Катя Брандис

Vulkanjäger


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zurück und bezahlte die fünfzig Cent, die sie mir berechnet hatte. Dann war auch schon die ältere Dame dran.

      Auf dem Weg zurück zum Hotel schwebten meine Füße über dem Boden, und ich ließ den Zettel mit ihrem Namen nicht aus der Hand – in meiner anderen Hand klimperte das blödsinnige Tamburin.

      Mit zehn Minuten Verspätung war ich zurück, und ich sah auf den ersten Blick, dass mein Vater stinksauer war. „Schluss mit dem bescheuerten Versteckspiel!“, fuhr er mich an. „Klartext. Wie heißt sie?“

      Völlig verblüfft hielt ich ihm den Zettel hin.

      „Aha, Giulia – ist sie nett?“, meinte er, er sprach es aus wie Julia in Englisch. Dschulia.

      „Ich glaube schon“, meinte ich.

      „Na, dann ist´s ja gut“, sagte mein Vater trocken und begann, mir den Zusammenbau der High-Speed-Kamera zu erklären. Ich gab mir Mühe, mir alles zu merken, und versuchte, mich möglichst geschickt anzustellen. Damit er sich wieder abregte. Hatte gerade noch gefehlt, dass er einen schlechten Eindruck von mir bekam, noch bevor unsere Reise richtig begonnen hatte!

      Nach unendlich langer Zeit, wie es mir vorkam, stand ich endlich wieder in Giulias Laden. Sie begrüßte mich mit einem fröhlichen „Va bene?“, und als ich so tat, als würde ich alle möglichen Souvenirs auf meine Arme häufen, musste sie lachen. Ich mochte die Art, wie sie lachte, übermütig und richtig tief aus dem Bauch heraus. Und es war, als hätte ich etwas gefunden, von dem ich nicht einmal gewusst hatte, dass es mir fehlte.

      „Hast du Lust, mit mir ein Eis essen zu gehen?“, fragte ich schnell, bevor ich es mir anders überlegen konnte.

      Wow. Ich hatte es getan, ich hatte gefragt. Halb gefroren vor Furcht, wartete ich auf ihre Antwort.

      „Vediamo“, sagte Giulia. Wenn ich das richtig verstanden hatte, hieß das „Schauen wir mal“ im Sinne von „Vielleicht“. Na ja, besser als ein Nein. Giulia schien auf etwas zu warten, auf irgendetwas, das ich sagte. Aber ich hatte keine Ahnung, auf was. Höflich meinte ich einfach „Okay, denk einfach drüber nach, ja?“, und Giulia schaute mich an wie einen Außerirdischen. Was hatte ich falsch gemacht? Wenn das hier ein Spiel war, kannte ich die Regeln nicht.

      Also fragte ich bei meinem nächsten Besuch am gleichen Tag einfach nochmal. „Und, wann gehen wir Eis essen?“ So, als hätten wir alle Zeit der Welt.

      Fast rechnete ich wieder mit einem Vediamo, doch diesmal kam keins. Verschmitzt blickte Giulia mich an. „Sagen wir es mal so: Ich gehe mit dir Eis essen, wenn du mit mir im Meer geschwommen bist.“

      „Kein Problem“, sagte ich erstaunt. Wo war der Haken? Schwimmen gehen war neben Kanu fahren eine meiner Lieblingsbeschäftigungen. „Wann treffen wir uns?“

      „Heute um Mitternacht“, erwiderte Giulia, und ihre Augen blitzten herausfordernd.

      Ein Schauer überlief mich. Ich hätte ihr sagen können, dass es unklug war, nachts im Meer zu baden, weil zu dieser Zeit Haie auf der Jagd waren. Außerdem konnte einen nachts keiner retten, wenn man in Schwierigkeiten kam. Aber das wusste sie wahrscheinlich selbst. Vielleicht hielt sie deutsche Jungs für langweilig und hatte vor, mich zu testen. Das konnte sie haben. „Okay“, sagte ich und hielt ihrem Blick stand.

      „Wohin soll ich kommen?“

      „Ich hole dich mit dem motorini ab – wo wohnst du?“

      Ich beschrieb es ihr und verabschiedete mich mit einem lockeren „Also dann bis später“.

      Die Chancen, meinen Vater von dieser Aktion zu überzeugen, waren gleich Null und ihn einfach nicht um Erlaubnis zu fragen die einzige Lösung, die mir einfiel. Also stopfte ich, als André gerade telefonierte, ohne Aufhebens mein Schwimmzeug in den Rucksack und erklärte: „Ich geh noch mal weg, kann spät werden, okay? Mach dir keine Sorgen.“

      „Ab wie viel Uhr darf ich die Polizei rufen?“, fragte mein Vater, ohne aufzublicken.

