Daniela Mattes

Marvin und die Wibbels


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Schicht überzogen und sahen aus, als hätte jemand eine große Portion Puderzucker über sie geschüttet. Wirklich eilig hatte Marvin es natürlich nicht, in die Schule zu kommen, er sah sich viel zu genau um und betrachtete die Flocken, als ob er sie studieren wollte. Nur deshalb bemerkte er auch etwas Seltsames, das er nie zuvor gesehen hatte.

      Nun ja, gesehen hatte er es wohl schon einmal, aber noch niemals auf dem Boden. Zuerst bemerkte er etwas bunt Glänzendes, das überhaupt nicht nach weißen Schneeflocken aussah und sich deutlich von der immer stärker wachsenden weißen Masse abhob. Vorsichtig ging er in die Hocke, um sich das Objekt näher anzuschauen.

      Es war nicht besonders groß und irgendwie länglich und gebogen und es schillerte. Vor allem aber – und das konnte er kaum glauben – bewegte es sich auch noch. Marvin machte immer noch in der Hocke einen watschelnden Schritt nach vorn und saß nun ganz nahe an dem kleinen bunten Ding, das ihn irgendwie an einen Bumerang erinnerte, aber es war nicht braun und aus Holz, sondern er war bunt. Rot, Orange, Gelb, Grün, Blau, Indigo, Violett.

      Oh Mann, dachte er sich. Das sieht aus wie ein kleiner Regenbogen. Da er nichts Gefährliches hatte beobachten können, griff er nun beherzt zu und nahm den kleinen bunten Gegenstand an sich. Er ließ ihn aber auch gleich darauf wieder fallen, denn er hätte nicht damit gerechnet, dass das bunte Ding mit ihm reden würde!

      »He, lass mich liegen. Was machst du denn mit mir!«, rief der kleine bunte Gegenstand empört und bewegte sich hektisch hin und her, um sich dem Griff des Jungen zu entwinden. Erschrocken ließ Marvin den kleinen Schreihals los, sprang aus der Hocke auf und machte einen Schritt zurück. Er beobachtete, wie der kleine Regenbogen zu Boden fiel und sich dann wieder, immer noch schimpfend, im Schnee vor Kälte zusammenkrümmte.

      Marvin war einige Sekunden lang unschlüssig und starrte einfach nur auf den kleinen Regenbogen, während der Schnee unentwegt auf ihn niederfiel, und sein blondes Haar weiß werden ließ, denn natürlich hatte er keine Mütze aufgesetzt. Er war sich inzwischen sicher, dass es sich tatsächlich um einen Regenbogen handelte, wenn ihm auch nicht klar war, wie es einen so kleinen überhaupt geben konnte, wie er hierherkam und warum er sprechen konnte.

      Doch bevor er eingeschneit sein würde, kniete er sich beherzt erneut nieder, um den kleinen Kameraden aus der Nähe zu begutachten. Der Regenbogen hatte sich mittlerweile in eine kleine, schneefreie Kuhle zurückgezogen, die er in die harte Erde geritzt hatte, und blickte von dort aus vorwurfsvoll zu Marvin auf.

      »Was machst du denn hier auf der Erde?«, fragte Marvin, der sich jetzt wieder gefangen hatte. »Gehören Regenbogen nicht normalerweise in den Himmel?«

      Der Regenbogen überlegte einen Moment, ob er sich von dem Jungen in ein Gespräch verwickeln lassen wollte, entschied dann aber nach einem weiteren ausgiebigen Blick in dessen offenes, freundliches Gesicht, dass ihm von diesem wohl keine Gefahr drohen würde. Also seufzte er tief und begann dann leise zu erzählen.

       »Ja, eigentlich leben wir Regenbogen über den Wolken und wir können uns erst über den Himmel spannen, wenn wir schön groß und bunt sind. Ich war etwas zu voreilig und habe versucht, einen kleinen Bogen zu schlagen und da war es schon geschehen. Plumps! Bin ich auf die Erde heruntergefallen und muss jetzt warten, bis ich gewachsen bin, sodass ich wieder bis hoch hinaufreiche. So lange muss ich es hier irgendwie aushalten. Wenn es nur nicht gerade im Winter passiert wäre! Hier ist alles so weiß und kalt und ich liebe doch die Sonne so sehr.«

      Ganz kleinlaut ringelte sich der kleine Regenbogen zusammen und schaute aus traurigen Augen zu Marvin empor.

       »Ich würde dir ja wirklich sehr gerne helfen«, beteuerte Marvin, »aber ich kann dich nicht in den Himmel bringen und ich kenne kein Mittel, das Regenbogen schneller wachsen lässt. Was könnte ich denn für dich tun?«

      Der Regenbogen überlegte.

