Eike Stern

Die Ehre der Stedingerin


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wir, Dänen. Heute steht dort ein Dom. Außerdem… wen stört es?“

      Er warf einen Blick auf die Frauen in der Kaminecke und musterte die kratzbürstige Ulrike, als würde er ihr am liebsten den Hals umdrehen. Dann räusperte er sich. „Lärche oder Eiche bietet sich an. Ich bin für Eiche…“

      „Alles neu für mich“, warf einer der Reisigen ein.

      „Darum erzähle ich es euch… aber das nur nebenbei. Eure Aufgabe besteht darin, bei der Rodung Hemmelskamp minderwertiges Holz auszusortieren, damit es wie die aus dem Boden gepuhlten Wurzelstümpfe als Brennholz auf der Burg landet. Hat noch jemand eine Frage?“

      „Sicher, die hätte allerdings nichts mit der Holzversorgung zu tun“, meldete sich der mitdenkende Hauptmann. „Wer regiert eigentlich zurzeit das Deutsche Reich? Frederico, der Enkel Barbarossas?“

      „Der ist kaum zehn Jahre alt.“ Konrad wischte sich nervös über die juckende Nase und überdachte seine letzten Informationen dazu. „Viele würden Otto, den Sohn Heinrich des Löwen, ihren König nennen. Doch seine Mutter stammt aus Burgund, er mag tausendmal ein Welfe sein, er bleibt dennoch ein halber Engländer. Philipp der Schwabe hingegen ist ein Meister politischer Schlichen, und ich werde ihm das nicht absprechen, egal ob ich welfisch eingestellt bin. Um ein Gegengewicht zum welfisch-englischen Bund zu schaffen, erneuerte er das staufische Bündnis mit den Franzosen, und bekanntlich unterlag England den Franzosen. Dadurch gewann Philipp die Oberhand, und niemand wird ihn daran hindern können, auch noch Kaiser zu werden.“

      Der Flame begehrte auf. „Eher friert die Hölle zu. Nicht, solange Innocenz Papst ist. Man hört, er ist nicht in Aachen gekrönt worden und auch nicht vom richtigen Prälaten, sondern lediglich durch den Bischof von Tarenteise. Der Heilige Vater in Rom bevorzugt darum Otto.“

      „Sicherlich“, gab Konrad in so weit nach. „Aber sogar der machtgierige und wetterwendische Erzbischof von Köln, der am meisten für die Wahl Ottos getan hat, bekannte, im Ernstfall sei der Sohn des Löwen bloß ein zu Rotz und Tränen aufgeweichtes Bürschchen und gäbe eine erbärmliche Figur als Regent ab. Philipp im Vergleich machte sich in den Jahren, die er Stellvertreter des Kaisers war, einen Namen und sichert sich die Krone im Grunde für den unmündigen Frederico, damit sie seiner Familie nicht verlustig geht. Das nötigt mir Respekt ab.“

      Die beiden Ritter rieben sich und verfielen, ohne es zu merken, in einen lauteren Ton. Der Flame lachte trocken. „Ach, jeder weiß, der Heilige Vater schürt die antistaufische Unruhe wo er kann. Auch Ottos Krönung verlief nicht ordnungsgemäß, seine Einmischung in den Thronstreit ist schlichtweg eine staatsrechtliche Frechheit!“

      Ulrike hockte in eingeknickter Haltung am toten Kamin und kam sich verloren vor in ihrem lichtarmen Winkel am Fuße des schweren Eichentisches. Sonst redete Birte über alles, was sie bewegte, jetzt zeichnete sich ab, wie wenig sie tatsächlich gemeinsam hatten. Die Freundin blies Trübsal und bedauerte sich selbst. Mit anderen Worten, sie flennte vor sich hin und saß das Problem aus, und das ging Ulrike total gegen den Strich. Die Stille, die sich unentrinnbar und leise einschlich, drückte auf ihr Gemüt; das Männergespräch über Politik ließ sie lauschen und rührte empfindlich an ihrem Selbstvertrauen. Es bewirkte, dass sie sich wie eine dumme Gans fühlte, denn sie musste sich eingestehen, sie wäre in nicht geringe Verlegenheit geraten, hätte man sie nach dem Namen ihres Königs gefragt, den Reisigen erging es ja ähnlich. Wenige begriffen die Hintergründe des Machtkampfes, der die Obrigkeit in Atem hielt. Seltsam, überlegte Ulrike, wenn sie Konrad so betrachtete, fiel ihr ein südländischer Einschlag auf, der Frauen ansprach, und doch verdiente er nicht, von irgendeinem Weib geliebt zu werden.

      Der Ritter schmunzelte sinnig und drückte sich bestechend genau aus. „Eigentlich geht es um die Frage, wer ist mächtiger, Papst oder König. Im Jahr 1202 protestierten 30 staufische Reichsfürsten gegen die Einmischung der Kirche. Wir beide, Wilhard, kannten uns derzeit noch nicht, aber ich befand mich unter den Zuschauern - und nun scheint Phillip von Schwaben den unseligen Machtkampf ums Königtum zu gewinnen … leider.“

      Ulrike wurde klar, wie rechthaberisch der Burgherr sein konnte. Er sonnte sich geradezu selbstverliebt in seiner bräsig hochgespielten Überlegenheit, und unter den Männern war keiner in der Lage, seinem Monolog ein Ende zu bereiten.

