Jörn Holtz

Drei sind keiner zu viel


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er schulterzuckend hinzufügte: „Danke, aber Kaffee reicht erst einmal.“

      „Und nun?“, sah Ole ihn kritisch an, nachdem er in der Küche den Kaffeevollautomaten eingeschaltet hatte.

      „Ehrlich gesagt, weiß ich es gerade nicht“, zuckte Peter sichtlich ratlos mit den Schultern. „Oder wärst du vielleicht so nett, mir dein Gästezimmer unterzuvermieten?“, fügte er nach einer gewollten Pause vorsichtig hinzu, bevor er selbstbewusst: „Natürlich nur so lange bis ich was Neues habe“, anfügte.

      „Oh, du meinst Marions altes Zimmer“, hielt Ole kurz überrascht inne, wobei sich sein Bauch einen Moment lang noch unangenehmer bemerkbar machte. „Häm, na okay, geht klar!“, sagte er dann jedoch, da er seinen ältesten Freund nicht hängen lassen wollte.

      Kapitel 1

      Der gelebte Albtraum

      Als Ole erst den zweiten Tag wieder auf Arbeit war, rief ihn kurz nach der Mittagspause seine älteste Schwester Doro an. Kurz starrte er überrascht und ungläubig das Display seines Handys an. Denn dies war, abgesehen von der frühen Uhrzeit, schon sehr ungewöhnlich, weshalb er sich auch vorsichtig, sowie mit gespielter Überschwänglichkeit meldete: „Moin Schwesterherz, das ist ja schön, dass du mich mal anrufst!“

      „Hallo Ole, nein eigentlich nicht!“, erklang ihre Stimme daraufhin schluchzend in der Ohrmuschel seines Handys. „Denn das was ich dir mitteilen möchte, ist alles andere als schön. Petra geht es seit gestern sehr schlecht, und zwar so schlecht, dass die Ärzte sie vorhin ins künstliche Koma versetzt haben, nachdem sie einen weiteren Schlaganfall hatte“, kam sie wie immer direkt und ohne weitere Formalitäten zur Sache, wenn auch dieses Mal etwas stockend. „Würdest du daher bitte umgehend ins Städtische kommen?“

      „Äh ja, geht klar!“, starrte er verwirrt aus dem Fenster. „Doch sag mal, was ist denn bloß passiert?“

      „Das wissen die Ärzte noch nicht. Aber es sieht gerade gar nicht gut für sie aus. Daher solltest du dich auch ein wenig beeilen. Vielleicht ergibt sich dann noch einmal die Möglichkeit, dass du mit ihr reden kannst.“

      „Sicher, dass wäre toll!“, stammelte er daraufhin mechanisch, auch wenn er es seit Jahren vermieden hatte, mit seinen Schwestern zu sprechen. Dennoch ließ er alles stehen und liegen und raste über die Autobahn zurück nach Kiel.

      Im Krankenhaus angekommen, fragte er sich bis zur Intensivstation durch. Dort angekommen, streifte er sich schnell einen weißblauen Kittel über, sowie jeweils hellblaue Papierhauben über die Haare und Schuhe, bevor er das sterile Krankenzimmer betrat, wo einer seiner schlimmsten Albträume ad-hoc Realität wurde. Zuerst meinte er noch, sich im Raum geirrt zu haben, denn die nackte Frau, die dort in der Shavasana Stellung rücklings auf einem metallenen Bett lag, war so immens aufgedunsen, dass er seine zweit älteste Schwester erst auf den zweiten Blick erkannte. Dabei stellte aber auch erschrocken fest, dass ihr Körper überall mit irgendwelchen Geräten verbunden war, wobei nur ihre Genitalien notdürftig mit jeweils einem Handtuch abgedeckt waren. Als sein Kopf diese Information entsetzt verarbeitet hatte, entdeckte er Doro. Sie saß derweilen in sich zusammengefallen am Kopfende des Bettes und hielt die Hand ihrer Schwester, wobei sie unaufhörlich: „Du bist nicht allein, hörst du. Wir sind bei dir!“, murmelte. Als sie Ole durch ihre verquollenen Augen wahrnahm, fügte sie: „Und Ole nun auch!“, hinzu.

      Michael, Doros und Petras Halbbruder, war ebenfalls anwesend und hockte mit seiner Frau zusammengekauert am anderen Ende des Raumes auf zwei Stühlen. Freundlich nickte Ole zu ihnen hinüber, während er sich, von der skurrilen Umgebung und der vorherrschenden trüben Stimmung paralysiert, hinter Doro aufbaute und seine Hände auf ihren Rücken legte. Dabei wurde ihm wieder einmal bewusst, dass seine Schwestern eigentlich nur seine Halbschwestern waren, weil sie aus der ersten Ehe seiner Mutter stammten. Aber auf solche Feinheiten hatte er als Kind nie Wert gelegt, trotz allem was mittlerweile zwischen ihnen stand. Dann stimmte er in den mechanischen Sing-Sang von Doro mit ein, wobei sein Blick unruhig im Raum umherschweifte. Dabei verweilte er immer wieder kurz bei den Instrumenten, die die verschiedenen Körperfunktionen von Petra visualisierten. So bemerkte er mit der Zeit, wie ihr Blutdruck und ihre Herzfrequenz langsam sanken, bis ein lautes, durchgehendes Piepen, gefolgt von einer grell blinkenden, orangefarbenen Lampe am Fußende des Bettes, ihn aus dieser Litanei riss.

