.

      Tom machte große Augen. »In Stevie Rodgers Schwester? Okay, wer ist das nicht? Sie ist aber auch wirklich heiß.«

      Bert stimmte ihm zu. »Gute Gene in der Rodgers-Familie: die Schönheit für die Mädels und die Muckis für die Jungs. Der arme Ernie.«

      »Der Idiot hat Lilly einen Liebesbrief geschrieben. Hätte ich ihm gar nicht zugetraut, so viel Traute«, ergänzte Bill.

      »Hat sie das etwa ihrem Bruder gesagt?« Tom war entsetzt.

      Doch Bill schüttelte sofort den Kopf. »Nein, hat sie nicht. Lilly hat es aber ihre Freundinnen wissen lassen. Zu denen gehört ja auch Vanessa, die mit Stevie geht. Die hat es ihm dann gesteckt. Und Stevie ist der Meinung, dass Ernie Fraud nicht zu seiner Schwester passt.«

      Tom nickte nur. Seine Aufmerksamkeit galt dem Geschehen rund um Fraud und Rodgers. Gerade fingen dessen Kumpel an, Ernie hin und her zu schubsen. »Okay, das reicht. Ich greif ein«, entschied er und machte einen Schritt nach vorn.

      Bert packte ihn am Arm. »Lass das! Das geht uns nichts an. Die sind zu fünft und wir nur zu dritt. Und Fraud wird davonlaufen. Hör bloß auf, Tom!«

      Tom riss sich los und ging weiter, nur Bill folgte ihm zögernd. »Warten wir doch lieber auf Norman und John. Dann ist es ausgeglichen«, versuchte Bill ihn zu bremsen.

      In diesem Moment sah Tom Ernie zu Boden gehen und die Fäuste von Stevies Kumpeln fliegen. Nein, er würde nicht mehr länger warten. Die Entscheidung war gefallen.

      In Elderwelt hab ich mich mit Schraten, Kobolden, Trollen und Fenriswölfen angelegt, dachte er. Ich werde jetzt bestimmt nicht vor einem Rugbymeister und seinen Schlägern kneifen.

      »Hey! Hört auf, ihr Idioten«, rief er in Rodgers Richtung und begann zu rennen.

      Sofort wirbelte der zu ihm herum, blanken Zorn im Gesicht.

      »Oh Mann, da kommen die drei Trolle«, hörte Tom einen der Handlanger (George oder so ähnlich) höhnen.

      Drei? Tom schaute kurz über die Schulter. Ja, Bert hatte seine Furcht überwunden und nahte heran.

      »Halt dich da raus, Packard!«, drohte Rodgers.

      Doch Tom wurde kein bisschen langsamer. Das schien zumindest die vier Handlanger etwas zu verunsichern.

      »Lasst Ernie in Ruhe. Der arme Kerl hat es schwer genug. Was seid ihr nur für Feiglinge?«, schalt Tom sie.

      Die Bande lachte, allein Rodgers fand das gar nicht lustig. »Verzieh dich, Packard – oder du bist derjenige, der ein paar aufs Maul kriegt!«

      »Kannst es ja mal versuchen, Rodgers. Ich bin schon mit schlimmeren Typen fertig geworden. Lass Ernie in Ruhe, dann brauchst du morgen auch nicht zu erklären, wo du die gebrochene Nase herhast.«

      Tom stand seinem Kontrahenten jetzt direkt gegenüber, war nur wenige Zentimeter von ihm entfernt. Rodgers bebte vor Zorn; seine Kumpels begannen, Tom, Bill und Bert einzukreisen.

      »Kannst du wenigstens Karate?«, raunte Bill leise zu Bert.

      »Hey, ich bin Intellektueller! Meine Waffe ist die Feder, nicht das Schwert«, versuchte der einen Witz daraus zu machen. Rodgers Kumpel fanden ihn nicht besonders lustig.

