Kerstin Wandtke

Kind des Lichtes


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seinen Oberkörper mit ihren kleinen Fäusten. Raven, noch immer vom plötzlichen Angriff verwirrt, brauchte etwas Zeit um ihre Arme zufassen zu kriegen, doch dann hielt er mit eiserner Kraft fest.

      „Gut, es ist gut,“ rief er sie an, „hörst du mich, es tut mir leid.“

      Ihr Wutanfall ließ langsam nach und er lockerte augenblicklich seinen festen Griff.

      „Beruhige dich, bitte, es tut mir leid, ich wollte dich nicht verletzen, glaub mir, ich wollte dir nicht weh tun.“ Er sah in ihre, vor Tränen schimmernden Augen, ließ einen ihrer Arme los und streichelte ihr dann nur kurz, aber zärtlich über die erhitze Wange.

      „Du verstehst alles, was ich sage, richtig?“ Sie nickte und ihre Tränen liefen jetzt.

      „Was bin ich für ein Narr, bei den Göttern, was für ein Narr. Ich habe noch niemals im Leben ein Wesen wie dich getroffen und ich weiß absolut nichts von dir......... es tut mir leid....... Bitte, kleine Fee, verzeihst du mir?“ Sie ließ sich Zeit, doch dann nickte wieder und ihn durchströmte ein so starkes Gefühl für sie, das er sie in seine Arme zog, sich mit ihr zurücksinken ließ und sie einfach nur festhielt. Er bemerkte mit Verwunderung, das er dabei war sich zu verändern. Was berührte dieses kleine Ding in ihm, zumal nach so kurzer Zeit, dass er sich für etwas Gesagtes Entschuldigte. Er, Raven, einer der Könige der Lüfte und Herrscher seines großen, fernen Reiches wurde beherrscht von diesem kleinen Mädchen. Und doch, merkte er, es gefiel ihm.

      Diese Gefühle, die er jetzt empfand, waren ihm zwar fremd, aber er genoss sie dennoch. Noch nie hatte er so für ein Wesen gefühlt. Noch niemals etwas wie sie erblickt. Er streichelte über ihr jetzt gekämmtes Haar und fühlte seine Weichheit, spürte ihr Gewicht, ihre Wärme auf seinem Körper und die dadurch beginnende Hitze in seinen Lenden. Doch er wollte diesen Moment nicht von seinen Treiben stören lassen und unterdrückte diese rasch.

      „Wer bist du, kleine Fee,“ flüsterte er sanft, „wer bist du bloß.“

      Sie erwachte wieder lautlos schreiend aus dem immer wiederkehrenden Traum. Sich umschauend erhob sie sich und sah den großen, geflügelten Mann dicht bei ihr am Feuer schlafen und langsam kehrte die Erinnerung zurück. Stimmt, dachte sie, ich habe ihn begleitet, als er mich gefragt hatte. Doch er war so sonderbar. Mutter hatte ihr zwar viel von den Anderen erzählt, wie sie lebten, was sie taten, aber auf dies hatte sie Alina nicht vorbereitet. Mutter, wo war sie bloß, ging es ihr gut?

      Alina erinnerte sich an den Traum, der sie bis jetzt in jeder Nacht verfolgt hatte. Mutter, die plötzlich fortging und sie zurückließ, an den vielen Schnee, wie sie nach ihr rief, sie suchte, Stunde um Stunde, Tag um Tag. An die freundlichen Wölfe, und wie sie dann überraschend empor und in die Luft gerissen wurde. Sie dachte an den vergangenen Abend, an die Worte, die er gesprochen hatte. Dass alles verwirrte sie so sehr, und vieles von dem, was er redete, verstand sie auch nicht richtig. Doch Mutter hatte ihr einmal erzählt, was es bedeutete, wenn sie jemand ein `Wolfskind´ nannte, nur, weil sie nicht sprechen konnte. Für viele Völker waren Wesen ohne Worte entweder tumb oder vom Teufel besessen, wer immer das auch sein mag. Deshalb tat es ihr sehr weh, als er sie so nannte. Mutter sagte immer, man müsse sich vor den Anderen in Acht nehmen, doch sie fühlte sich so einsam, so allein, nachdem Mutter fort war. Deshalb war sie doch nur mit ihm gegangen und hatte ihre Wälder verlassen. Die Wälder, die ihr Heim waren. Die Wälder, in denen sie aufgewachsen war. Mutter würde sehr böse mit ihr sein. Doch er war so gut zu ihr gewesen und als sie in seinen Armen gelegen hatte war da plötzlich etwas Neues, etwas Aufregendes tief in ihr. Sie mochte diesen großen, hübschen Riesen wirklich, beschloss aber vorerst, etwas vorsichtiger zu sein und nicht zuviel von sich preiszugeben. Sie setzte sich aufrecht hin und begann, wie schon einige Male zuvor, mit geschlossenen Augen und offenem Geist nach ihrer Mutter zu rufen.

      Sie irrte wieder durch die schneedurchtoste Dunkelheit. Sie weinte und rief in den heulenden Wind nach ihrer Mutter. Fühlte nur Einsamkeit in sich und den harschen Schnee im Gesicht.

