Tobias Fischer

Veyron Swift und der Schattenkönig


Скачать книгу

Theke fanden in dem Raum noch drei kleine Tische Platz. Die einzige Toilette musste sich das Café mit zwei angrenzenden Geschäften teilen. Tom war noch nie hier gewesen, aber der Eigentümer, Walter Harrisson, schien Veyron recht gut zu kennen.

      »Geht alles aufs Haus«, ließ er die beiden wissen, als er ihnen zwei Tassen Cappuccino hinstellte.

      »Bringen Sie uns bitte noch eine dritte Tasse, Walter. Wir bekommen Besuch«, bat Veyron freundlich. Harrisson nickte und machte sich gleich an die Arbeit. Veyron lächelte kurz, als er Toms fragenden Blick bemerkte. »Ich hab ihm einmal aus der Patsche geholfen, als sich eine Bande Kobolde in seinem Keller einnisten wollte«, erklärte er.

      Tom machte große Augen. »Von dem Fall haben Sie mir noch nie was erzählt.«

      »Es gibt viele Fälle, von denen du nichts weißt, Tom. Ich war acht Jahre lang als Berater für unnatürliche Angelegenheiten und Wesen tätig, bevor wir uns kennenlernten. Ah, sieh nur: Willkins kommt.«

      Tom, der mit dem Rücken zur Tür saß, musste sich umdrehen, um ihren Gast zu erblicken.

      Detective Constable Jane Willkins betrat das Café und entdeckte die beiden sofort. Seit ihrem Wechsel von der Metropolitan Police zum CID, trug sie anstelle ihrer Uniform Hosenanzüge, die ihr nach Toms Meinung auch weitaus besser standen. Er kannte die dunkelhaarige, hübsche Polizistin jetzt schon seit fast zwei Jahren. Für ihn war sie so etwas wie eine große Schwester, zu der er gehen konnte, wenn Veyron wieder mal unausstehlich war. Für Veyron schien Jane dagegen nichts anderes als eine Erfüllungsgehilfin zu sein, ein Werkzeug zum Erreichen seiner Ziele. Nur manchmal – Tom war sich da nie ganz sicher – zeigte er ihr gegenüber ein wenig Herzlichkeit.

      Sie setzte sich zu ihnen und begrüßte sie knapp. »Sie sagten, es sei dringend. Also los, auf was für eine Spur sind Sie diesmal gestoßen?«, kam sie sofort zur Sache.

      Walter Harrisson stellte ihr eine Tasse Cappuccino vor die Nase und brachte sie damit kurz aus dem Konzept. »Geht alles aufs Haus, Miss«, sagte er und zwinkerte Veyron zu, die Situation vollkommen missverstehend.

      Jane war zweifellos hübsch und – soweit Tom es wusste – zurzeit ohne Freund. Doch Veyron würde nie auf die Idee kommen, irgendetwas daraus zu machen. Er lehnte ja jede Form von Beziehung ab – mit der Tom unverständlichen Begründung, dass dadurch die Freiheit seines Geistes in Gefahr geriete und unabhängiges Denken nicht mehr möglich sei. Diese Verweigerungshaltung hatte schon einige hitzige Debatten ausgelöst, denn Veyron zögerte nicht, anderen seine eigenwillige Vorstellung menschlichen Miteinanders aufzuzwingen. Regelmäßig wurden dabei Jane oder Tom Opfer seiner kaltherzigen Beziehungsanalysen. Erst heute Morgen hatte er die Liebe ja generell als Krankheit abgetan.

      »Haben Sie dabei, worum ich Sie gebeten habe?«, wollte Veyron soeben wissen und riss Tom damit aus den Gedanken.

      Jane griff unter ihren Blazer und holte ein Kuvert heraus, das sie mitten auf den Tisch legte. »Wie verlangt, das Formular eines Hausdurchsuchungsbefehls. Gregson hat große Augen gemacht, als ich ihm sagte, was Sie diesmal wieder wollten. Werden Sie mir auch verraten, wofür der gut sein soll?«, fragte sie.

      Veyron antwortete nicht gleich, sondern schnappte sich das Kuvert, nahm den Papierbogen heraus und fischte einen Kugelschreiber aus seiner Manteltasche. »Wir werden heute Nacht in Miss Fiona Smiths Wohnung in der False Lane einbrechen«, erklärte er, während er begann, das Formular auszufüllen.

      Jane schnappte kurz nach Luft. »Haben Sie einen Knall? Veyron, das geht zu weit!«, protestierte sie. »Warum müssen Sie dort einbrechen und was hoffen Sie dort zu finden?«

      Tom biss sich auf die Lippe, als die anderen Gäste – es waren nicht viele – sie mit neugierigen Blicken bedachten.

