Eike Stern

Die Ehre der Stedingerin


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mit einem Schlag auf die Brust resolut den Einlass. „Du bleibst draußen.“

      Für sie war ohne Belang, wie der Knecht sich draußen die Zeit vertrieb. Von Männern drohte ihr Unheil, was Besuche aus der Zivilisation angeht, hatte sie üble Erfahrungen sammeln müssen. Allerdings protestierte Hauke. „Ich führte sie... Das ist nicht dein Ernst, Alte.“

      Sie schlug kurzerhand die Tür zu, hob mit ihrer verknöcherten Hand einen Eisenhaken auf, um die Rundplatte von ihrem Ofen zu hebeln, entnahm mit einem Splitter Holz eine Flamme aus der Glut und entzündete die Öllampe, die über dem alten Tisch in der Mitte des Raumes hing. Birte stieß Ulrike sanft an, und sie schnappte nach Luft, als von draußen Hauke mit den Fäusten an die Tür trommelte. Die Alte antwortete mit einem heftigen Gegenschlag von innen. Darauf kehrte Totenstille ein. Ulrike bemerkte einen getigerten Kater, der Agnes schnurrend um die Beine strich, ehe sie mit einem gedehnten Seufzer in den Schaukelstuhl am Ofen sank und anfing, knarrend hin und her zu wippen. Ohne Aufforderung setzte sich Ulrike auf einen der tristen Stühle am Tisch. Birte entschied sich für den anderen mit gedrechselter Lehne, während Geldis sich nörglerisch an die Bretterwand lehnte und die Arme verschränkte.

      Verunsichert schaute Ulrike sich um. An Fäden befestigt reihten sich Trockensträuße über dem Ofen, verwelkte Molche, grobe Säckchen mit verblassten Blüten und gedörrte Pilze. Ihr wurde ganz schwumrig von dem intensiven Kräutergeruch, der in dem kleinen Raum hing, und Ehrfurcht erfüllte sie, bei dem Versuch, in dem verwitterten Gesicht der Alten zu lesen.

      Die Katze lag schnurrend auf Agnes Schoß, und die kraulte ihr mit Daumen und Zeigefinger Hals und Nacken. Dann neigte sie sich aus dem Sitz über den Ofen, um vorsichtig das kleine Türchen zu öffnen und ein Stück Torf in die Glut zu schieben, schloss die Ofenklappe geschwind wieder und ließ sich ermattet in die Lehne zurück sinken. Ein unheimliches Funkeln wohnte ihren Augen inne, das von einem wachen Geist zeugte. „Wir sind unter uns“, stellte sie fest, was darauf anspielte, ihr Führer und männlicher Zaungast wäre ausgesperrt. Wie meist übernahm Ulrike es, alles zu erklären. „Vor etwa drei Jahren ließen die Grafen von Oldenburg bei uns Burgen erbauen. Wir duldeten das, obwohl keiner verstand, warum, und die Rittersleute, die einzogen, wurden immer unverschämter und zudringlicher. Was uns widerfuhr ist sicher schon anderen vor uns passiert, aber das ist kein Trost. Wir befanden uns auf einem Fuhrwerk und wollten zum Sonntagsgottesdient, und ein Achsenbruch zwang uns, den halben Weg nach Berne zu Fuß zu gehen. So sind wir den Leuten von Burg Lechtenberg genau in die Arme gelaufen. Sie hoben uns auf ihre Rosse und…“

      Agnes verstand sie besser, als die Mädchen ahnten. „Sie haben um euch gewürfelt sagst du?“

      „Ja, im Rittersaal der Lechterburg, und es verfolgt mich in den Schlaf, was sie taten, denn…“ In Ulrikes Augen erwachte der Hass, als sei es eben geschehen. Die Alte musste sie mit abwiegelnder Hand bremsen. Mit einem Seufzer, der eigene Erfahrungen der gleichen Art verriet, nickte Agnes.

      „Wenn sich ein lieber Kerl in der Ehe als Scheusal erweist und nur noch grob ist, das ist auch ein hartes Los, das glaub‘ mal. Die meisten Männer sind plump und selbstsüchtig, bevor sich ein Weibsbild die Mühe macht, ihnen Anstand beizubringen... aber ich bin an einen geraten, der sich irgendwann in ein selbstsüchtiges Scheusal verwandelt hat.“

      Ihre Lebensgeschichte war erfüllt von Bitterkeit, Traurigkeit und Enttäuschungen, und sie verfügte über ein großes Herz. Was man gern über die böse Hexe mit dem Buckel berichtete, die im Maybusch, dem entlegensten Winkel des Huder Moores, ihr Unwesen trieb, waren alles Lügen und Märchen. Die Alte kochte Wasser und bereitete ihnen einen Badezuber vor. In den mussten sie nacheinander steigen und für eine volle Stunde ein Sitzbad nehmen. Zuvor zerrieb sie eine Handvoll Alantblätter, streute Eichenrinde und Brombeerblätter in das heiße Wasser, gemahlenes Mutterkorn, Gartenraute und eine Handvoll Rosenblätter für den Duft, und sie tat viel Salbei hinzu.

