Kendran Brooks

Retourkutsche


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heißt hier Hummel?«

      »Na, Professor Freire wird von den Studierenden seit vielen Jahren bloß noch Die Hummel genannt, weil er so fleißig wie eine ist, aber so chaotisch auftritt. Hast du schon einmal beobachtet, wie eine Hummel durch eine Blütentraube rauscht, wie sie von Nektarquelle zu Nektarquelle hetzt und dabei rücksichtslos die kleineren Honigbienen wegstößt und verdrängt? Das ist Professor Freire wie er leibt und lebt. Ich rate dir, mach dir immer gleich zwei oder drei Kopien von deinen Arbeiten, denn der Professor ist dafür berüchtigt, viele von ihnen zu verlegen, zu verlieren oder sonst wie zum Verschwinden zu bringen.«

      »Vier von fünf ist aber auch ganz gut«, sinnierte Chufu laut, »so können wir uns jeweils gegenseitig unterstützen, falls du magst.«

      Mei Ling nickte, wobei sich ihr Mund spöttisch verzog. Das konnte alles und nichts bedeuten, denn Chufu hatte keinerlei Erfahrung mit Chinesinnen, konnte Mei Ling nicht wirklich einordnen. Im Internat in Rosey gingen zwar auch über ein Dutzend Mädchen aus dem Land des Roten Drachens zur Schule. Doch keine von ihnen gefiel ihm so gut, als dass er nähere Bekanntschaft geschlossen hätte. Mit großer Freude registrierte Chufu jedoch, dass sich Mei Ling beim Essen an die westliche Etikette hielt und weder schmatzte noch mit offenem Mund kaute oder gar genüsslich rülpste und spuckte.

      »Und woher kommst du so?«, fragte er sie neugierig.

      »Mein Großvater ist vor mehr als fünfzig Jahren als junger Mann nach Brasilien ausgewandert. Er machte hier eine richtige Tellerwäscher-Karriere, wortwörtlich gemeint. Irgendwann konnte er sich mit einem eigenen kantonesischen Restaurant selbständig machen. Mein Vater hat daraus in den letzten zwanzig Jahren eine kleine Kette aufgebaut, besitzt heute ein gutes Dutzend Lokale in und um Rio. Und woher stammst du?«

      »Ich bin auf den Philippinen geboren und von meiner Mutter direkt in einem Waisenhaus abgegeben worden. Ich kenne sie deshalb ebenso wenig, wie meinen leiblichen Vater. Mit vierzehn Jahren büchste ich dort allerdings aus und fuhr dann als Schiffsjunge zur See. Mit fünfzehn traf ich auf meinen heutigen Adoptivvater, auf Jules. Er hat mich zusammen mit seiner Partnerin Alabima adoptiert. Seither lebe ich vor allem in der Schweiz und kam nun als Student hierher nach Rio.«

      »Alabima?«, plapperte die Chinesin munter drauflos, »ein echt ungewöhnlicher Name.«

      »Ja, meine Mutter ist eine Oromo, eine Äthiopierin.«

      »Dein Vater ist also weiß, deine Mutter schwarz und du bist gelb?«, stellte Mei Ling mehr fest, als dass sie ihn danach fragte, wobei sie verschmitzt lächelte.

      »Genau. Wir sind weniger eine Patchwork-Familie als vielmehr ein richtiger Fleckenteppich.«

      Mei Ling lachte schallend auf und Chufu grinste breit. Es schienen sich zwei Seelen gefunden zu haben.

      Die Mittagspause ging leider allzu rasch zu Ende. Chufu begleitete Mei Ling zwar noch bis zum nächsten Hörsaal, wo ihr Espaçores bereits ungeduldig auf sie wartete, boxte ihr auch einen Weg durch die belagerte Eingangstüre frei, doch statt sich anschließend wiederum im Flur mit den anderen hinzusetzen, beschloss der junge Philippine, die nächsten zwei Stunden lieber für die Suche im Intranet nach ein paar persönlichen Platzhaltern zu nutzen.

      *

      Jules traf vier Tage nach dem Anruf von Henry in Juárez ein. Sein britischer Freund hatte ihm mitgeteilt, dass er mit den Verhandlungen nicht weiterkäme und dringende Unterstützung bräuchte, um vielleicht doch noch einen Durchbruch zu erzielen.

      Sie trafen sich im Lokal von Manuel und setzten sich nach der Begrüßung mit dem ehemaligen Polizeipräfekten an einen Tisch. Vorsorglich hatte Manuel an diesem Morgen seiner Küchenhilfe frei gegeben, würde sein Café an diesem Mittag gar nicht öffnen.