      „Wenn die Sonne aufgeht“, gab ich zurück. Wenn ich bis dahin nicht zurück war, hatte ich tatsächlich ein Problem.

      Schwarzes Wasser

      Erst jetzt, in der Nacht, wich die brütende Hitze langsam aus der Stadt.

      Ich stand wartend auf dem Bürgersteig, der nach Hundepisse stank, und hielt Ausschau nach Giulia.

      Ein weißer japanischer Motorroller hielt neben mir. „Steig auf“, sagte die kleine Gestalt auf dem Sitz und warf mir einen Helm zu. Ich setzte ihn auf und schwang mich auf den hinteren Sitz. Dann gab Giulia kräftig Gas. Ich suchte mit den Händen nach einem Halt, aber es gab nirgendwo einen Griff. Und dass ich die Arme um Giulias Taille schlang, kam natürlich nicht infrage. Also hielt ich mich – wie die meisten anderen Italiener auf dem hinteren Sitz – gar nicht fest.

      Giulias Haare, die unter ihrem Helm hervorlugten, flatterten mir ins Gesicht, während sie elegant Autos überholte und sich an einem kleinen Stau vorbeischlängelte. Dann kamen wir auf einen breiten Boulevard, und ihr motorini sauste immer schneller durch die Nacht, die selbst um diese Zeit noch voller Lichter und Autos und Menschen war.

      Ich hatte erwartet, dass sie zu irgendeinem Strand fuhr, aber sie bremste erst, als eine kantige Burg vor uns auftauchte. Eine Festung im Meer vor Neapel, gegen die die Brandung donnerte. „Castel dell´Ovo“, sagte Giulia und parkte ihren Motorroller. „Man sagt, dass irgendwo in seinem Inneren ein Ei verborgen ist. Wenn es zerbricht, dann ist Neapel dem Untergang geweiht.“

      „Da reicht wohl das nächstbeste Erdbeben“, sagte ich und gab ihr den Helm zurück.

      „Wir hatten eins, aber das ist schon cinque anni, fünf Jahre, her. Ich fand´s aufregend, aber meine Großmutter ist unter den Esstisch gekrochen.“ Giulia schaute sich um – niemand in Sicht, die Ziegelbrücke, die zum Kastell führte, lag verlassen da. Rasch begann Giulia damit, sich auszuziehen und ihre Klamotten in eine Plastiktüte zu stopfen. Zögernd folgte ich ihrem Beispiel. Wo genau sollte man denn hier überhaupt ins Meer kommen? Über die Kalksteinfelsen vor der Promenade? Ich sah mich um und erkannte im schwachen Mondlicht die Silhouette des Vesuv, dessen Doppelgipfel auf der anderen Seite der Bucht aufragte.

      Im Bikini sah Giulia atemberaubend aus, während ich mich im kalten Licht der Straßenlaternen einfach nur schlaksig und blass fühlte. Ein Junge, in den man sich unmöglich verlieben konnte. Viel zu uncool.

      Trotz des warmen Nachtwinds überzog eine Gänsehaut meine Arme. Wollte sie wirklich in dieses nachtschwarze Wasser – und, noch wichtiger, wollte ich das?

      „Jetzt schnell, bevor ein Carabinieri uns bemerkt!“, wisperte Giulia und sprintete los. Ich ganz instinktiv hinterher.

      Die Burg aus gelblichem, vom Alter geschwärztem Stein ragte über uns auf, angestrahlt von Scheinwerfern. Giulia gönnte ihr keinen Blick, sondern kletterte behände über die abgrenzende Ziegelmauer, so dass sie an die Seitenwand der Burg herankam. Sie presste sich an die Mauer und schob sich zentimeterweise auf einem schmalen Sims voran; drei Meter unter ihr ragten Felsen aus dem Wasser, wenn sie fiel, würde sie sich das Bein brechen oder, noch schlimmer, den Hals!

      „Kommst du?“, rief sie mir zu.

      Tickte sie noch ganz richtig? Ich hatte keine Lust, mir hier sämtliche Knochen zu brechen! Erwartete sie wirklich von mir, dass ich ihr folgte?

      Doch dann gab ich mir einen Ruck. Wenn ich mich nicht mal traute, an einer Burg herumzuklettern ... wie sollte ich es dann schaffen, mit meinem Vater Vulkane zu filmen?

      Der Stein war porös und hatte viele kleine Vertiefungen, in die ich die Finger schieben konnte. Aber mit meinen großen Füßen hatte ich es viel schwerer als Giulia, auf dem Sims Halt zu finden. Ein paar Sekunden später rutschte mein Fuß ab. Ich krallte mich noch fester an die Wand und schwankte einen Moment lang, kämpfte darum, mein Gleichgewicht zu halten und nicht rücklings auf die Felsen zu stürzen. Besorgt sah Giulia zu mir herüber und reichte mir eine Hand.