Eike Stern

Die Ehre der Stedingerin


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biss die Zähne zusammen und schritt kraftvoll auf ihn zu, bewaffnet mit einem Schmiedehammer. Der Ritter lachte ihn aus, fegte mit einem Hieb seinen schweren Hammer aus dem Weg. Der klatschte in die Hunte, und der Fläme schlug ihm die Klinge von oben herab in die Schulter. Lüder kippte tödlich erwischt ins hohe Gras und brachte nicht einmal mehr einen Schrei über die Lippen. Der Ritter trat dem Erschlagenen in die Hüfte, um sich zu vergewissern, ob der wirklich tot sei, und zwei Reisige übernahmen es, die Leiche hundert Meter vor der Flussschleife in die Hunte zu werfen.

      So sinnlos, wie Lüder in der letzten Sekunde glaubte, war sein Tod doch nicht. Es hielt die Knechte des Vogtes davon ab, auch Wibke zu schänden. Die Mädchen blieben ungefähr eine halbe Stunde unter sich. Geldis bebte vor Angst, sie wäre an der Reihe gewesen. Sie betrachtete Birte mitleidig, die am Kamin hockte und sich ununterbrochen in die Arme weinte - sah auch Ulrike, die sich wie gerädert fühlte und gleichgültig auf dem Himmelbett ausgestreckt hatte. Wibke lief vor dem Gobelin auf und ab und rüttelte verzweifelnd am schmiedeeisernen Gitterornament, welches das Fenster sicherte, weil sich zwar ein Ausblick auf die Huntewiesen bot, der jedoch vergittert war.

      „Wir müssen hier verschwinden“, jammerte Wibke. „Die kommen zurück, und dann…“

      „Sicher“, stöhnte Geldis. „Aber wir befinden uns auf einer Burg. Hier sind nun einmal alle Fenster vergittert.“

      Nur für einen Augenblick lag Ulrike auf dem Bett. Auch sie ertrug das sinnlose Warten nicht länger, sprang auf und warf ebenfalls einen Blick auf das Umland der Burg. Hätte ihr das Torhaus mit der Zugbrücke nicht die Sicht versperrt, sie wäre Zeuge geworden, wie der flämische Ritter ihren Vater erschlug. Das sich dahinter im roten Licht der Abendsonne erstreckende Ipweger Moor wirkte trostlos und irgendwie unheimlich. Trübe, halbdurchsichtige Schwaden wallten träge über den Wasserlöchern, und ihr wurde von dem Anblick klamm ums Herz. Aber dann gab sie sich einen Ruck, das Problem anzupacken. „Kommt, wir versuchen, ob wir das Gitter gemeinsam herausbrechen können.“

      Von Birte hörte sie bloß ein atemloses Schluchzen, und der Schürhaken, den Ulrike einmal gegen die Edelmänner zu ihrer Waffe machte, fehlte seit kurzem. So waren Geldis und sie allein nicht stark genug und hätten es sowieso bald aufgegeben, als die Tür aufschlug und die beiden Edelleute mit drei Waffenknechten den Rittersaal betraten.

      „Da sind wir wieder“, sagte Konrad gut gelaunt. Johann, der graubärtige Hauptmann und Stellvertreter der Ritter, blickte bedeutungsvoll auf Geldis, die bei Ulrike am Fenster lehnte und eine betretene Miene zog. „Überlasst ihr sie mir, ohne zu würfeln?“

      „Ungern… na ja in Ordnung, weil du es bist, Johann.“

      Ulrikes Augen sprühten vor Zorn, da er forsch auf Geldis zu schritt und sie am Handgelenk ergriff. „Lass sie los“, fauchte sie, „oder ich zerkratze dir das Gesicht, dass du glaubst, du hättest mit einer Katze gerungen.“

      Er bedachte sie mit einem spöttischen Blick, wollte Geldis zum Bett ziehen. Die suchte entsetzt Halt am Gitter, worauf Ulrike handelte. Ihr Knie schnellte mitten in seinen Schritt. Johann stierte sie aus großen Augen an, dann sackte er zusammen und krümmte sich am Boden.

      Für Konrad genügte das, sich in die Balgerei einzumischen. „Das sollst du bereuen“, herrschte der Burgherr Ulrike an. Und sie bot ihm aus zusammengekniffenen Augen die Stirn, während sich sein Hauptmann aufrappelte und vor ihr in die Schultern legte, sodass sich knirschend das Kettenhemd spannte. Geldis zählte nicht mehr, sie zogen Ulrike mit sich, jeder an einem Arm und warfen sie ein zweites Mal auf das Himmelbett. Ein zweites Mal stieg ein Mann über sie hinweg, diesmal Johann. Sein Haar war grau und über der Stirn längst verschwunden. Als sie ihm voll Abscheu ins Gesicht spuckte, setzte es Ohrfeigen rechts und links und säuerlich bitterer Altmänneratem brandete ihr entgegen, bis man ihr Kleid hochwarf und ihr Gesicht zudeckte.