      „Also sind die Staufer am Ruder?“, fragte Johann verwirrt.

      „Leider“, wiederholte Konrad dumpf und fügte versöhnlich bei: „Allerdings sind wir abhängig vom Erzbisstift Bremen, und Hartwich ist ein Welfenfreund. Aber vor ihm war Waldemar von Schleswig unser Erzbischof, der seit über zehn Jahren in dänischer Gefangenschaft schmort. Innocenz verlangt, er solle sich vor einem päpstlichen Gericht verantworten und hat den dänischen König und seine Freunde aufgefordert, ihn nach Rom zu senden. Das bedeutet, Waldemar könnte demnächst seinen Bischofstitel zurückerhalten.“

      „Was soll das denn?“, stöhnte der Hauptmann kopfschüttelnd. „Die können doch nicht einfach Hartwich in die Wüste schicken.“

      Konrad nickte beipflichtend. „Genau das wird geschehen, und Philipp wird sich die Hände reiben.“

      All das rauschte an Birtes Ohr vorbei. So oft Ulrike in ihre rot geschwollenen Augen sah, seufzte sie. Birte fiel am tiefsten durch die überzogene Lösegeldforderung und schien nicht mehr, wer sie war. Ebenso Geldis und ihre Schwester. Beide sonst nicht mundfaul, starrten blicklos und mit tränenverschmierten Gesichtern in das Kaminfeuer.

      Ulrike war aus anderem Holz. Auf der Suche nach einem Ausweg hielt sie sich vor Augen, wie sehr Sibo Aumund an seiner einzigen Tochter hing, und zu wissen, der war kein Knauser, beruhigte sie. Ihr schien auferlegt, allein mit allem fertig zu werden, und im Herzen haderte sie mit ihrem Schicksal, weil sie nicht wusste, womit sie diese Schande verdient hatte. Warum, in Gottes Namen, musste der Leiterwagen eine Birke rammen, fragte sie sich. Aber ihr Glaube an einen guten Herrgott, der ein Auge auf sie hatte, war wie etwas, das verschüttet wurde und sie in der Not einfach wieder ausgrub. Das tägliche Abendgebet erfüllte sie wie eine Heimkehr, und sie verfluchte die dummen Knechte des Vogtes, die ihr das wenige nicht gönnten, dass sie für Männer zu einer begehrenswerten Mauerblume machte. Sie hing an ihren Haaren wie an ihrem Leben, Birte hatte sie darum beneidet, und sie machte sich nichts vor. Dirk deutete einmal an, für einen Edelmann war es eine anrüchige Sache, eine aus dem Dorf zur Frau zu nehmen. Er schob schleunigst ein, es sei ihm einerlei, doch das zerstreute nicht die Zweifel, ob er sie überhaupt noch anziehend finden würde? Männer waren da ja anders eingestellt als Frauen. Nun, sie hoffte dennoch. Dirk vermittelte ihr das Gefühl, sie sei vom Wesen her ein besonderer Mensch für ihn, daraus erwuchs die Kraft, andere aufzurichten, und gegen alle Vernunft klammerte sie sich an diesen Strohhalm und döste darüber ein.

      „Wacht auf, Mädchen“, weckte sie am Morgen der Hauptmann der Burgmannschaft. Ein Waffenknecht betrat mit ihm das Kaminzimmer, und der Burgvogt warf voll Vorfreude einen Blick auf die zierliche Geldis, die es spürte und betreten hochschaute.

      „Es wird euch freuen, zu hören, der Unterhändler vom Aumundshof ist eingetroffen. Die 30 Mark für eure Auslösung sind bezahlt.“

      Birte atmete vernehmlich aus, Ulrike seufzte erlöst. „Wir sind frei?“, fragte Wibke ungläubig. Geldis spürte, es war für sie zu früh, sich zu freuen. Johann, der Hauptmann der Burgmannschaft sah sie unverfroren höhnisch an.

      „Aber…“, protestierte Ulrike und richtete sich auf wie eine Königin. „Ihr wolltet Geld für unsere Freilassung, und das habt ihr erhalten. Habt ihr nicht den Anstand, zu eurer Abmachung mit Sibo Aumund zu stehen?“

      Der dünne, strenge Mund des ergrauten Hauptmanns zuckte unterschwellig, die Augen hefteten sich auf Geldis. „Sie meint, uns zum Narren halten zu können.“

      Als der Vogt auf Geldis zu hielt, schluckte Ulrike trocken herunter.

      „Danach könnt ihr gehen“ gab Konrad ihnen zu verstehen. „Warum so widerspenstig, Täubchen? Du kannst stolz darauf sein, wenn ich der Erste bin. Schluss mit dem Getue…Ich will meinen Spaß haben.“

      „Nein“, schrie Geldis entsetzt. Sie hatte erlebt, was diese Kerle unter Spaß verstanden