Ein sanfter Windhauch streifte Ziva und Nathaniel. Ziva machte sich Gedanken über das Gehörte. Kann das wirklich sein, dass ihr Gott in Wirklichkeit zwei Gruppen von Zeitreisenden waren? Doch Nathaniel verkehrte in den höchsten Kreisen. Der musste das ja wissen.
Zivas Gedanken wurden jäh von Nathaniels Stimme unterbrochen. „Weißt Du, dass unser Religionsstifter auch an der Geschichte beteiligt war?“, frage er, und bevor Ziva antworten konnte, sagte er: „Weißt Du, wer Moses begraben hat?“
„Ja, sicher, sein Volk, unsere Vorfahren,“ antwortete Ziva, doch Nathaniel gab ihr zu verstehen, dass es in der Thora ganz anders geschrieben steht.
Dort heißt es:
‚So starb denn dort Mose, der Knecht des Herrn, und er begrub ihn im Lande der Moabiter nach dem Befehl des Herrn…‘
„Hast Du genau zugehört, meine Kleine? Dort steht „Er begrub ihn“. Er – Gott! Ein Gott, der seinen Knecht persönlich begräbt? Kannst Du Dir so etwas vorstellen?“
Jetzt war Nathaniel voll in seinem Element. „Doch das ist nicht alles. Es heißt dann der gleichen Stelle: ‚…aber niemand kennt sein Grab bis auf den heutigen Tag.‘
Moses: Ein Religionsstifter, dessen Grab unbekannt ist? Der von Gott persönlich an einem unbekannten Ort begraben wurde? Das ist doch höchst seltsam.“
Ziva holte aus, um zu antworten, doch Nathaniel war jetzt nicht mehr zu bremsen: „‚Moses war bei seinem Tod Hundertzwanzig Jahre alt; seine Augen waren nicht schwach geworden, und seine Rüstigkeit war nicht geschwunden‘“, zitierte er weiter.
„Moses war topfit“, erklärt er weiter, „ja quicklebendig! Die Wirklichkeit ist, wie Du Dir als intelligentes Mädchen vermutlich schon gemerkt hast, ganz simpel. Moses ging mit Zeitreisenden mit und anschließende traten diese wieder als „Jahwe“ auf und erklärten dem Volk, dass er gestorben sei und er ihn begraben hätte. Aber Moses war gar nicht tot.
Ich weiß jetzt nicht, ob Moses selbst einer der Zeitreisenden war oder ob er von diesen nur benutzt wurde, auf jeden Fall aber nahmen sie ihn mit in die Zukunft.“
Ziva saß mit groß aufgerissenen Augen da. Während sie vorhin noch Zwischenfragen hatte stellen wollen, wusste sie nun überhaupt nicht mehr, was sie zu diesem Thema sagen oder fragen könnte. Der Großvater ließ ihr ja keine Zeit, einen klaren Gedanken zu fassen. Aber er würde von sich aus die ganze Geschichte erzählen, sie musste nur zuhören. Stumm und fasziniert saß sie da und lauschte den weiteren Erklärungen.
Und Nathaniel fuhr fort: „Die Geschichte um Moses Geburt in der Bibel ist merkwürdig. Du weißt ja aus der Thora, dass unser Volk seit den Zeiten Josefs, dem Sohn Jakobs, in Ägypten lebte, wo es für den Pharao arbeiten musste. Davon habe ich Dir ja schon früher erzählt. Du weißt ja, dass damals ein Gesetz erlassen worden war, nach dem jeder Erstgeborene unseres Volkes getötet werden sollte und dass es heißt, eine hebräische Dienerin habe ihren Sohn, Moses, in ein Weidekörbchen gelegt und auf den Nil ausgesetzt, um ihn zu schützen. Und ausgerechnet die Tochter des Pharaos zog ihn an Land, um ihn großzuziehen.
Jetzt gibt es aber eine ältere Geschichte, die sich um dem König Sargon dreht, der ungefähr 2000 Jahre vor Moses lebte. Auch von ihm heißt es, dass er in einem Weidekörbchen auf einem Fluss ausgesetzt wurde. So kann es sein, dass Moses – sein Name bedeutet ägyptisch übrigens schlicht und einfach ‚Kind‘ – diese Geschichte nur angedichtet wurde, weil man über die wahren Umstände seiner Geburt und seinem Auftauchen nicht Bescheid wusste.“
„Aber das steht doch so in der heiligen Thora. Das muss doch stimmen“, platzte es aus Ziva heraus.
„Kann schon sein, dass es stimmt, Ziva“, sagte Nathaniel. „Aber es ist doch seltsam, dass Moses‘ Geburtsgeschichte ebenso merkwürdig ist wie die Umstände seines Todes. Und auch beim Propheten Elias und bei Jeschua, dem Messias der Christen, waren die Schilderungen ihrer Geburt, oder im Falle Elias seiner Herkunft, sehr merkwürdig.“
„Elias – der ist doch in den Himmel aufgefahren“, sagte Ziva.