      »Ein Nein, zu Ihrer ersten Frage und zu Ihrer zweiten dies als Antwort: Weil ich dort anders keinen Zutritt erhalte, der jedoch zwingend erforderlich ist. Auch Ihre dritte Frage will ich beantworten, Willkins. Ich hoffe, dort wichtige Hinweise auf Miss Smiths Aktivitäten bezüglich der Suche nach dem Horn des Triton zu finden, ein Gegenstand von entsetzlicher Macht«, erklärte Veyron so ruhig und gelassen, als hielte er einen harmlosen Schulvortrag.

      Jane schüttelte den Kopf. Sie war damit ganz und gar nicht einverstanden. »Deswegen können Sie doch nicht das Gesetz brechen. Veyron, kommen Sie wieder zur Vernunft! Ich muss Sie verhaften, wenn Sie das wirklich durchziehen wollen. Tom, rede ihm diesen Unsinn aus.« Sie sprach nun deutlich leiser, und in ihrer Stimme klang ehrliche Sorge mit. Fast flehentlich waren ihre Augen auf Tom gerichtet.

      Der konnte nur tief einatmen und dann die Schultern zucken. »Na ja, es ist für die Rettung der Welt oder so«, erwiderte er schließlich, was ihm einen bösen Blick von Jane einbrachte.

      »Sie kennen meine Methoden, Willkins. Erinnern Sie sich an unser letztes gemeinsames Abenteuer in Elderwelt: Ich weiß ganz genau, was ich tue. Haben Sie Vertrauen«, sagte Veyron. Er lehnte sich kurz zurück und überflog die Felder des Formulars. Es fehlte nur noch die Unterschrift. Streng musterte er Jane. »Wer ist der zuständige Bezirksrichter für Paddington?«

      Sie zuckte mit den Schultern, was Veyron nicht gerade zufriedenstellte.

      »Dann googeln Sie es. Sie haben von Ihrem Telefon aus sicherlich Zugriff auf das Netzwerk des CID, da muss sich doch was finden lassen. Wir haben keine Zeit zu verlieren«, befahl er.

      Jane verdrehte entnervt die Augen, zückte ihr Smartphone und gab die entsprechenden Daten ein. »Sonst wissen Sie doch auch alles«, maulte sie.

      Veyron hob kurz die Augenbrauen. »Ich konnte das Netzwerk des CID noch nicht hacken. Das vom F.B.I. war nicht so schwer«, erläuterte er lapidar.

      Tom warf seinem Patenonkel einen überraschten Blick zu. »Sie haben das Netzwerk des F.B.I. geknackt?«

      »Nein«, gab Veyron zurück. »Aber Wimille.«

      »Wer ist Wimille?«

      »Mein Bruder.«

      Tom und Jane starrten Veyron vollkommen entgeistert an. »Sie haben einen Bruder«, fragten beide wie aus einem Mund.

      Veyron kniff entnervt die Augen zusammen. »Natürlich. Viele Menschen haben Brüder. Was ist daran so erstaunlich?«

      Jane schmunzelte kurz, ehe sie sich wieder ihrem Telefon widmete. »Und ich dachte immer, man hätte Sie bei Wellstorm Automatics zusammengeschraubt, dem Roboterhersteller aus Ealing«, flachste sie.

      Tom gestattete sich ein kurzes Auflachen, aber Veyron blieb todernst.

      »Machen Sie keine Witze über meinen Bruder, Willkins«, sagte er mit finsterer Stimme.

      »Können wir ihn kennenlernen? Ich wüsste gerne, wie Wimille so ist. Immerhin ist er Ihr Bruder«, fragte Tom, doch Veyron verneinte es entschieden.

      »Wimille ist anders, und wir können ihn nicht besuchen. Nicht heute und auch morgen nicht. Schluss jetzt mit diesem Thema! Nun, Willkins, wie sieht es aus? Haben Sie endlich den Richter?«

      Triumphierend schaltete sie ihr Telefon ab. »Sir Robert Scott.«

      Veyron bedankte sich, dann schloss er die Augen und lehnte sich zurück. Mehrmals atmete er tief durch, seine Haltung wurde krumm und angespannt, seine Mundwinkel zogen sich tief nach unten, die Augenbrauen sträubten sich.

      Jane staunte nicht schlecht. »Was wird das, wenn’s fertig ist?«, fragte sie flüsternd in Toms Richtung.

      »Er konzentriert sich und taucht in die Persönlichkeit von Richter Scott ein – soweit er ihn kennt. Ich hab das schon ein paar Mal erlebt«, erklärte Tom stolz darauf, Jane einmal in einer Sache voraus zu sein.

      Als Veyron die Augen wieder aufschlug, nahm er den Kugelschreiber entschlossen zwischen die Finger und setzte eine krakelige Unterschrift unter den Durchsuchungsbefehl, gänzlich anders als seine ansonsten schwungvollen Buchstaben. »Voilà«, verkündete er und legte Stift und Papier zufrieden beiseite. »Das wäre geschafft. Jetzt können wir im Prinzip loslegen.«

      Jane war jedoch immer noch dagegen. »Das ist Urkundenfälschung,