      »Es wäre schön, wenn du einen warmen Platz für mich hättest, an dem es auch Wasser gibt. Das Wasser brauche ich, damit ich schöne Farben entwickeln kann. Und ich will die Sonne sehen. Dann kann ich richtig gut funkeln und werde schnell groß!«

      Marvin war ein wenig ratlos. Wie sollte er jetzt vor der Schule den Regenbogen an einen warmen, aber nassen und sonnigen Platz evakuieren? Hoffnungsvoll wartete der kleine Regenbogen ab und blinkte ein wenig in hellem Rot.

      »Ich muss leider zur Schule gehen«, sagte Marvin bedauernd. »Heute ist der letzte Schultag und da darf ich nicht fehlen. Kannst du dich noch eine Weile hier verstecken, bis ich wiederkomme? Dann nehme ich dich mit zu mir nach Hause. Was wird das für ein Spaß werden!«

      Marvin war ganz begeistert von seiner Idee und auch der kleine Regenbogen schien zufrieden zu sein, wenn er auch ungeduldig war. Was wäre nur, wenn jemand anders ihn hier entdeckte? Er kannte ja jetzt Marvin und war fest entschlossen, nur mit diesem seinem neuen Freund mitzugehen. Aber im Moment hatte er wohl keine andere Wahl als zu warten. Also sagte er ganz tapfer zu Marvin:

       »Mach dir keine Sorgen, ich werde hier auf dich warten und mich ein wenig mit den Schneeflocken unterhalten. So kann ich wenigstens erfahren, wie es über den Wolken zugeht und ob man mich vermisst.«

      Marvin war gerade dabei gewesen, aufzustehen, als er mitten in der Bewegung innehielt. »Die Schneeflocken können reden?«, fragte er völlig verdutzt.

      »Aber natürlich!«, antwortete der Regenbogen beleidigt. »Warum sollten sie das denn nicht können?«

      Marvin konnte darauf nichts Sinnvolles erwidern. Es stimmte ja, wenn schon die Regenbogen reden konnten, warum sollten dann nicht auch die Schneeflocken reden können? Also beendete er seine Bewegung, stand auf, klopfte sich den Schnee von der Hose und der Jacke und machte sich schnell auf den Schulweg. Oje, er würde viel zu spät kommen. Was sollte er nur der Lehrerin sagen?

      Am besten, er bliebe bei der Wahrheit. Er hatte sich über den Schnee gefreut und hier und da die Natur beobachtet, wie sie sich langsam ein weißes Kleid anzog und wie der hübsch glitzernde Schnee sich auf die Dächer, Straßen und Wiesen legte. Dabei hatte er dann getrödelt und war leider zu spät. Seinen neuen Freund würde er natürlich nicht erwähnen. Dieser gehörte nur ihm ganz allein!

      Solchermaßen vorbereitet rannte er die letzten Meter bis zur Schule und kam gerade noch beim Läuten in das Klassenzimmer gestürmt. So hatte er Glück und brauchte seine Ausrede nicht einmal zu benutzen. Bis zum Ende des Unterrichtes war er jedoch ganz schön zappelig und hörte kaum, was die Lehrerin vorn an der Tafel erzählte.

      Aber das wurde am letzten Schultag nicht so eng gesehen, denn die Lehrer waren selbst schon aufgeregt vor den Ferien. Auch sie hatten noch Geschenke zu besorgen und den Baum zu schmücken und allerlei andere Dinge zu erledigen. So sahen sie darüber hinweg, wenn die Kinder ab und zu verträumt aus dem Fenster schauten und den spielenden Schneeflöckchen bei ihrem Tanz zusahen.

      Zum Glück wurde Marvin also nicht aufgerufen und konnte sich deshalb ganz seinen Tagträumen hingeben, die sich allesamt um seinen neuen Freund drehten. Viel zu langsam verging die Zeit, bis endlich das erlösende letzte Läuten der letzten Stunde ertönte und er rasch seine Tasche packen und hinausstürmen konnte. Er verabschiedete sich kaum von seinen Mitschülern und seine Freunde blickten ihm kopfschüttelnd hinterher.

      Das neue Zuhause

      Wie er seinen Freunden sein Verhalten erklären sollte, würde er sich später überlegen. Nun war er viel zu aufgeregt wegen des kleinen Regenbogens, mit dem er sich so gerne unterhalten wollte. Hoffentlich hatte ihn inzwischen kein anderer gefunden und mitgenommen!

      Atemlos und mit vor Kälte und Anstrengung geröteten Bäckchen kam er wieder zu der Stelle in der Wiese gerannt, an der er den kleinen Regenbogen vor Stunden zurückgelassen hatte. Das Rennen war gar nicht so einfach gewesen, denn es hatte ununterbrochen geschneit, und weil es auch so kalt war, waren die Straße und der Gehweg rutschig. Normalerweise hätte er das sicher genossen und hätte mit seinen Freunden „Schlittschuhfahren“ gespielt und wäre den ganzen Weg nach Hause johlend und kichern gerutscht und geschlittert. Vermutlich wäre er auch das ein oder andere Mal hingefallen, aber