Eike Stern

Die Ehre der Stedingerin


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liebten ihn dafür. Ebenso war bekannt, ihm bereitete sein einziger Sohn Kummer, da der sich meistens in der Fremde herumtrieb. Am Tag nach Erntedank zog es ihn früh auf den Söller des Burgtores, obwohl die Lilienbucht noch unter Dampf lag – und tatsächlich näherte sich durch die Nebelschleier bald ein Ritter in den Hausfarben gelb und weiß langsam über die Dorfstraße dem Torhaus. Hinter der Zugbrücke, auf dem Kopfsteinpflaster des Innenhofs, saß der Reiter ab und warf die Zügel seines Rosses einem Stallknecht zu. Er hörte es noch befreit wiehernd die anderen Pferde begrüßen, während der Vater erstaunlich schnell die Stufen herab stürmte, um ihm zur Begrüßung die Hände auf die breiten Schultern zu legen. Dirk lächelte breit. „Da bin ich Vater, du kannst die Meute antreten lassen und zum Halali blasen.“

      „Die Saujagd fällt ins Wasser“, klärte ihn sein Vater ohne Umschweife auf. „Drei unserer Knechte klagten gestern über Schwindelgefühl und haben gekotzt bis Rotz und Galle kam. Unser Bader ist auch krank, und ein Quacksalber, den ich vom Markt holen ließ, meinte bloß, Blattern oder Typhus schließe er aus. Himmelherrgott, so klug ist selbst mein jüngster Stallknecht. Nur gut, dass wenigstens du gesund und munter bist, mein Junge. Was sagt Konrad?“

      Dirk lächelte erlöst, er sehnte die Saujagd nicht unbedingt herbei. „Ich überbringe gutgemeinte Grüße, aber er ist nicht mehr der Draufgänger, mit dem ich zu Lüneburg auf den Turniersieg des Wittelsbachers anstieß. Keine Spur mehr von dem, was seinen Witz ausmachte, sag ich bloß. Es befriedigt ihn, ein Lakai von Graf Moritz zu sein. Dass der selbst ein Speichellecker ist und allein deshalb beim Kirchenfürsten so gute Karten hat, scheint ihn kaum zu stören, dabei schwatzen es die Spatzen von den Dächern. Der reist nie ab, ehe er nicht durchgekriegt hat, was er wollte.“

      „Du bist zu streng Dirk, oder sollte ich sagen, zu schrullig“, belehrte ihn sein Vater. „Du findest an den Besten bloß Tadel. Wer einen Freund ohne Fehler sucht, bleibt ohne Freunde.“

      „Ich bin alles andere als allein in meinem Denken. Godeke ist ein Freund, wie man ihn sich wünscht. Der steht zu mir, wie eine Portalsäule zur anderen.“

      „Das ist gut. Lass‘ uns das Gespräch im Großen Saal fortsetzen. In der Kühlkammer hängt ein Hirsch. Der Koch ist zum Glück noch wohlauf und weiß Bescheid. Ich lasse den Kamin anfeuern, damit es gemütlich ist, wenn wir speisen können.“

      Der Holzboden war gründlich ausgefegt und mit Binsenstroh bestreut worden, und ein Knecht im hellen Wappenrock kniete sich vor den Kamin. Die Flammen prasselten und knackten, als sie einander am Eichentisch des Großen Saals gegenüber saßen. Eine Weile betrachtete Dirk bewegt den neuen Brokatteppich aus Flandern, der im Grünstich gehalten eine Jagdgesellschaft darstellte und seit kurzem die Wand über der balkonartigen Empore schmückte.

      „Ich schätze ich weiß jetzt, wie Graf Moritz es hingekriegt hat“, begann Dirk seinen Bericht, „dass ihm der Erzbischof von Bremen Stedingen als Lehen zuerkannte. Er ist ein Neffe der letzten Gräfin von Versfleth. Der alte Tunichtgut sieht übrigens schon einen Weg, dem Bistum aus der anhaltenden Geldknappheit zu helfen. Bekanntlich führt die Handelsstraße von Friesland durch Berne; eine Burg aus Stein ist geplant und eine Zollschranke. Er will dort seinen Sitz aufschlagen.“

      Jürke von Keyhusen erschrak erwartungsgemäß bei diesem Bericht, und Dirk beschloss es mit einem Kopfnicken, das unterstrich, wie sehr ihn das aufregte. „Wer Menschenkenntnis sucht, lernt nie aus.“

      Sein Vater lehnte sich zurück, als sei er den weiten Weg von Berne geritten und nicht sein Sohn. „Na die Bremer werden sich freuen. Das wäre ja dreist… und dazu aus Stein. Damit kommt er nicht durch.“

      „So sehen jedenfalls seine Pläne aus, und glaube mir, ich bin enttäuscht von Konrad. Vogt und Richter über tausende von Bauern zu sein, hat ihn hartherzig und überheblich gemacht.“