„Ja, so steht es in der Thora“, meinte Nathaniel. „Da heißt es, dass Elias zu seinem Jünger Elisa gesagt habe, er solle sich etwas von ihm erbitten, bevor er ‚von ihm hinweggenommen‘ werden würde. Und Elisa – gar nicht bescheiden – sagte: ‚Möge mir doch ein doppelter Anteil deines Geistes zufallen.‘ Elias – scheinbar gar nicht gerade begeistert – erwidere: ‚Wenn Du mit ansehen darfst, wie ich von Dir entrückt werde, so wird deine Bitte erfüllt werden, sonst nicht!‘ Und unvermittelt erschien plötzlich etwas, das beschrieben wird als ‚ein feuriger Wagen mit feurigen Rossen‘, der die beiden voneinander trennte. Und dann heißt es: ‚Und Elias fuhr im Wettersturm zum Himmel empor.‘ Als Elia außer Sicht war, fasste Elisa seine Kleider um zerriss sie in zwei Stücke.“
„Feurige Rosse, die in den Himmel ritten?“, fragte Ziva zweifelnd.
„Nun Kleines: Das ist sicher nur als Metapher zu verstehen. Du weißt doch, was eine Metapher ist?“, fragte Nathaniel.
„Natürlich weiß ich das!“, erwiderte die 14jährige mit einem beinahe beleidigten Unterton.
„Natürlich weiß ich, dass Du ein kluges Mädchen bist,“ erwiderte Nathaniel,“ und Zivas Blick wurde wieder versöhnlicher.
„Aber zurück zu Elias“, bestimmte Nathaniel. „Wir waren bei seiner Herkunft stehen geblieben. Auch da werden in der Thora nur ungenaue Angaben gemacht. Da heißt es ohne Umschweife, dass er gegenüber König Ahab eine Prophezeiung machte. Er sagte unvermittelt zu seinem König: ‚So soll denn in den nächsten Tagen weder Tau noch Regen fallen, es sei denn auf mein Wort‘. Und nur beiläufig wird erwähnt, dass Elias aus Thisbe in Gilead stammte. Über seine Geburt und seine Kindheit wissen wir gar nichts. Der Name Elias bedeutet: ‚Mein Gott ist Jahwe‘. So scheint er bereits bei der Namensgebung auf irgendeine Weise ‚Gott‘ nahegestanden zu haben.“
„Ja, und was ist jetzt mit der Herkunft des Elias?“, fragte Ziva ungeduldig.
„Wie gesagt“, antwortete Nathaniel, „über die Geburt dieses großen Mannes sagt die Thora nichts. Und über seine Herkunft heißt es lapidar, dass Gott ihm bei seiner Berufung sagte: ‚Geh weg von hier‘, mit ‚hier‘ meinte er Tisbith, ‚und wende dich ostwärts und verberge dich am Bache Krith, der östlich vom Jordan fließt‘. Gott sagte dem Elias, dass er aus dem Bach trinken sollte und dass die Raben ihn mit Nahrung versorgen würden. Und Elias gehorchte. Ist es nicht seltsam, dass Elias auf eine solche merkwürdige Prophezeiung hörte?“
„Und noch erstaunlicher ist es, dass Elias tatsächlich durch die Raben versorgt wurde. Später schickte ihn Gott zu einer Witwe in Phönizien. Und es verwundert nicht nur, dass dieser Elias wieder ohne Nachfrage auf Gott hörte und, wie es heißt, dass das knappe Essen der Witwe auf Elias Wort hin niemals zur Neige ging. Konnte Elias etwa zaubern? Nein, natürlich nicht, er wandte nur damals noch nicht bekanntes Wissen an.
Und dann ließ Elias sogar noch den Sohn der Witwe auferstehen. Der war nämlich während Elias Besuch bei der Witwe krank geworden, und die Krankheit wurde immer schlimmer, bis – ja, bis er starb. Die Thora drückt das so aus: ‚Es war kein Atem mehr in ihm‘.
Nun ging Elias mit diesem Jungen in ein anderes Zimmer und kam mit ihm, der nun wieder lebte, zurück. Elias muss also sehr eng mit Gott gewesen sein – oder er war mit unseren Zeitagenten im Bunde. Und tatsächlich soll er aus der Zukunft gekommen sein, wie meine Informanten sagen.“
Ziva staunte und hörte gespannt weiter zu.
„Später gab es eine Dürreperiode in Israel, und wieder wandte sich ‚Jahwe‘ an Elias. Er schickte ihn zum König Ahab, dem Elias vorwarf, dass er Gott nur mit dem halben Herzen diene, denn er würde auf die sogenannten Baalspropheten, den Verehrern eines anderen Gottes, hören.
Fällt Dir etwas auf, Ziva? Man sagt ja immer, Jahwe sei der einzige Gott. Doch es heißt, man solle keine anderen Götter neben ihm haben.