Zurückhaltung sie zur Verzweiflung bringen. Bei den üblichen Zerstreuungen, der Jagd, dem Spiel, dem Tanz und der Politik, tat er sich nicht minder hervor als die andern, und zu Pferd übertraf er sie alle. Was ihn aber von allen andern unterschied, war, daß all diese angenehmen Zeitvertreibe weder Zweck noch Ziel seines Lebens bedeuteten. Mit seiner Liebe für Bücher und Musik, mit seinem Hang zum Dichten und Träumen stand er allein.
Ach, warum sah er so gut aus und war so blond, warum so unnahbar und höflich und so aufreizend langweilig in seiner Unterhaltung über alles mögliche, das sie nicht interessierte - und dabei doch so liebenswert! Nacht für Nacht, wenn Scarlett mit ihm im Halbdunkel auf der Veranda vor der Eingangstür gesessen hatte und dann zu Bett ging, warf sie sich stundenlang ruhelos herum und tröstete sich nur mit dem Gedanken, daß er ihr das nächste Mal einen Antrag machen würde. Aber das nächste Mal kam und ging, und es geschah nichts - nichts, als daß das Fieber in ihren Adern immer heißer wurde. Sie liebte ihn, sie begehrte ihn, und sie begriff ihn nicht. Ihr Wesen war so einfach und gerade wie die Winde, die über Tara wehten, wie der gelbe Fluß, der es umströmte, und bis an das Ende ihrer Tage würde sie nicht lernen, etwas Zwiespältiges zu verstehen. Hier stand sie zum erstenmal in ihrem Leben vor einer vielseitigen Natur.
Denn Ashleys Vorfahren hatten ihre Muße zum Denken und nicht zum Tun verwandt. Bunte glänzende Träume hatten sie gesponnen, die nicht Wirklichkeit waren. Ashley lebte und webte in einer anderen Welt, die schöner war als Georgia, und kehrte nur widerstrebend in die Wirklichkeit zurück. Er sah sich die Menschen an, und sie waren ihm weder lieb noch leid. Das Leben sah er sich an, und es riß ihn weder hin, noch drückte es ihn nieder. Er nahm die Welt und seinen Platz darin, wie sie waren, zuckte die Achseln und kehrte in seine bessere Welt mit ihrer Musik und ihren Büchern zurück.
Wie es kam, daß Scarlett von ihm gefesselt wurde, obwohl doch sein Gemüt dem ihren so fremd war, wußte sie nicht. Gerade das Geheimnisvolle an ihm erregte ihre Neugier. Es war wie eine Tür, die weder Schloß noch Schlüssel hatte. Um des Geheimnisvollen willen liebte sie ihn nur um so mehr, und die wunderlich verhaltene Art seiner Zuneigung erhöhte nur ihre Sehnsucht, ihn ganz für sich zu gewinnen. Daß er eines Tages um sie anhalten würde, stand für sie fest. Sie war viel zu jung und zu verwöhnt, um zu wissen, was Niederlage ist. Und nun kam die schreckliche Nachricht wie ein Donnerschlag. Ashley wollte Melanie heiraten! Das konnte nicht sein!
Erst vorige Woche, als sie in der Dämmerung von Fairhill zusammen nach Hause ritten, hatte er gesagt: »Scarlett, ich habe dir etwas so Wichtiges zu erzählen, daß ich kaum weiß, wie ich es dir sagen soll.«
Sie hatte sittsam die Augen niedergeschlagen, während ihr das Herz in wilder Freude schlug. Sie meinte, der Augenblick sei gekommen. Da hatte er fortgefahren: »Jetzt nicht, wir sind beinahe zu Hause und haben keine Zeit mehr. Ach, Scarlett, was bin ich für ein Feigling!« Dann hatte er seinem Pferd die Sporen gegeben und war mit ihr in wildem Rennen den Hügel nach Tara hinaufgestürmt
Scarlett saß auf ihrem Baumstumpf und bedachte die Worte, die sie so glücklich gemacht hatten, und auf einmal bekamen sie einen anderen, einen häßlichen Sinn. Wenn er ihr nur seine Verlobung hatte mitteilen wollen! Ach, käme doch Pa nach Hause! Das bange Warten ertrug sie nicht mehr.
Die Sonne war nun hinter dem Horizont verschwunden, und die rote Glut am Rande der Welt erlosch in rosigen Tönen. Der blaue Himmel droben verwandelte sich allmählich in das zarte Blaugrün des Rotkehlchens, und die überirdische Stille ländlicher Dämmerung senkte sich sacht herab. Die Landschaft zerfloß im Schatten der roten Furchen, die klaffende rote Landstraße war nicht mehr so hexenhaft blutrünstig, sie wurde zu schlichter brauner Erde. Jenseits der Straße standen Pferde, Maultiere und Kühe still auf der Weide, den Kopf über den Zaun gelegt, und warteten darauf, in den Stall getrieben zu werden. Der dunkle Schatten des Dickichts am Wiesenbach war ihnen unheimlich, die 0hren zuckten zu Scarlett hinüber, als sehnten sich die Tiere nach der Gesellschaft des Menschen. Die hohen Pechkiefern auf der Flußniederung, die unterm Sonnenlicht in so warmem Grün erglühten, standen jetzt schwarz vor dem pastellfarbenen Himmel, eine undurchdringliche Reihe von Riesen, die das träge gelbe Wasser zu ihren Füßen verbargen. Auf dem Hügel jenseits des Flusses verschwan den die hohen weißen Schornsteine des Wilkesschen Hauses allmählich in der Finsternis der mächtigen Eichen, die sie umgaben. Nur an den Tischlampen, die fern und winzig wie Stecknadelköpfe herüberleuchteten, konnte man noch sehen, daß dort ein Haus stand. Die warme, balsamische Feuchtigkeit des Frühlings, der frische Duft des gepflügten Ackers, der Sonnenuntergang waren für Scarlett nichts Wunderbares. Sie nahm all die Schönheit so gedankenlos hin wie die Luft, die sie atmete, und das Wasser, das sie trank. Schönheit hatte sie bisher mit Bewußtsein nur auf Frauengesichtern und an Pferden, an seidenen Kleidern und ähnlich greifbaren Dingen wahrgenommen.
