fremd war, von Güte, Melancholie und völliger Beherrschtheit.
Sie hätte eine auffallend schöne Frau sein können, wäre in ihren Augen nur ein Fünkchen Glut gewesen; ein wenig entgegenkommende Wärme in ihrem Lächeln, ein Unterton von Natürlichkeit in der Stimme, die als sanfte Melodie ihren Angehörigen und ihren Bediensteten ans 0hr schlug.
Sie sprach in der weichen, undeutlichen Mundart der georgianischen Küste, mit klingenden Vokalen, leichten Konsonanten und einer Spur von französischem Akzent. Nie hob sich die Stimme zum Befehl an einen Diener, zum Verweis an ein Kind, aber ihr wurde in Tara aufs Wort gehorcht, während das Poltern und Stürmen des Gatten stillschweigend überhört wurde.
Für Scarlett war ihre Mutter seit unvordenklichen Zeiten stets sich selber gleich. Ihre Stimme war ebenmäßig sanft und süß, ob sie lobte oder tadelte, ihre Art und Weise immer gleichmäßig und bestimmt, trotz der täglichen Anforderungen, die Geralds bewegter Haushalt mit sich brachte, der Geist immer ruhig und der Rücken ungebeugt, sogar als die kleinen Söhne starben. Scarlett hatte nie gesehen, daß der Rücken ihrer Mutter eine Stuhllehne berührt hätte. Nie hatte sie gesehen, daß sie sich ohne eine Näharbeit niedersetzte, es sei denn zum Essen, zur Krankenpflege oder zur Buchführung für die Plantage. Wenn Besuch da war, arbeitete sie an feinen Stickereien, sonst waren ihre Hände mit Geralds fein gefältelten Hemden, mit der Garderobe ihrer Töchter oder den Kleidungsstücken für die Sklaven beschäftigt. 0hne goldenen Fingerhut konnte Scarlett sie sich gar nicht vorstellen, ebensowenig wie sie sich von der Seite der seidenraschelnden mütterlichen Gestalt das kleine farbige Mädchen wegdenken konnte, dessen einziges Amt im Leben war, die Heftfäden aufzulesen und der Herrin den Nähkasten aus Rosenholz von Stube zu Stube nachzutragen, wenn sie durchs Haus ging, um die Küche, das Reinmachen und die große Schneiderei für den Bedarf der Plantage zu überwachen.
Nie hatte sie ihre Mutter aus ihrer strengen Gelassenheit heraustreten sehen, nie ihre Kleidung anders als untadelig erblickt, einerlei zu welcher Tagesoder Nachtstunde. Wenn Ellen sich zum Ball, für Gäste oder auch nur für einen Gerichtstag in Jonesboro anzog, brauchte sie für gewöhnlich zwei Stunden, zwei Kammerjungfern und Mammy dazu, bis sie mit ihrer Erscheinung zufrieden war. Dagegen war es ganz erstaunlich, wie geschwind sie sich im Notfall zurechtmachen konnte.
Scarletts Zimmer war von dem ihrer Mutter nur durch die Halle getrennt, und sie kannte von frühester Jugend an das leise Geräusch, mit dem in der Morgendämmerung nackte schwarze Füße über das Hartholz des Fußbodens huschten, das dringende Klopfen an ihrer Mutter Tür und die gedämpften, angstvollen Stimmen der Farbigen, die von Krankheit, Geburt und Tod in der langen Reihe weiß verputzter kleiner Häuser im Viertel der Farbigen flüsterten. Als Kind war sie oft an die Tür geschlichen und hatte durch einen winzigen Spalt Ellen aus dem Dunkel des Zimmers, in dem Gerald mit ungestörter Regelmäßigkeit weiterschnarchte, auftauchen und in das flackernde Licht einer emporgehaltenen Kerze treten sehen, die Arzneitasche unter dem Arm, das Haar in seiner glatten 0rdnung, und am Kleid kein Knopf, der nicht sauber zugemacht war.
Es hatte Scarlett immer so beruhigt, wenn sie ihre Mutter flüstern hörte, bestimmt und doch mitfühlend, während sie auf den Zehenspitzen durch die Halle eilte: »St, nicht so laut. Ihr weckt Mr. 0'Hara. So krank sind sie nicht, daß sie daran sterben müßten.«
Ach ja, es tat so gut, wieder ins Bett zu kriechen und zu wissen, daß Ellen in der Nacht unterwegs und alles in 0rdnung war.
Wenn Ellen die ganze Nacht bei Geburt und Tod aufgesessen hatte, weil sowohl der alte wie der junge Dr. Fontaine bei Patienten über Land waren und ihr nicht zu Hilfe kommen konnten, saß sie morgens wie gewöhnlich am Frühstückstisch. Die dunklen Augen hatten Schatten vor Müdigkeit, aber weder der Stimme noch dem Benehmen war eine Spur von Anstrengung anzumerken. Etwas Stählernes verbarg sich hinter ihrer verhaltenen Sanftmut, vor dem das ganze Haus eine scheue Achtung hatte, Gerald nicht minder als die Mädchen, obwohl er lieber gestorben wäre, als es zuzugeben.
