Anna Rawe

Die Rebellenprinzessin


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      Ein Teil von mir schrie vor Entsetzen, doch ich bewegte mich keinen Millimeter.

      Die Bestie schnaubte, knurrte, brüllte. Mittlerweile stand sie in einer dunklen Lache. Ihr malträtierter Körper ließ von Grannie ab. Endlich.

      Erneut stieß Rubina ihr das Schwert in die Seite.

       Bitte!, flehte eine Stimme tief in mir, Lass es vorbei sein. Lass es endlich aufhören! Ich wollte die Augen verschließen vor all dem Blut. Ich wollte die Ohren verschließen vor den Schreien und dem Gebrüll. Aber ich konnte nichts tun, als weiterhin unbewegt zuzusehen.

      Vor Schmerz tobend schlug die Bestie um sich. Ihre Pranken verfehlten Rubinas Kopf nur knapp.

      Ich hielt den Atem an.

      Die Bestie erstarrte.

      Ihr Blick traf meinen.

      Mordlust blitzte in ihren Augen auf.

      Mordlust und … Gelb. Scharfes, schneidendes Gelb traf mich wie ein Hieb und ich schloss meine Augen. Alles in mir drehte sich. Ich kämpfte gegen die erstickende Schwärze an, die mich in Wogen überrollte. Ich durfte jetzt nicht bewusstlos werden! Nicht jetzt!

      Mit einem Schlag öffnete ich die Augen wieder und rang nach Atem. Aber ich sah nicht das, was ich erwartet hatte.

      Kapitel 4

      „Nein!“ Rubinas Schrei zerfetzte die Stille. Sie kniete auf dem blutbeschmierten Boden, Grannies schlaffen Körper auf ihren Schoß gebettet. „Nein“, sagte sie immer wieder, „Nein, nein, nein.“

      Mechanisch stieg ich die Treppe hinab.

      Rubinas Kopf war nach unten gebeugt. Tränen tropften auf Grannies Gesicht. Ich kniete mich neben sie in die glitschig-rote Lache.

      „Nein“, hauchte sie noch immer, „Grannie … Nein.“ Schluchzer schüttelten ihren Körper. Mit zitternden Fingern strich sie über Grannies Wangen. So zerbrechlich.

      „Rubina?“ Sie schien meine Anwesenheit nicht zu bemerken. Verloren starrte sie in Grannies bleiches Gesicht.

      „Rubina.“ Jetzt sah sie auf. Nach Halt suchend musterte sie mich. „Zu spät“, murmelte sie, „Viel zu spät.“ Dann sah sie wieder zu Grannie.

      Vorsichtig berührte ich ihr schlaffes Handgelenk, wollte sie von Rubinas Schoß ziehen – als ich es spürte. Ein schwaches Schlagen, direkt unter der Haut. „Oh Gott“, hauchte ich und dann lauter, „Oh Gott. Oh Gott! Sie lebt! Rubina, sie lebt!“

      Rubina hob den Kopf und sah mich verständnislos an.

      „Sie lebt!“, wiederholte ich, „Sie hat einen Puls! Sie lebt!“

      Ich sprang auf. „Wir brauchen einen Arzt!“ Rubinas Blick wechselte zwischen mir und Grannie. „Verdammt, ruf einen Arzt, Rubina!“ Meine Schreie wurden schriller. „Sie braucht Hilfe! Wir brauchen Hilfe! Steh auf! Komm schon, steh auf!“

      Unendlich langsam erhob sie sich. „Ein … Arzt“, wiederholte sie schleppend, „Hilfe.“

      „Ja, wir brauchen Hilfe! Ruf einen Arzt!“

      Endlich wurde ihr Blick klar, fokussiert. „Warte hier“, sagte sie gefasst. Im nächsten Moment sprintete sie die Treppe nach oben, immer zwei Stufen auf einmal nehmend.

      Ich kniete mich neben Grannie. Um ehrlich zu sein, hatte ich nicht die geringste Ahnung, was ich jetzt tun sollte.

      „Keine Sorge“, murmelte ich deshalb. Meine Hand schloss sich um Grannies. „Wir holen Hilfe. Rubina ruft einen Arzt. Alles wird gut.“

      Sekunden später tauchte Rubina auf. „Wir müssen sie zu den anderen bringen!“, verlangte sie atemlos, während sie ein Laken neben Grannie auf dem Boden ausbreitete, „Nimm ihre Beine. Vorsichtig! Bei drei heben wir sie rüber.“

      „Rubina was –“

      „Drei!“

      Innerhalb von Sekunden lag Grannie auf dem weißen Stoff. „Nimm die Enden!“, wies Rubina mich an, „Na los, mach schon!“

      „Was soll das, Rubina? Was hast du vor?“

      „Sie retten!“, schnauzte sie, „Bei drei.“

      Mit einem Ruck hoben wir Grannie in die Luft.