      Zu Anfang hatte Jules seinen alten Freund Henry nicht einmal auf Anhieb erkannt, denn der fühlte sich in seiner neuen Rolle als alter Mexikaner pudelwohl. Aus seiner sonst straffen Körperhaltung war ein leichter Buckel geworden, Bewegungen führte er matt und langsam aus, vermied dabei jeden unnötigen Handgriff. Hinzu kamen die sehr dunkle Hautfarbe und das pechschwarze Haar, sowie eine Plastikeinlage in seinem Mundraum, die seine Backen etwas blähte und seinem Gesicht ein rundlicheres Aussehen verlieh.

      Manuel brachte drei hohe Tassen gefüllt mit schwarzem Kaffee an den Tisch. Die beiden Europäer rührten sich vorsorglich ein paar Löffel Zucker hinein, bevor sie vorsichtig kosteten und dann zufrieden lächelten.

      »Und wie stehen die Aktien?«, eröffnet Jules den Reigen.

      Henry hatte dem Schweizer von Manuel und seinem Café in Juárez als seine erste Anlaufstelle in Mexiko bereits vor seiner Abreise erzählt. Denn eine der wichtigsten Grundsätze bei gefährlichen Einsätzen lautete, dass die Partner jeden Schritt im Voraus kannten und auf diese Weise auch mitdenken und im Fall der Fälle auch unverzüglich Hilfe leisten konnten.

      »Manuel hat für uns das Hauptquartier des wohl gewichtigsten Drogenkartells hier in Juárez ausfindig gemacht. Ich habe den Ort vor ein paar Tagen überprüft. Die reagieren dort nervös, was zumindest zweierlei beweist. Sie bewachen das Gebäude äußerst scharf und sie haben darin wohl auch Einiges zu verbergen.«

      »Können wir dort heimlich eindringen?«

      Der Kopf von Manuel schüttelte sogleich ein Nein.

      »Über einen Freund in der Stadtverwaltung habe ich uns die Baupläne aller Häuser in dieser Gasse besorgt. Doch es scheint, als ob man in den letzten zwei Jahren einige bauliche Veränderungen ohne Bewilligung und damit ohne offizielle Planunterlagen durchgeführt hat. Ein heimliches Eindringen wäre nicht nur schwierig, sondern mehr als gefährlich.«

      »Vielleicht können wir jemanden bestechen?«

      »Das Haus und die Gebäude daneben lassen wir seit ein paar Tagen überwachen und die ein- und ausgehenden Leute bis nach Hause verfolgen. Wir haben auf diese Weise zehn Mitarbeitende herausgefiltert, die sich täglich für einige Stunden dort aufhalten. Sechs davon sind bekannte Schlägertypen und wohl für die Bewachung und den Schutz zuständig. Die vier anderen dürften normale Büroangestellte sein. Es sind jedenfalls Leute, die polizeilich nicht registriert sind und mit ihren Familien in kleinen Mietwohnungen leben. Der Eigentümer des Hauses ist ein großer Baulöwe hier in Juárez.«

      »Hat er das Gebäude vermietet oder gehört er zum Kartell?«

      »Das ließ sich bisher nicht feststellen. Pancho Rosales, so heißt der Mann, hat sich jedenfalls die letzten Tage kein einziges Mal dort blicken lassen. Überhaupt konnten wir bislang noch kein einziges prominentes Gesicht aus der bekannten Drogenszene dort entdeckt. Es herrscht zwar ein reges Kommen und Gehen, doch es scheint eher ein Sammelplatz kleiner Ganoven, Informanten und Befehlsempfängern zu sein.«

      »In Zeiten des Internets brauchen sich Bosse nicht mehr persönlich in ihren Hauptquartieren blicken zu lassen«, sinnierte Jules laut, »können wir einen der Angestellten vielleicht schmieren? Oder erpressen?«

      Henry und Manuel schüttelten gleichzeitig ihren Kopf.

      »Von diesem Versuch würde ich dringend abraten. Denn damit würden wir nicht nur ihn, sondern auch alle seine Angehörigen in unmittelbare Gefahr bringen. Es gibt hier in Juárez immer wieder Fälle von Massenexekutionen ganzer Familien. Sobald die Drogenbosse an einen Verrat glauben, lassen sie sämtliche Menschen im Umfeld des möglichen Abtrünnigen töten. Falls uns also eine Bestechung gelänge, wären wir später vielleicht für den Tod einer großen Zahl von völlig Unschuldigen verantwortlich.«

      »Also müssen wir persönlich ins Gebäude einsteigen. Vielleicht am besten am späten Abend oder in der Nacht, wenn nur noch die Wächter dort sind«, stellte Jules fest und wirkte dabei grimmig entschlossen.

      »Oder ihr macht es am nächsten Sonntag, wenn alle das Fest zu Ehren der heiligen Jungfrau Maria feiern«, meinte Manuel trocken.

      Henry und Jules sahen sich vielsagend an.

      »Erzähl uns mehr darüber, Manuel.«

      *

      Es war eine