Eike Stern

Die Ehre der Stedingerin


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ihr dem Kloster beitreten?“

      Dirk schmunzelte, nichts lag ihm ferner. „Vier Jahre gingen ins Land, seit ein Freund von uns der Welt entsagte und ein Benediktiner geworden ist.“

      „Hat er das getan, weiß er sicherlich weshalb und möchte nichts mehr mit weltlichen Sorgen zu schaffen haben“, belehrte sie der Mann und schlug sich die Kapuze aus der Stirn. Er war ein Geschorener und sein Schädel glänzte zur Mitte hin, wie üblich bei denen, die sich Gott verschrieben.

      „Er wird den Wunsch äußern, uns sehen zu wollen. Erzählt ihm, drei Keyhuser Ritter möchten ihn besuchen, die einmal seine Freunde waren. Dirk sei um den Rat eines Schriftgelehrten verlegen und braucht Hilfe.“

      Den Namen zu nennen genügte. „Ach der Frede“, sagte der Klostervorsteher, zog quietschend die Eisenpforte auf und geleitete sie in den Innenbereich im Schatten der Klostermauer. Dirk fielen Volieren mit Rotdornsträuchern auf - darin umher hüpfende Buchfinken schlugen aufgeregt an, als vier Menschen nahten. Sie betraten einen Weg, der durch eine Laube aus blutroten Rosen führte. Am Ende des Klostergartens erhob sich vor der Bibliothek eine uralte Linde mit einem mächtigen, aufgerissenen Stamm. Wein gedieh üppig auf der Sonnenfassade, und eine mit Eisenlilien beschlagene Eichentür öffnete einen kühlen, gekalkten Flur, der in das Empfangszimmer mündete. Drei Stühle mit gedrechselten Lehnen standen an der Außenwand, die anderen Wände nahmen volle Bücherregale ein. Sie blickten vertröstet auf ein leeres Schreibpult, während der Bruder in grauer Kutte sie warten ließ. „Er ist in der Messe. Bitte geduldet euch, ich melde euch Bruder Frede.“

      Die Messe war längst zelebriert. Lange brauchten sie nicht zu warten. Frederik, früher schon ein herzlicher Geselle, nahm einen nach dem anderen die Freunde in den Arm, klopfte jedem die Schulter und setzte sich ihnen gegenüber an das Pult. Sein breites Lächeln deutete an, wie wohl Frederik ihr Besuch tat. „Erst erzählt, was euch herführt, sagte er im altvertrauten, tiefen Bass. „Dann habe ich euch auch etwas mitzuteilen.“

      Dirk berichtete ihm von seiner Reise ins Stedinger Land und der Woche auf Burg Lechtenberg… und natürlich von Ulrike: Dass er Godeke vorausritt und sein Rappe mitten in der Nacht mit einem Huf nicht mehr auftreten wollte… „Sie hat so eine Art zu reden und zu lachen, und ich muss immer an sie denken. Es zieht mich zu ihr zurück, selbst wenn Jürke mich dafür verstößt.“

      „Ja, das klingt nach einer kessen Maid“, bestätigte Frederik. Schöne Augen genügten bekanntlich nicht, um Dirk den Kopf zu verdrehen, und er freute sich, weil er schon dachte, der wolle als ewiger Junggeselle durchs Leben gehen. „Was mich nun hellhörig macht“, fügte er hinzu, „du erwähntest Graf Moritz von Oldenburg. Mir fällt dazu eine Vereinbarung ein, zwischen ihm und Meinrich, unserem Abt, der übrigens aus Elsfleth stammt…“

      Dirk strich sich die Locken aus der Stirn, fasste ihn neugierig werdend in die Augen. „Lass hören.“

      Ein hintersinniges Lächeln um Frederiks Mund verriet eine grenzenlose Bereitschaft, sich auf das, was Dirk zaghaft ankündete, einzulassen. Er war sich bewusst, als Mönch hatte er Einsicht in die hiesige Chronik und saß an der Quelle, wollten sie mehr erfahren über die gegebenen Vorfälle.

      „Unser Kloster besitzt Ländereien im Ammerland, in Rüstringen, Lüneburg und sogar im westfälischen Lüdenscheid und Soest, und das auch im Umland von Bremen und in dem von dir erwähnten Land der Stedinger. Es werden immer mehr, ebenso wie jedes Jahr mehr Bauern um ihr Land gebracht werden. Schuld daran ist ein Gesetz, das auf Barbarossa zurückgeht, danach kann ein Vogt in seinem Lehen nach Bedarf Bauern zum Frondienst heranziehen. Die stedingischen Siedler sind nach dem Hollerrecht davon ausgenommen, aber Graf Moritz setzt es neuerdings mit brutaler Härte ein.“

      „Ähm“, raunte Dirk. „Von wem geht das aus?“

      Frederik zog eine leidgeprüfte Miene. „Ich weiß nicht, wer die Befreiung vom Frondienst aufhob. Aber ein Abt, der zweiunddreißig Brüdern ein Vorbild sein sollte, findet es offenbar wenig verwerflich, sich an dem Hab und Gut seiner eigenen Landsleute zu bereichern! Die Klöster saugen sich mit Ländereien voll und treiben das Tun munter voran dadurch. Mir kommen da erhebliche Zweifel, ob so jemand im Sinne Gottes handelt… und ich fühle mich mitschuldig, bin schließlich auch ein Benediktiner.“