      „Und jetzt los!“ Rubina setzte sich in Bewegung. Zu spät wurde mir klar, was sie da tat.

      „Aber wir können doch nicht –“

      „Klappe!“

      „Aber sie braucht einen –“

      „Klappe, verdammt!“

      Ich verstummte. Mondlicht verlieh der Welt einen Silberschimmer. Nichts erinnerte an den Angriff. Friedlich ruhte die Welt um uns herum. Vereinzelt hallten die Rufe einer Eule durch die Nacht. Schon bald war die Blockhütte außer Sichtweite und wir stolperten mitten durch den Wald. Die Luft hatte sich abgekühlt und eine frische Brise strich über meine bloße Haut. Ich war nicht mehr dazu gekommen, meine Schuhe anzuziehen, also lief ich barfuß, nur in dieser dünnen Bluse und einem Rock durch den nächtlichen Wald.

      Meine Arme zitterten bald vor Kälte und Anstrengung. „Wie weit …“

      „Reiß dich zusammen!“

      Nur Minuten später hielten wir – mitten im Wald. Suchend sah ich mich um. „Was zur Hölle machen wir hier?“, brüllte ich über Grannies leblosen Körper hinweg, „Sie braucht einen Arzt!“

      „Sei endlich still!“ Rubina machte Anstalten, sie abzulegen und ich konnte gerade noch rechtzeitig reagieren. Bevor ich auch nur ein Wort gesagt hatte, fiel Rubina einige Schritte entfernt auf die Knie und begann, im Laub zu scharren. Fassungslos starrte ich sie an.

      „Zum Himmel nochmal!“ Ohne sich umzudrehen stieß sie die Worte hervor. „Was stehst du da noch? Hilf mir!“

      Zögernd näherte ich mich ihrer gebeugten Gestalt. Ich hatte das dumpfe Gefühl, sie könnte den Verstand verloren haben. Moosklümpchen flogen in alle Richtungen, als sie wie eine Besessene mit der Erde kämpfte. Ich bekam Angst.

      „Rubina.“

      Ich wollte sie gerade wegzerren, da sah ich es. Zwischen den Grasbüscheln lag eine Holzplatte am Hang. Nein, sie war dort verankert. Rubina legte einen großen eisernen Ring frei, dann stand sie auf und machte sich daran zu schaffen.

      „Fass mal mit an!“, befahl sie harsch, während sie sich mit ihrem ganzen Gewicht gegen die Platte stemmte. Zögernd griff ich zu und tat es ihr gleich. Mit einem Ruck klappte die Platte nach oben und gab steinerne Stufen frei.

      „Worauf wartest du, verdammt?“ Rubina war bereits wieder zu ihrer Großmutter gelaufen und hatte das Laken ergriffen. „Beeil dich!“ Gemeinsam hievten wir das Laken erneut in die Luft und schleppten Grannie zum Eingang.

      „Was genau ist das hier?“, fragte ich, als wir die Treppe betraten. Ich erhielt keine Antwort. Vorsichtig stiegen wir Stufe um Stufe nach unten in den Hügel. Je weiter wir kamen, desto dunkler wurde es. Das Mondlicht leuchtete den Gang nur noch spärlich aus und schließlich gar nicht mehr. Es war stockdunkel. Ich begann, die Stufen zu zählen. Eins, zwei, drei … ich war bei fünfzig, als es plötzlich wieder hell wurde. Gelblicher Lichtschein drang in die Dunkelheit. Kurz drauf öffneten sich die Treppen in einen schmalen Gang. Rubina begann zu sprinten. Wenig später erreichten wir endlich einen Raum.

      „Wir brauchen Hilfe!“ Wie ein Komet krachten wir in das Zimmer und begegneten den versteinerten Mienen mehrerer Männer und Frauen. Völlig sprachlos starrten sie uns entgegen, musterten zuerst Grannies leblosen Körper auf dem Laken, bis schließlich ihre Blicke auf mir verharrten.

      „Schaut nicht so, tut etwas!“ Rubinas Stimme hallte von den steinernen Wänden wider. „Die Bestie ist zurück. Ihr müsst Grannie retten!“

      Endlich