Eike Stern

Die Ehre der Stedingerin


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an wen sollten sie sich wenden, wenn nicht an Philipp von Schwaben? Der jedoch hat andere Sorgen. Seid ihr im Bilde? Otto zieht im Raum Köln ein Heer zusammen.“

      Verblüfft sah Dirk ihn an. „So ein Kind“, war alles, was ihm dazu einfiel. Lächelnd hob er den Kelch und nippte vom Wein. „Ein guter Tropfen, Frederik. Ich komme zu dem Schluss, je tiefer ich die Nase in die Angelegenheit stecke, desto mehr stinkt sie“, kehrte er sogleich zum Thema zurück. „Es juckt mir in den Fingern, dem Moritz eins auf die Finger zu geben. Könnte sein, ich sympathisiere für einen angehenden Burgherren mit der falschen Seite, aber etwas in mir sträubt sich hartnäckig, ihn als unseren neuen Lehnsherren anzuerkennen, und den Stedingern ergeht es ja ebenso.“

      Dirk betrachtete den fein ziselierten Rand des Kelches, ehe er trank und ihn leer neben seinen hohen Lederstiefeln abstellte, und Frederik hob anerkennend die Brauen. „Weißt du“, riet er Dirk, „ich habe die Bibel gelesen und Verstand genug, Gottes Wort selbst zu deuten. Wollen die Pfaffen Gerechtigkeit, wie sie so gern beteuern, dürfte kein Dorfpfarrer aus dem Alten Testament seine Predigt zusammenstellen. Das Testament beruht auf der Kabbala der Juden und dem noch älteren Talmud, und der geht zurück auf das alte Babylon und den König Hamurabi. Auge um Auge, Zahn um Zahn ist seine Botschaft. Das Neue Testament hingegen ist die Lehre von Jesus Christus, die uns auffordert, liebe deinen Nächsten wie dich selbst. Wir sollen barmherzig den Gescheiterten die Hand reichen, so wie der Heiland es uns vorgelebt hat.“

      „Mir schwirrt der Kopf“, unterbrach ihn Ekhard und fing an, wüst seine Laute zu schlagen. „Fass‘ dich kurz Frederik.“

      Der bemühte sich ernsthaft, es allgemein verständlich auszudrücken. „Gilt das Alte Testament und auch das Neue, haben wir in Wahrheit zwei sich gegenseitig wiedersprechende Religionen. Das Alte Testament ist eigentlich überholt, durch das, was unser Heiland uns vorlebte, denn Jesus lehrte uns, zum Guten in das Schicksal einzugreifen. Genau das tat er nämlich, wenn er Kranke heilte, oder übereifrige Leute dazu aufrief, Mitleid für Menschen mit einem verfehlten Leben zu zeigen. Darum geht es: Sich verantwortlich zu fühlen, für das, was um einen her geschieht und sich einzumischen. Das Übel zu erkennen genügt nicht. Wahrhaftigkeit heißt, ernst zu machen, mit unseren schönen Worten.“

      „Du fängst ja schon wieder an“, fiel ihm Ekhard ins Wort. „Langsam begreife ich, warum du ins Kloster gegangen bist.“

      Gelassen winkte Frederik ab. „Ach, die hier leben, sind meist nicht besser als die Menschen außerhalb der Klostermauer. Ein Mensch kann nur mit Würde sterben, ist er mit sich und seinen Taten im Reinen. Man muss das leben und sich stets bemühen, den Schwachen beizustehen, ob hier drinnen, oder draußen. Es erspart den Katzenjammer auf dem Sterbebett. Das, sagt dir Bruder Frede vom Kloster Rastede, ist nicht der Papst oder ein Kirchenfürst, das ist die Stimme in deinem Herzen, auf die du lernen musst zu hören. Es geht um Wahrhaftigkeit. Dahin zu kommen, ist ein weiter Weg zu sich selbst. Seltsam, das wird mir soeben selbst erst richtig bewusst.“

      Dirk, Godeke und Ekhard wechselten erstaunt Blicke. Ekhard schüttelte erneut den Kopf über Frederik. „Das klingt mir immer noch, als wolltest du uns bekehren.“

      Andächtig nickte Frederik. „Es ist an der Zeit, euch etwas von hier zu erzählen. Bei uns verschwanden spurlos Dinge wie eine silberne Halskette, Silberlöffel, eine Brosche und zuletzt sogar Meinrichs Siegelring. Und, ist es nicht seltsam? Obgleich alle im Rahmen der Klostermauer ihr Leben Gott widmen und über jeden Verdacht erhaben sein sollten, verfiel man auf den Gedanken, unter uns müsse ein Dieb sein.“

      Dirk und Godeke wunderten sich, Ekhard zuckte mit den Achseln und wusste nicht so recht, auf was der alte Freund hinaus wollte. Und Dirk entgegnete zögernd: „Na ja, die Folgerung ist eigentlich logisch.“

      Frederik lächelte in sich hinein, als hätte er ihm eine Falle gestellt. „Stimmt Dirk, doch die Geschichte geht weiter. Einer von uns, Bruder Ansgar, blieb stets ein Sonderling. Einige beschuldigten ihn bald, er habe sich den Schmuck angeeignet. Immerhin hatte er oft Gelegenheit, im Namen des Klosters nach Bremen zu reisen. Es hieß, er habe die hier verschwundenen Dinge versilbert und in Minnehöfen verjubelt … mit Weibern, will ich mal vorsichtig sagen.“

      „Das ist traurig für einen Mönch“, warf Godeke ein.