      Die Alte nutzte die Zeit, in einer Pfanne Speck auszulassen. Mit einem Pistill und einer Tonschale zerstampfte sie Schafgarbe und Bockshorn und tat Johanniskrautöl und Bienenwachs dazu, sowie drei Eigelb. Ein Pilz, der nach nächtlichem Regen unter Weiden nur so aus dem Boden schießt, verfügte über die nötige Betäubungskraft, und sie rührte das Ganze und schlug es, bis eine Salbe daraus entstand. Die füllte sie in drei runde Kupferdöschen. „Das führt ein, wo es brennt, und reinigt zuvor eure Hände. Dann lindert es den Schmerz und entspannt den Muskel in der Scheide. Wiederholt die Behandlung jeden Abend vor dem Einschlafen, bis es völlig abgeklungen ist.“

      Danach ging es Ulrike nicht nur spürbar besser, sie fühlte sich auf eine befremdende Art und Weise vital - bereit, die Welt wieder anzulachen; Geldis und Birte mochten es ebenso empfinden. Birte weinte hemmungslos, weil es alle Erwartungen in den Schatten stellte, und ihr dafür eine Mark auf den Tisch zu legen, war billig. Agnes schmunzelte und sagte mit einem zwinkernden Auge: „Täglich zwei Spülungen, und achtet auf das Leinensäckchen, verliert es nicht. Von jeder Sorte eine Handvoll. Die Alantblätter gehören ordentlich zerrieben.“

      Mit gründlichem Nachdenken hielt sich weder Birte noch Geldis allzu lange auf, aber Ulrike sagte sich, Sibo Aumund würde sicherlich Stillschweigen bewahren über den Vorfall auf der Burg. Sie durften sich bloß nicht selber in Verruf bringen und keinem davon erzählen. Anschließend grübelte sie über diesem Problem; und hatte sich der Floh im Ohr erst mal festgesetzt, packte sie das für sie notwendige in ihrer bestimmenden Art an. „Noch sind wir unter uns“, stellte sie fest. „Was meint ihr, wollen wir gemeinsam bei Gott und allen Heiligen schwören, niemandem ein Sterbenswörtchen von der Widrigkeit im Rittersaal zu verraten?“

      Geldis war bei dem Gedanken nicht geheuer, auf Gedeih und Verderb an so etwas gebunden zu sein. „Kindisch, sowas“, schnarrte sie verdrossen und gab sich aufreizend desinteressiert. Auch Birtes Lachgrübchen reflektierten eine abweisende Haltung, weil sie schwerwiegende Entschlüsse gewöhnlich auf den Sankt Nimmerleinstag zu verschieben pflegte.

      „Sie denkt weiter als ihr“, bemerkte Agnes und wies mit dem Kinn auf Ulrike. „Haltet ihr den Mund, bleibt alles unter euch. Das ist so.“

      Also beschworen sie das zu dritt und ritzten sich, um den Schwur vor Gott zu bekräftigen, mit einem kurzen, blutigen Schnitt den Handrücken, und Birte, froh, sich durchgerungen zu haben, fiel Ulrike spontan um den Hals und fächerte Geldis weitere Bedenken leichter Hand hinweg. Ulrike ahnte, sollte es kritisch werden, würde Geldis voraussichtlich eine hartnäckig sture Haltung beziehen und sich eigenwillig darüber hinwegsetzen. Hinterher konnte sie sich leicht herausreden, man habe sie einfach überstimmt und gezwungen, mitzumachen. Ein oberflächlicher Mensch wie Geldis fühlte sich an nichts gebunden, solange sich eine Ausrede finden ließ, das bereitete Ulrike Magendrücken und Kopfzerbrechen, aber Geldis hatte sich nicht ausgeschlossen, und die Anwesenheit der Hexe erhob den Schwur zu einer feierlichen Angelegenheit. „Eigentlich habt ihr es selber in der Hand, ob sich die Sache herumspricht“, ermahnte die greise Agnes sie und beschloss, was sie den Mädchen mitgab auf den Weg ins Leben zurück, mit der Bemerkung: „Versucht unter die Haube zu kommen und sprecht mit keinem über die Sünde, an der ihr so unschuldig seid wie ein Baby am Tod seiner Mutter.“

      Im Schatten des Erlenbruchs wucherten Wildkräuter, und sie traten ins Freie, da nahm Ulrike zum ersten Mal in ihrem Leben wahr, wie angenehm würzig Brennnesseln duften.

      Der ausgesperrte Knecht hatte es sich bequem gemacht. Er lag, die Hände unter dem Hinterkopf gefaltet, im Schatten einer Weide und schnarchte leise, als sie ihn weckten, um gemeinsam den Heimweg anzutreten.

      5. Kapitel

      Burg Keyhusen erhob sich im sumpfigen Uferbereich eines großen Sees, den man das Zwischenahner Meer nannte, anzusehen wie eine umgedrehte Kommode mit ihren vier Ecktürmen. Die Dorfstraße reichte bis an das Wasser, und ein breites Steggerüst führte an verblühten Schwertlilien, Schilf und Rohrkolben vorbei zur Zugbrücke. Die Bucht, an der sich die versteckte Ortschaft Zwischenahn ausbreitete, war fast zugewuchert. Nach Westen hin, unter dem Steg beginnend, erstreckte sich davor im Sonnenuntergang ein Sumpf voll blauer Lilien, mit Libellen, grünen Fröschen und vielen Mücken. Wenn es im April viel regnete, schimmerte der See dort bis Ende Juli wie