      Anspannung lag in der Luft wie ein straff gezogenes Seil. Jeden Moment würde es reißen. Tom kannte dieses Gefühl zur Genüge und war auf alles gefasst; er war ein Kämpfer, trainiert durch die Abenteuer in Elderwelt. Rodgers würde es gleich zu spüren bekommen.

      Doch dann sprangen dessen vier Kumpels vor und stürzten sich auf ihn, Bill und Bert. Es entbrannte ein Gerangel. Aus dem Augenwinkel sah Tom seine beiden Freunde mit je einem der Schläger kämpfen, dann packten die anderen beiden ihn von hinten an den Armen und hielten ihn fest. Tom trat wütend um sich und erwischte ein ums andere Mal ihre Schienbeine. Schreiend ließ der eine los, sodass Tom sich auch aus dem Griff des anderen winden und seinen Gegner stellen konnte. Er spürte, wie ihm das Adrenalin durch die Adern schoss, wie es seine Reaktionen beschleunigte, wie er fast wie von allein Schläge parierte und selbst welche austeilte. Er wollte es nicht zugeben, doch ein kleiner Teil von ihm genoss es. Einer von Rodgers Kumpels sackte zu Boden, keuchte und hielt sich mit schmerzverzerrtem Gesicht den Brustkorb. Tom wusste, wo er hinschlagen musste. Veyron Swift war ein meisterhafter Lehrer gewesen. Seit ihrem ersten Abenteuer hatten sie immer wieder mal ein wenig trainiert – und noch mehr nach ihrem zweiten.

      Doch auch auf ihrer Seite gab es Verluste. Bert lag schon am Boden, und Bill rang mit gleich zwei Gegnern. Da griff auch Rodgers ein, schneller und stärker als seine Spießgesellen. Sein Faustschlag erwischte Tom mitten im Gesicht. Er schmeckte warmes Blut, das ihm aus der aufgeplatzten Lippe übers Kinn lief. Den nächsten Schlag konnte er gerade noch abwehren, aber nicht den Tritt in die Kniekehle, den ihm einer von Rodgers’ Handlangern verpasste. Noch ein Schlag von Rodgers, den er parierte. Aus den Augenwinkeln sah Tom, wie Ernie Fraud flüchtete und lauthals um Hilfe rief. Der eine Schläger wollte ihm nachsetzen, doch Tom holte ihn mit gestrecktem Bein von den Füßen. Mit wütendem Gebrüll warf sich Rodgers nun auf Tom, doch der verpasste dem Kerl einen dermaßen harten Kinnhaken, dass dessen Zähne knirschten. Den entfesselten Zorn seines Feindes konnte Tom damit jedoch nicht eindämmen. Rodgers war nicht umsonst Rugbymeister. Schmerz machte ihn nur noch wilder.

      »Ich bring dich um, Packard!«, brüllte er.

      Plötzlich quietschten Autoreifen, lautes Hupen ließ zum Schlag erhobene Fäuste in der Luft verharren. Ein schwarzer Range Rover preschte mitten auf den Spielplatz. Rodgers Kumpels suchten sofort das Weite. Er selbst versuchte ebenfalls zu fliehen, doch Tom hielt ihn fest.

      Jetzt flogen die Wagentüren auf, und zwei kräftige Männer in Anzügen sprangen heraus. Sie stürmten vor, packten Rodgers und schleuderten ihn zur Seite.

      »Mr. Packard?«

      Tom nickte benommen.

      »Sie müssen mit uns mitkommen«, befahl der eine streng, während der andere Bill und Bert auf die Beine half.

      »Warum«, fragte Tom und wischte sich Blut aus dem Gesicht.

      Der Mann zückte seine Dienstmarke. »CID. Wir haben ein paar wichtige Fragen«, sagte er.

      Tom wollte protestieren, aber dann kam ihm in den Sinn, dass Veyron vielleicht einen neuen Fall ergattert hatte. Die Neugier