      Ekhard strich sich mit dem Handrücken übers Kinn, nahm sich die geschulterte Laute ab, legte sie vorsichtig über sein Knie und zupfte prüfend an den Saiten, als langweile ihn derlei Konversation. Ihr Freund in der Kutte blickte Ekhard an, bis der die Finger streckte und ihm mit aufgestütztem Kinn auf die Lippen schaute. „Ende August kommt es manchmal auf jede Woche an, die das Korn noch reift, und jeder Vogt hat schnell den Bogen heraus, im letzten Augenblick die Arbeitskräfte von der Ernte wegzuholen für das Roden einer Waldung, das Ausheben von Entwässerungskanälen, oder - wenn sonst nichts geht - wird zum Neubau einer Brücke gerufen.“

      Dirk nickte hastig. „Und zu Erntedank ist dann der Zehnte fällig. Graf Moritz lässt die enteigneten Familien vom Hof scheuchen und überwacht selbst den Verkauf der Ländereien. Kaufen tun es dann die Klöster.“

      Frederik hob die Braue. „So leicht kann ein Lehnsherr einen Bauern ruinieren.“

      Ekhard strich wie aus Beifall geräuschvoll über die Saiten der Laute, und Frederik holte tief Luft. „Willst du mich ärgern, Ekhard?“

      „Nein, aber ist etwas Wahres an dem Gerücht, ihr hättet unter dem Speisesaal des Abtes einen Weinkeller im Kloster Rastede?“

      „Es gibt einen Vorratsraum und eine Räucherkammer. Die zweite Tür des Flurs führt hinab in ein kaltes Kellergewölbe.“ Frederik zeigte auf seine Füße. „Das liegt genau unter uns. Dort hängt viel Schinken, unter der Treppe lagern haufenweise pralle Säcke voll Gerste und Roggen, und um das Gerücht zu entzaubern, von dem du hörtest: Ja, wir bewahren außerdem ein paar Fässer guten Burgunder in dem Gewölbe auf.“

      Ekhard griff wie erlöst in die Saiten und sang ein Lied, das dem Wein gewidmet war und in Gastsälen oft gewünscht wurde.

      „Ich geh‘ ja schon“, gab ihm Frederik zu verstehen. Dirk nutzte die Gelegenheit, sich Einblick zu verschaffen, was dieses Kloster einem bildungshungrigen Mönch bieten konnte. Bei der Buchreihe, deren Titel er überflog, handelte sich um den Nachlass eines Siward - des 4. Abtes: Amtsbücher für Bischöfe, ein Messbuch und ein Morgengesangbuch in einem Band und ein liturgisches Gesangbuch. Auszüge aus dem Kirchenrecht, die vier Evangelien einzeln, ein Kräuterbuch und ein Steinbuch. Ein Edelstein der Seele, und die Regeln des heiligen Benedikt, daneben ein Buch über den Streit der Laster und der Tugenden, von Plato und ferner die Werke des Arator, Juvencus, Sedulius und Prosperus. Dirk fragte sich, ob Frederik all das gelesen hatte, und schreckte ertappt hoch, als der alte Haudegen mit einer Kanne Wein unter dem Arm und vier Silberpokalen wieder zu ihnen stieß, die er von plötzlicher Ruhe überkommen auf seinem Schreibpult füllte und jedem einen Pokal in die Hand drückte. „Trinken wir also auf diesen Tag und den Sinn des Lebens“, stellte er in den Raum. „Was darunter zu verstehen ist, lasst uns klären.“

      „Denke ich so über das alles nach“, fiel Dirk auf, „sind das für einen ausverschämten Lehnsherren wie Graf Moritz jedesmal zwei Fliegen mit einem Schlag. Er hat die Ländereien nicht länger zum Lehen, sondern wird selbst der Landherr. Obendrein verlieren die Enteigneten ohne ihren Besitz alle Rechte, werden zu Leibeigenen. Ja jetzt, wo es in Stedingen die fettesten Weiden gibt und das Moor zurückgedrängt ist, wurmen sie die fetten Weiden der freien Bauern.“

      Dirk senkte finster die Stirn und blickte unentschlossen auf den halbvollen Pokal. „Ich möchte einschreiten, dagegen vorgehen, und ich frage mich wie.“

      Beipflichtend nickte Godeke. „Ja, was können Bauern tun… dagegen?“

      Ekhard hob andächtig das Kinn und zwirbelte sich den Bart. „Wäre ich ein Bauer und hätt‘ nichts mehr zu verlieren, würde ich nach Goslar oder Gelnhausen pilgern.“

      Dirk schlug sich lachend auf den Schenkel. „Zum Philipp? Also ich weiß nicht, wo der gerade residiert. Auch in Eger, Kaiserslautern, Wimpfen und Hagenau ließ Barbarossa prächtige Pfalzen erbauen. Also ich würde auf eine so vage Hoffnung