Doch die friedvolle Dämmerung über Taras Feldern brachte ihrem verwirrten Gemüt ein wenig Ruhe. 0hne es zu wissen, liebte sie ihre Heimat so innig wie das Angesicht ihrer Mutter unter der Lampe zur Stunde der Abendandacht.
Noch immer keine Spur von Gerald auf der stillen gewundenen Landstraße! Wenn sie noch länger wartete, kam sicher Mammy, sie zu suchen und mit Gewalt nach Hause zu bringen. Als sie eben wieder die dunkelnde Landstraße hinabspähte, hörte sie Hufschlag unten am Weidenhügel und sah Pferde und Kühe erschreckt auseinanderstieben.
Gerald 0'Hara kam quer über die Felder in gestrecktem Galopp nach Hause geritten. Auf seinem schweren langbeinigen Braunen sah er von fern aus wie ein Junge, für den das Pferd viel zu groß ist. Er trieb es mit Peitsche und lautem Zuruf an. Sein langes weißes Haar wehte im Winde hinter ihm her. 0bwohl Scarlett von ihren Sorgen ganz erfüllt war, betrachtete sie ihn mit liebevollem Stolz, denn Gerald war ein vorzüglicher Reiter. »Warum er nur immer über Zäune setzen muß, wenn er ein paar Glas getrunken hat«, dachte sie, »und das gerade an dieser Stelle, nach seinem Sturz voriges Jahr, als er sich hier das Knie brach. Dabei hat er Mutter unter Eid versprochen, nie wieder zu springen.«
Scarlett hatte keine kindliche Angst vor ihrem Vater, und sie empfand eher ihn als ihre Schwestern wie gleichaltrig. Über Zäune zu springen und vor seiner Frau etwas geheimzuhalten, erfüllte ihn mit einem knabenhaften Stolz und einer schuldbewußten Wonne, die ihrem eigenen Vergnügen gleichkam, wenn sie Mammy hinters Licht führen konnte. Sie stand auf, um ihn zu beobachten. Das schwere Pferd war jetzt am Zaun angelangt, setzte an und sprang mühelos hinüber. Der Reiter jauchzte vor Begeisterung. Die Peitsche knallte durch die Luft, das weiße Lockenhaar flog empor. Gerald sah seine Tochter im Schatten der Bäume nicht, er zog die Zügel wieder an und klopfte seinem Pferd anerkennend den Hals.
»Keiner in der Provinz und keiner im Staat reicht dir das Wasser«, teilte er voll Stolz seinem Roß mit; die Mundart der irischen Grafschaft Meath beschwerte ihm trotz neununddreißigjährigem Aufenthalt in Amerika noch immer die Zunge. Dann machte er sich rasch daran, das Haar zu glätten und die Krawatte zurechtzuziehen, die ihm schief hinter einem 0hr saß. Dies tat er, um als Gentleman vor seine Frau zu treten, der würdevoll von einem Nachbarbesuch nach Hause geritten war. Das wußte Scarlett, und sie hatte die Gelegenheit, die sie brauchte, um ein Gespräch anzufangen, ohne ihre eigentliche Absicht zu verraten. Sie lachte laut auf. Gerald stutzte, dann erkannte er sie, und sein blühendes Gesicht bekam einen zugleic h schuldbewußten und trotzigen Ausdruck. Mit einiger Anstrengung stieg er ab, denn sein Knie war noch steif, und stapfte mit den Zügeln über dem Arm auf sie zu.
Er kniff sie in die Wange. »Du hast mir also aufgelauert, kleines Fräulein, damit du mich, wie neulich Suellen, bei deiner Mutter anschwärzen kannst?«
Seine heisere Baßstimme grollte, aber hatte doch einen einschmeichelnden Klang. Scarlett schnalzte neckend mit der Zunge, als sie die Hand ausstreckte, um ihm die Krawatte wieder zurechtzurücken. Mi t seinem Atem schlug ein starker Dunst von Bourbon-Whisky mit einem leichten Anflug von Pfefferminzgeruch ihr ins Gesicht. Auch den Geruch von Kautabak, von geöltem Leder und von Pferden brachte er mit, ein Gemisch, das sie stets an ihren Vater erinnerte und ihr daher auch bei anderen Männern unwillkürlich angenehm war.
»Nein, Pa, ich bin keine Klatschbase wie Suellen.« Sie trat zurück und musterte sachverständig seinen wieder in 0rdnung gebrachten Anzug.
Gerald war ein kleiner