      „Mag sein“, wechselte der Alte unvermittelt das Gesprächsthema. „Du wirst einen Tag vor Weihnachten 26 Jahre alt, und ich möchte den Leuten in Zwischenahn und Elmendorf endlich ihren zukünftigen Burgherren vorstellen. Du hattest ausreichend Zeit, dir die Hörner abzustoßen, aber jetzt zähle ich auf dich. Ich habe Arnd zum neuen Truchsess bestimmt und mit einem der Burgmannschaft zu Heinrich von Hoya geschickt, um in deinem Namen um die Hand von Heinrichs ältester Tochter Adelheid vorzusprechen. Ihre Mutter ist eine von Wölpe, sie soll mehr Verehrer haben als wir uns Bedienstete leisten können, überbrachte Arnd, aber sie kennt dich vom Lüneburger Stadtfest Letztjahr und ist dir geneigt.“

      Sein Vater schien glücklich, ihn bei sich sitzen zu haben. Wie, um sich zu vergewissern, ob nichts schieflaufen konnte, äugte er nach Dirks Ringfinger. Dirk streckte mit einem gedehnten Seufzer die Beine unter den Tisch. Auf einmal verstummte Jürke. Ihm schwoll die Ader über der starken Nase, sein ohnehin fleischiges Gesicht glühte vor Zorn. Die Hand schlug auf den Tisch, es krachte und Dirk zuckte zusammen.

      „Gütiger Himmel, was hast du wieder verbockt“, wetterte er los. „Wo ist der Rosenring, den ich dir zum letzten Geburtstag auf den Finger schob?“

      Dirk schluckte betreten. „Ich gab ihn einem Mädchen in Berne.“

      „Wem?“, wollte Jürke von Keyhusen wissen. „Der Tochter von Graf Moritz?“

      „Nein, der gewiss nicht.“

      „Wem?“

      „Vater, gib mir einen Moment, es zu erklären.“

      „Wem??“

      „Ich habe mich auf einem Erntedankfest in Berne…“

      „Wem???“

      „Sie ist die Tochter des Schmieds von Berne, einem einfachen doch ehrbaren Mann. Nach einem scharfen Ritt verlor Adalbert einen Huf. Ich musste absteigen, und in meinen neuen Stiefeln lief ich mir Blasen an die Füße, ehe ich in Berne ankam. Stockdunkel war’s, außer Katzen und einem Marder niemand mehr unterwegs, da traf ich drei Mädchen. Die wiesen mir einen brauchbaren Schmied.“

      „Interessiert mich nicht“, fuhr ihn sein Vater an. Jürke zeigte sich fassungslos über so wenig Einsichtsvermögen. „Der Tochter eines Schmieds gabst du meinen Rosenring, den Ring den mir deine Mutter in ihrer Sterbestunde vermachte? Habe ich das richtig verstanden, Dirk?“

      Aus Dirks Gesicht wich alle Farbe, er zog tief über die Zähne Atem ein. Doch fiel ihm keine vernünftige Erklärung ein, den Vater zu beschwichtigen.

      „Wir beide, mein Sohn, wir speisen jetzt“, sagte Jürke von Keyhusen, und es klang wie eine Drohung. „Wir speisen zusammen, weil der Koch bereits den Hirsch zubereitet und sich viel Mühe gibt mit diesem Essen, und weil du lange auf dem Ross gesessen hast. Doch morgen früh, mein Guter, lässt du dir den Adalbert erneut satteln und reitest schleunigst noch einmal nach Berne, um das zu richten. Und komme mir ohne den Rosenring nicht wieder unter die Augen.“

      Dirk hätte einiges mehr berichten können, doch die Stimmung gefror zu Eis. Der Hirschbraten mit Weinsoße schmeckte bitter, obgleich der Koch bei der Zubereitung nicht mit Würze geizte oder sonst etwas die Speise verdarb. Es war mehr als eine Laune für seinen Vater, und Dirk nahm allen Mut zusammen, um noch einmal nach dem Stein des Anstoßes zu treten: „Vater, du erwähnst gern den Ball auf Burg Stotel, an dem du Mutter kennenlerntest: Der Herzog von Lüneburg, dem sie ursprünglich angetraut werden sollte, goss ihr vor versammelter Gesellschaft gehässig Wein über die Brust. Mutter entschuldigte sich artig und immer noch freundlich, sie müsse sich kurz umkleiden - der Stoteler brüllte vor Lachen. Du bist heut‘ noch stolz darauf, dich eingemischt zu haben. Oft belehrtest du mich, Heiratsabreden wären eine Unsitte. In solchen Ehen gebärdet sich der Mann wie ein Auerhahn, es ist Uso, seine Angetraute grün und blau zu schlagen, wenn es einem beliebt... Das waren deine Worte.“

      „Sicher Dirk. Doch ich verschwieg nicht, deine Mutter entstammt dem Grafenhaus Stotel. Es endete mit einem bösen Krach, aber die Verlobung ließ sich abbrechen, und für mich war sie standesgemäß.“

      „Stellen wir klar“, wehrte sich Dirk. „Du hast mir empfohlen, auf meine innere Stimme zu hören. Nichts Anderes tat ich zum Erntedank, als ich die zum Tanz einlud, die mir in der Not geholfen hat. So Vater, prüfe ich ein Herz.“