Paul Stefan Wolff

Die heilende Liebesbeziehung


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      „Anfangs noch, ja. Dann vielleicht denkst du nur noch einmal am Tag an ihn. Dann nur alle paar Tage, schließlich siehst du ihn mit anderen Augen – mit einem Trost im Blick. Dein Blick, das ist das Alpha und Omega. Dein Blick ist es, den wir bearbeiten müssen.“

      „Verstehe“, Tina war überzeugt. „Ich bin einverstanden. Wie geht es los?“

      „Mit dem Anfang. Der Beziehung. Die meisten Fehler passieren am Anfang.“

      Vor einiger Zeit. Tina erzählt. (Zum besseren Verständnis wird die reale Situation wiedergegeben.)

      Eine ganz normale Theaterveranstaltung. Tina war alleine da, schnappte etwas frische Luft in der Pause.

      „Hallo. Ich würde Sie – dich - gerne kennen lernen“, der gut aussehende Mann stellte sich zu ihr hin.

      „Warum?“ die durchaus direkte Tina wollte gleich mal die Motivation testen.

      „Kennst du das, es gibt langweiligere Momente im Stück. Und da ist mein Blick abgeschweift. Und fiel auf dich. Vielleicht Fügung. Und du hast dich genauso gelangweilt – in diesem Augenblick. Da wollte ich herausfinden… vielleicht ticken wir ähnlich.“

      „Ja, das Stück hat Längen.“

      „Aber die Pointen dazwischen sind es wert, finde ich.“

      „Ja“, lachte sie. „Die haben es in sich. Insbesondere bei dem Spruch: Frauen sagen: abwarten und Tee trinken. Und dann essen sie dazu zu viel Kuchen und hinterher sagen sie, warum bin ich so dick. Ich sollte aktiver werden. - Der hat mich voll erwischt.“

      „Ja, so seid ihr“, sagte Chris. „Wenn du einen Sportpartner suchst, ich habe gehört, zu zweit ist die Strecke, die man joggen geht, etwas länger. Alleine gibt man eher auf.“

      Wieder im Jetzt.

      „Einspruch“, sagte Sven. „Du, Tina, hast etwas gesagt, was persönlich ist. Sehr gut. Du zeigst ihm deine Wunde, die des Abwarten und Tee trinken, die mangelnde Aktivität. Und er reagiert genauso mit einer Projektion, er wirft dir seine Erfahrungen mit den anderen Frauen an den Kopf. Nicht?“

      „Wenn ich es recht überlege...“

      „Warum sagte er nicht so etwas wie: ich bin sicher, du bist schon ab und zu aktiv. Man muss sich auch Ruhepausen gönnen. Er hätte drauflegen können mit: wir alle sind ab und an faul. Damit hätte er Menschlichkeit zugegeben. Oder auch: Es kommt darauf an, das eine zu tun und das andere nicht zu lassen. Dann die Sache mit dem Joggen.“ Er lächelte. „Stattdessen drückt er dich runter zu dem Niveau, dass seiner Meinung nach alle Frauen dies und jenes.“

      „Ok. Du hast recht“, Tina nickte. „Aber das Ansprechen, war das nicht etwas forsch? Ich habe hinterher oft gedacht, wenn er das so mutig macht, dann macht er das öfter.“

      „Naja“, Sven zuckte mit den Achseln. „Ansprechen muss sein. Eine Bekannte von mir hat mal gesagt, die Ausländer sind zu forsch. Die Deutschen zu zurückhaltend. Die Mitte wäre es. Ich denke, sie hat damit recht.“

      „Und das mit dem gleich das Joggen anbieten?“

      „Er muss etwas sagen, was dazu führt, dass er an deine Telefonnummer kommt. Da ab und an direkt zu sein ist Sache des Naturells. Das kann passen oder auch nicht. Er muss den nächsten Schritt wagen. Zumindest hat er nicht gesagt, lass uns Sex machen, das verbrennt auch Kalorien.“

      „Sie reden ihn mir schön.“

      „Es ist nicht meine Aufgabe, die Exen schlecht zu reden. Es ist meine Aufgabe aufzuzeigen, dass er seine Arbeit unvollständig gemacht hat. Wer auf den perfekten Partner wartet, wartet bis zum Tod. Irgendwen MUSS man ja nehmen. Keiner macht NUR Fehler, sonst wäre es keine Beziehung geworden. Meine Aufgabe besteht darin, aufzuzeigen, SO VIEL Trauer hat er nicht verdient. Aber etwas Trauer schon. Jede Sache, die anfängt, birgt die Hoffnung auf Potenzial. Es war vielleicht eine unglückliche Geschichte. Aber es ist ein Teil deiner Liebesgeschichte – und wird es bleiben. DIE Geschichte gab es, das lässt sich nicht leugnen.“

      „Verstehe. Du willst, ich soll das wegrasieren, was falsch war. Und es soll zurückbleiben, was real da war. Und deine Theorie sagt dann, der reale Rest wird schon nicht so schlimm sein.“

      „So in etwa“, antwortete Sven.