      „Mutter, bitte, Mutter, wo bist du, lass mich doch hier nicht alleine, bitte.“ Sie lief Barfuss durch den zwielichtigen Wald, fror und fühlte dabei heiße Tränen über ihre Wangen laufen.

      „Alina.“ Der Ruf wurde vom heulenden Wind wie von weit hergetragen, und erstarb fast durch diesen. Doch sie hörte ihn mehr in sich, als mit den Ohren.

      „Mutter, ich höre dich. Warte, ich komme zu dir,“ rief sie in den heulenden Wind und stapfte entschlossen durch den tiefen Schnee in Richtung der fernen Stimme.

      „Alina,“ erklang es wieder aus weiter Ferne zu ihr, „bleib bei ihm. Es ist sehr wichtig, das du mit ihm gehst. Er ist deine, er ist unser aller Zukunft. Folge ihm. Folge ihm in seine Welt.“ Die Stimme ihrer Mutter verhalte langsam in der Ferne und ließ sie einsam und frierend inmitten des Schneesturms zurück.

      Sie erwachte langsam aus ihrer Trance und fand sich im Lager neben dem schlafenden Mann wieder. Mutter war nicht böse, das sie ihn begleitet hatte. Mutter hatte ihr sogar zugerufen, dass sie bei diesem Mann bleiben solle. Er, der ihrer aller Zukunft darstellen sollte. Aber was hatte das alles zu bedeuten. Sie überlegte dies gründlich, fand aber vorerst keine Antwort auf ihre Fragen. Nun, sie vertraute ihrer Mutter von ganzem Herzen und würde sich ihrem Wunsch gemäß fügen. Dennoch fühlte sie sich nicht ganz wohl bei dem Gedanken, Mutter und ihre Heimat jetzt verlassen zu müssen. Diese verwunschenen Wälder des Nordens, in denen sie geboren war, stellten ihr Reich da. Hier lebte sie bisher, kannte die Pflanzen und Tiere und fühlte sich auch ohne Mutter geborgen. Und nun sollte sie ihre Welt vielleicht für immer verlassen?

      Sie fühlte sich sehr einsam, klein und traurig am nächsten Morgen, und obwohl der große Mann später viel unternahm um sie aufzuheitern, gelang es ihm nicht. Als sie schließlich ihre Reise fortsetzten stellte sie sich dieses mal mit dem Rücken zu ihm. Sie nahm mit dem Blick auf ihre verschneiten Wälder, still Abschied von ihnen und ihrer Mutter, die irgendwo dort unten war. Gegen Mittag, ihre Tränen waren langsam versiegt, begann sie doch noch gefallen am Fliegen zu finden. Es berauschte sie, dass alles unter ihr nur so vorbeirauschte. Er musste wohl eine Veränderung bei ihr bemerkt haben, denn er verlangsamte sein Tempo, und segelte dann ruhig mit ihr über die dicht bewaldeten, verschneiten Berge und Täler dahin. Von Gefühlen überwältigt, streckte sie ihre kleinen Arme aus und stellte sich vor, sie sei ein kleiner Vogel der frei und ohne Sorgen durch die Lüfte glitt. Er ergriff behutsam ihre kleinen Hände.

      „Ja, kleine Fee, fliege mit mir,“ flüsterte er leise, und so glitten sie durch die Kälte dahin, jeder in seinen eigenen starken Gefühlen gefangen. Die Sonne glitzerte auf dem dicken Schnee, und mehr als ein Ast brach unter ihnen unter dessen Gewicht. Die sanften Wolken zogen über ihnen hinweg Richtung Süden, und sie würden ihnen folgen.

      Der Drachen

      Am späten Nachmittag fanden sie eine alte, verlassengeglaubte Drachenhöhle, die zwar nicht besonders gut roch, aber dafür groß und windgeschützt lag. Sie schlugen gemeinsam ihr Lager auf und stellten mit Erstaunen fest, das der alte, trockene Drachendung hervorragend brannte. Sie aßen die letzten Reste des Rehs und saßen sich danach noch lange gemeinsam am Feuer gegenüber. Raven hatte jetzt genauso lange mit sich gerungen. Während des Fluges hatte er hin und her überlegt, und er fand nur eine einzige Möglichkeit, nur einen einzigen Weg, den er mit ihr würde gehen können, sosehr dieser ihn auch schmerzen würde.

      „Ich weiß nicht,“ begann er unruhig, „wie lange du mich noch begleiten kannst, kleine Fee. Für deinesgleichen verkörpere ich nur tot und verderben, und meine Reise zurück zu meinem Reich ist noch lang und beschwerlich. Ich muss bald das große Meer überqueren und ich weiß nicht, ob ich das mit dir schaffen werde, oder ob du überhaupt so weit mit mir kommen möchtest.“ Er sah ihr lange ins schöne Gesicht. Sie erwiderte seinen traurigen Blick nur ruhig, verstand aber nicht ganz, worauf er jetzt hinauswollte. Innerlich voller Neugier wartete sie, dass er fortfuhr.

      „Du bist so ungewöhnlich. So schön. Ich könnte es nicht ertragen, dich in deinen Tot zu führen.“

      Sie sah ihm jetzt ernst in die Augen, denn sie wusste, was der Tod zu bedeuten