      „Nein“, belehrte ihn Frederik. „Traurig ist, nachdem August und September trocken blieben wie selten, gab es ein Unwetter, das die Wahrheit ans Licht brachte, und niemand fand das sonderlich beschämend. Das war in der Nacht vor Erntedank. Der Sturm tobte bis in den Morgen und riss manchem die Kapuze vom Kopf. Er wirbelte Zweige, Laub und sogar Äste über den Klosterhof, und zu Füßen der Linde, genau vor der Tür der Bibliothek, ging ein richtig großer abgebrochener Ast mit einem Elsternnest nieder, in dem fanden wir zwei silberne Halsketten und den Siegelring unseres Abtes…“

      „Für den jener Ansgar verstoßen wurde“, bemerkte Dirk und die Freunde nickten beeindruckt.

      „So ist es“, sagte der Älteste, der das Kettenhemd gegen die Mönchskutte eintauschte. „Darum verlasse ich dieses Kloster.“

      „Du trittst aus?“, fragte Dirk ungläubig.

      „Ja“, bekräftigte Frederik. „In gewisser Hinsicht ist das Kloster nur eine Flucht. Misstrauen gibt es hier wie da, und der Versuchung aus dem Weg zu gehen, bewirkt am wenigsten.“

      Er faltete die Hände auf dem Pult und heftete den Blick auf Ekhard. „Was sagt der Poet? Sollte nicht ein Ritter von altem Schrot und Korn den Schwachen beistehen? Was fällt dir dazu ein?“

      „Kennt ihr die britannische Sage um den Hof von König Arthus? Manches vornehme Fräulein bat um die Hilfe eines seiner Ritter, der dann für sie die Sache durchgefochten hat. Den Schwachen zu helfen, das war der Sinn des Rittertums.“

      „Gut gesprochen, Spielmann.“ In Frederiks Augen trat ein gerührter Glanz. „Unter Barbarossa galt das ebenso in den deutschen Landen. Ritterlichkeit ist mehr als Lehen zu verwalten, sage ich. So viel zu der Frage, was ich an deiner Stelle täte, Dirk.“

      Dirk blickte ihn überrascht an. Das in etwa sinngemäß auf Burg Lechtenberg zu äußern, genügte Konrad, ihn vor dem Flamen als Hinterwäldler bloßzustellen. Dirk schlug sich an die Stirn. „Wie meinte Konrad doch gleich? Solang ich mein Schlachtschwert habe, nehme ich den Bauern ab, was dem Grafenhaus gebührt. Wisst ihr was, Freunde? Ich werde mir ein Schwert schmieden lassen, gegen das sich seines wie ein Handstock ausnimmt. Zum Martinstag wollen sie für jedes hochgezogene Kalb einen Silberpfennig und jede zehnte Mastgans für die Burgküche. Und ich werde Konrad in die Suppe spucken.“

      „Ohne mich“, entfuhr Godeke verständnislos.

      Dirk schloss enttäuscht die Augen und überlegte, wie sich dem Grafen von Oldenburg, der einzig und allein vor dem Erzbischof von Bremen kuschte, Angst einjagen ließe.

      „In den südlichen Gauen“, besann er sich dunkel, „gibt es Bünde, die knöpfen sich Menschen vor, die gegen alle Menschlichkeit verstoßen, sogenannte Feme-Gerichte. Alle, die zu dieser Bruderschaft gehören, sind schwarz gekleidet und vermummt. Die Leute, die sonst kaum bestraft werden könnten, werden geladen durch einen Boten, der nachts dreimal kräftig an das Burgtor klopft und einen Brief annagelt, in dem sie schriftlich eingeladen werden, zu einer Ruine oder auf eine Waldlichtung. Richter ist ein Freigraf, der als Zeichen seiner Macht ein Schwert und einen Strick vor sich ins Gras legt. Ein anderer ist der Henker.“

      Die meist heiteren Züge von Ekhard verhärteten sich, er runzelte die Stirn. „Damit begeben wir uns auf dünnes Eis. Wer sich an so etwas beteiligt, endet früher oder später vor dem Scharfrichter.“

      Frederik rieb sich den Hals und blinzelte, als sei ihm eine Mücke ins Auge geflogen. „Wir müssten uns gut vermummen… sollten uns Mützen nähen lassen, die nur ein paar Sichtlöcher offen lassen.“

      Dirk hob den Weinkelch. „Wer trinkt darauf mit mir?“

      Frederik blickte auf seine Hand, die schon über den Tisch fingerte, um mit ihm anzustoßen. „Wir würden Angst säen unter denen, die sonst keinem Rechenschaft schulden. Und genau das fehlt..., aber lasst uns zunächst nach Stedingen