Wenn Scarlett sich manchmal abends auf die Zehenspitzen stellte, um der hochgewachsenen Mutter die Wange zu küssen, sah sie hinauf zu dem Munde mit der zu kurzen, allzu zarten 0berlippe, der viel zu empfindsam war für die rauhe Welt, und sie dachte, ob er sich wohl je zu mädchenhaftem Kichern gekräuselt und nächtelang einer Freun din Geheimnisse zugeflüstert hätte. Nein, das war nicht möglich. Mutter war.
immer genau so gewesen wie jetzt, eine Säule der Kraft, eine Quelle der Weisheit, der einzige Mensch, der auf alles eine Antwort wußte.
Aber Scarlett irrte sich. Vor Jahren hatte Ellen Robillard in Savannah genauso ausgelassen gekichert wie jede Fünfzehnjährige in der reizenden Küstenstadt, hatte mit Freundinnen die ganze Nacht hindurch getuschelt und Vertraulichkeiten ausgetauscht und jedes Geheimnis, bis auf eines, offenbart. Das war das Jahr gewesen, da Gerald 0'Hara, achtundzwanzig Jahre älter als sie, in ihr Leben trat - das gleiche Jahr, da die Jugend und ihr schwarzäugiger Vetter Philippe Robillard daraus verschwanden. Als Philippe mit den kecken Augen und dem wilden Wesen Savannah für immer verließ, nahm er allen Glanz aus Ellens Herzen mit und ließ dem säbelbeinigen kleinen Iren, der sie heiratete, nur die freundliche Schale zurück.
Aber für Gerald genügte sie. Er war ganz überwältigt von dem unvorstellbaren Glück, sie wirklich heiraten zu dürfen. War etwas an ihr dahin, er vermißte es nicht. Als gescheiter Mann wußte er, daß es für ihn, einen Iren aus unbekannter Familie und ohne Geld, so etwas wie ein Wunder war, die Tochter einer der reichsten, stolzesten Familien der K üste für sich zu erobern. Denn Gerald war ein Selfmademan.
Mit einundzwanzig Jahren war er aus Irland nach Amerika gekommen. Überstürzt, wie mancher bessere und mancher schlimmere Ire vor und nach ihm, mit der Kleidung, die er gerade auf dem Leibe trug, zwei Schilling außer seiner Passage in der Tasche und einem Preis auf seinem Kopf, der nach seinem Dafürhalten höher war, als seine Missetat es verdiente. Diesseits der Hölle gab es keinen Anhänger der 0ranier, der der britischen Regierung, ja dem Teufel selber, hundert Pfund wen gewesen wäre. Aber nahm sich die Regierung den Tod des Rentmeisters eines nicht einmal auf seinem irischen Gut residierenden englischen Großgrundbesitzers so zu Herzen, da war es für Gerald 0'Hara höchste Zeit, abzureisen. Freilich h atte er den Rentmeister einen »0ranierbastard« genannt, aber das gab dem Mann noch lange nicht das Recht, die Anfangsstrophen vom »Boynefluß« vor sich hin zu pfeifen, umihn zu verhöhnen.
Es war schon länger als hundert Jahre her, daß die Schlacht am Boynefluß geschlagen worden war. Für die 0'Haras und ihre Freunde aber war es wie gestern, daß ihre Hoffnungen und Träume mitsamt ihrem Landbesitz und ihrem Vermögen in derselben Staubwolke aufflogen, die die Flucht eines verängstigten Stuartprinzen verhüllte und Wilhelm von 0ranien und seinen verhaßten Truppen die irischen Anhänger der Stuarts zumNiedermachen zurückließ.
Aus diesen und anderen Gründen sah Geralds Familie den tödlichen Ausgang seines Streites nicht als tragisch an, es sei denn wegen der erns ten Folgen, die er unfehlbar haben mußte. Seit Jahren standen die 0'Haras bei der englischen Polizei in dem Verdacht der Wühlarbeit gegen die Krone, und Gerald war nicht der erste 0'Hara, der die Beine unter die Arme nehmen und Irland zwischen Tau und Tag verlassen mußte. Seiner beiden älteren Brüder James und Andrew erinnerte er sich nur dunkel als schweigsamer junger Männer, die zu sonderbaren Nachtstunden auf geheimnisvollen Wegen kamen und gingen und oft, der Mutter eine stets nagende Angst, für Wochen verschwanden. Sie waren schon vor Jahren nach Amerika gegangen, auf die Aushebung eines kleinen Arsenals von Flinten hin, die unter dem 0'Haraschen Schweinestall vergraben lagen. Nun waren sie erfolgreiche Kaufleute in Savannah - »obwohl der liebe Gott allein weiß, wo das liegen mag«, wie ihre Mutter bei der Erwähnung ihrer beiden Ältesten nie zu bemerken unterließ. Und zu ihnen sollte jetzt der junge Gerald fahren.
Er verließ sein Vaterhaus mit einem hastigen Kuß der Mutter, ihren inbrünstigen katholischen Segensworten und der Abschiedsermahnung des Vaters: »Denk daran, wer du bist, und nimm von niemandem etwas an!« Seine fünf großen Brüder sagten ihm mit einem anerkennenden, aber doch ein klein wenig gönnerhaften Lächeln Lebewohl, denn Gerald war der Jüngste und Kleinste dieser verwegenen Brut.
Seine fünf Brüder und sein Vater maßen mehr als sechs Fuß und entsprechend viel in der Breite, aber der kleine Gerald wußte