      „Eine ganz andere Frage. Wie groß ist das Potenzial des perfekten Verhaltens?“

      „Nicht „perfekt“, sondern „heilend“. Das Potenzial des heilenden Verhaltens kann so groß sein, es kann unter geeigneten Umständen dazu führen, dass ein zweifelnder potenzieller Partner sich verliebt. Geeignete Umstände sind Alter etc. Das heilende Verhalten hat eine starke Anziehungskraft, wir wollen alle mehr davon.“

      „Ich kann damit also Männer kriegen, die am Zweifeln sind?“

      „Möglich.“ Er lächelte. „Seine Fehler sind außerdem aus der Verzweiflung geboren. Kirkegaard sagt ja – und er hat Recht – Sünde entsteht aus Verzweiflung. Seine Projektionen sind tatsächlich Ausdruck seiner Verzweiflung. Weil er es nicht besser weiß. Weil er eben das Konzept der Heilenden Beziehung nicht kennt. Aber du wirst es kennen.“ Er atmete durch. „War es das mit dem Gespräch?“

      „Er hat mich danach zum Auto gebracht.“

      Vor einiger Zeit.

      Tina geht mit Chris zu ihrem Auto. Das steht etwas weit ab vom Bordstein.

      „Ich habe in Eile geparkt“, entschuldigt sich Tina.

      „Das Taxi vom Bordstein zum Auto zahle ich“, lacht Chris.

      „Den Film habe ich gesehen. Woody Allen, 70er. Weiß nicht mehr, wie er heißt.“

      „Annie Hall im Original. Ich habe ihn auf DVD.“

      „Also tust du nicht die ganze Zeit joggen?!“

      „Ich jogge alleine. Das heißt nach meiner Regel, ich breche zu früh ab.“

      „Und das willst du ändern, indem du wild Frauen im Theater ansprichst?“

      „Theater, weil ich stehe nun mal auf Frauen, die wissen, wie man eine Szene macht...“

      „Also hältst du dich von Anwältinnen fern? Weil die wissen, wie man eine Scheidung macht.“

      „Meine Ex war im Außendienst. Die wusste, wie man einen übern Tisch zieht, wie man die Nachteile im Verkaufsgespräch kaschiert, damit man die Rostlaube teuer kauft...“

      „Mein Ex war Erzieher. Ich nahm ihn, damit er unsere Kinder erzieht. Er wollte dann mich zuerst erziehen.“

      „Hast du das öfter, dass du in Männern das Bedürfnis weckst, dich zu erziehen?“

      „Aber nur, wenn ein Mann mir wirklich fesselt.“

      „Puh! Dich rufe ich mit SICHERHEIT an...“

      Wieder im Jetzt.

      „Gab es daran was auszusetzen?“

      „Einiges“, Sven nickte.

      „Es war ein wunderbares humorvolles Gespräch.“

      „Das zu großen Teilen auf dein Kosten ging. Alleine schon der Satz, der anfängt mit Hast du das öfter… Daraus spricht seine Unsicherheit am Anfang, sein Sicherheitsbedürfnis. Er reißt die Pointe voll und ganz auf deine Kosten. Fragen, die anfangen mit „Hast du das öfter“ sind immer Niedermachphrasen. Und du versuchst noch verzweifelt, das Ganze sexuell einzufärben. Warum hat er nicht einfach gesagt: Ich glaube nicht, dass du erzogen werden musst. Oder er hätte sagen können: Ich will dich nicht erziehen. Nur mit dir joggen gehen.“ Er machte eine Pause. „Nichts gegen Humor. Und gegen irgendwen geht Witz immer. Aber es sollte ausgewogen sein. Er fängt ja schon an mit einem Taxi-Parken-Witz gegen dich. Warum sagt er da nicht einfach: Ich parke selber auch ab und zu blöd. Oder: Das Stück hat die Eile gelohnt. Die Witze in der Mitte waren ok. Etwas Persönliches preisgegeben, von der Ex hat er erzählt, von