      In ihrem Vorsatz, einfach die Realität auszublenden, machte sie sich schwer wie ein nasser Sack und versuchte, sich an das Erntedankfest zu erinnern, denn das war bislang der schönste Tag in ihrem Leben. Aber dafür fehlte Ulrike die nötige Einbildungskraft. Der Mann verschlang sie wie eine Hure, die er nicht zu bezahlen brauchte, und kaum hatte er sich erleichtert, sodass sie erlöst Atem holte, packte er ihr blitzschnell in den Nacken und drehte sich den Zopf ums Handgelenk. Es ziepte und zwang sie, ihn anzusehen. Fassungslos starrte sie auf seine rabiaten Finger, und als sie instinktiv hinter sich langte, kappte er den Zopf. Ulrike langte ins Leere und schluckte ernüchtert.

      Wie ein Andenken stopfte Johann das lange Ende in seine Gürteltasche und scherte sich nicht darum, ob Ulrike hinter ihm die Hände übers Gesicht schlug. Danach war ihr Stolz gebrochen. Sie fühlte sich benutzt und zog angeekelt das hochgebauschte Kleid über ihre Schenkel, dann ließ sie den Tränen freien Lauf und weinte leise schluchzend vor sich hin. Für einen Augenblick stellte sie sich Dirks Gesicht vor, das sie dann ganz seltsam und doch vorwurfsvoll betrachtete. Wer konnte schon ermessen, was ihr dieser Zopf bedeutete? Als könne sie es noch immer nicht glauben, tastete sie wieder über die Haarstoppeln am Ohr, und gab sich dem öden Gefühl hin, wohl nie wieder lachen zu können, da schien ihr, sie würde in ihrer Seele die Stimme der Mutter wahrnehmen, die ihr in solchen Momenten, die sie kein Licht mehr sehen konnte, riet, verzage nicht. Nur die Schwachen verzagen. Ulrike gehörte zu den Starken, daraus keimte frischer Lebensmut. Immerhin würde Johann für heute Geldis in Frieden lassen, und der Burgvogt war jetzt selbst scharf auf Geldis, dachte sie plötzlich schadenfroh. Dem jedoch schlug die Rangelei auf den Magen, und da er sie seinen Leuten nicht gönnte, räumten die Männer überraschend das Feld. Dadurch blieben die Mädchen geraume Zeit unter sich, die sie zu Ulrikes Ärger unter Jammern vertändelten, ehe gegen Abend wieder die Burgmannschaft in den Rittersaal einkehrte. Die traurig und demoralisiert vor dem Kamin kauernden Weibsbilder fanden kaum noch Beachtung. Konrad saß am Kopf der Tafel und Wilhad von Brügge am Ende. Auf den anderen Stühlen nahmen die gewappneten Knechte ihre Stammplätze ein.

      „Die hübsche Blonde ist eine Vornehme“, stellte der Vogt klar. Der Blick richtete sich auf Birte. „Wie heißt du mit vollem Namen?“

      „Birte Aumund“, flüsterte sie und fing erneut an zu weinen, weil sie eine Heidenangst bekam.

      „Die Aumunds“, wiederholte Konrad und schnippte mit den Fingern. „Das ist doch dieses riesige Gut an der unteren Huntebrücke. Für die gibt es Lösegeld.“

      „Somit sind die anderen bloß Mägde, schade“, folgerte vom anderen Ende der Tafel Wilhad.

      „Dafür ist die Tochter vom Aumundhof allemal 30 Mark wert, und die werden wir auch für sie fordern. Sönke – das übernimmst du. Hol‘ dir den Rappen aus dem Pferdestall und mache dich auf den Weg, damit du zum Abendessen zurück bist.“

      „Was soll ich sagen?“

      „Was du immer sagst. Sie sind aufmüpfig gewesen und in Gewahrsam genommen. Ein Auge zudrücken ist möglich. Sie sollen dir das Geld in einem Ledersäckchen aushändigen, dann lassen wir die Frauen morgen bei Sonnenaufgang frei.“

      Ohne mehr zu fragen verließ der junge Mann im Wappenrock den Kaminsaal. Konrad schlug die flache Hand auf den Tisch. „Ich habe drei Punkte, die ich mit euch besprechen möchte“, eröffnete er ihre Unterredung. „Zunächst geht es darum, dem Sägewerk weitere Arbeitskräfte zuzuführen. Ich schlage vor, wir heben in Elsfleth zwanzig Leute aus und zehn in Dreisielen.“

      Alle nickten es ab, es geschah ohnedies, was der Burgvogt im Namen des Grafen beschloss. „Graf Moritz möchte zu Weihnachten seine Burg in Berne beziehen“, erklärte Konrad der Burgmannschaft. „Um das zu bewerkstelligen, müssen wir für mehr brauchbares Holz sorgen. Es gibt zwar Wälder, aber die bestehen größtenteils aus Birken, Erlen und Weiden… kein Baumaterial also. Deshalb haben wir den Auftrag, uns anderweitig mit Holz einzudecken. Die Sägerei an der Olle verfügt über die nötigen Verbindungen. Große Mengen sind erforderlich. Das müssen wir in die Wege leiten. Es bietet sich an, die Fleete als Schifffahrtswege zu nutzen, um das Holz zur Baustelle zu befördern.“

      „Was für Verbindungen sollen das sein?“, fragte Johann, der Hauptmann der Reisigen, der gern alles genau wusste.

      „Ich war im Auftrag des Grafen bei der