      Ein gedrungener Arzt und eine hochgewachsene Krankenschwester erschienen daraufhin und machten sich ohne Umschweife an ein paar medizinischen Geräten zu schaffen, ohne die Anwesenden eines Blickes zu würdigen. Erst als sie damit fertig waren und eine vermeintliche Ruhe im Krankenzimmer zurückgekehrt war, wandte sich der Arzt mit besorgter Miene und räuspernd an Doro: „Ähm, ihre Schwester hatte gerade ein Nierenversagen und ehrlich gesagt,“, stutzte er kurz, während seine Hände rastlos ineinander rieben, „verstehe ich es immer noch nicht, was hier vor sich geht!“ Dann schwieg er eine Zeitlang nachdenklich, bevor er behutsam fortfuhr: „Denn ehrlich gesagt, bin ich mit meinem Latein gerade so ziemlich am Ende, was ihre Schwester betrifft. Ähm,“, räusperte er sich erneut, „wünschen sie dennoch, dass ich weitere lebensverlängernde Maßnahmen ergreife? Ich meine ja nur, in Anbetracht der beiden Schlaganfälle von heute Mittag. Denn diese sind bestimmt auch nicht spurlos an ihrer Schwester vorbeigegangen, auch wenn ich zurzeit noch nichts Näheres dazu sagen kann“, sah er sie ratlos, aber mitfühlend an.

      „Was soll ich?“, schluchzte Doro ungläubig, nach einer Zeit des bedrückenden Schweigens, so als ob sie meinte sich verhört zu haben. „Nein,“, riss sie dann plötzlich entsetzt ihre Augen weit auf, als ihr die Bedeutung der Frage klar wurde, „das kann und will ich nicht allein entscheiden, dass müssen ihre Brüder mitentscheiden!“

      Woraufhin Oles gesenkter Kopf erschrocken hochfuhr und er sie entsetzt anstarrte. Doch, ehe er protestieren konnte, ergriff Michael das Wort: „Okay, da wir gerade alle ganz ehrlich zueinander sind“, sah er kurz kopfschüttelnd und mit feuchten, roten Augen erst zu Petra und dann zu den ganzen Maschinen hinüber, die sie am Leben erhielten, bevor er stockend fortfuhr: „Auch ich verstehe nicht,“ stockte er erneut, wobei er hörbarmit seiner Fassung rang, „was hier gerade vor sich geht, wie auch! Jedoch glaube ich, dass es besser für sie ist, wenn sie nicht noch länger leiden muss!“, wobei seine Stimme immer brüchiger und leiser wurde, so dass man ihn am Ende kaum noch verstand. Trotzdem hallten seine Worte einen Moment in Oles Kopf nach, weil er wusste, was nun von ihm erwartet wurde. Doch erst als Doro zustimmend nickte, fand er den Mut: „Dem habe ich nichts hinzuzufügen!“, zu stammeln.

      „Okay“, nickte der Arzt milde in Oles Richtung, bevor er langsam und nacheinander in alle Gesichter blickte und ruhig anfügte: „Na, dann wollen wir mal dafür sorgen, dass ihre Schwester schmerzfrei und friedlich von uns gehen kann!“ Daraufhin wandte er sich von ihnen ab und machte sich erneut an den Gerätschaften zu schaffen. Mit dem Satz: „So, nun wird es nicht mehr lange dauern und sie wird bestimmt keine Schmerzen haben“, schloss er seine Arbeiten ab und verließ das Zimmer.

      Während Ole kurze Zeit später erneut in den Sing-Sang von Doro mit einstimmte, die den Text in: „Alles ist gut, du darfst gehen. Wir sind bei dir!“, geändert hatte, schweifte sein Blick erneut unruhig im Raum umher. Dabei kam ihm hier alles so surreal vor, dass er sich über sich selbst wunderte, weshalb er nicht schreiend davonlief. Doch aus irgendeinem Grund und trotzt der ganzen schrägen Ereignisse in der Vergangenheit, fühlte es sich für ihn richtig an, hier zu sein, weil er sich zugehörig fühlte. Ja er, der sich seit seiner frühesten Jugend nicht mehr zu irgendjemandem zugehörig fühlte, fühlte sich in diesem surrealen Moment wieder zu jemandem zugehörig, und zwar zu seinen Schwestern. Dabei fühlte es sich für einen kurzen Moment so wie früher an, bevor sie ihn von einem auf den anderen Tag und ohne einen ersichtlichen Grund verlassen hatten.

      Während er diesem verloren geglaubten Gefühl nachhing, verstrich die Zeit um ihn herum wie in Zeitlupe. Wobei er sehr genau verfolgte wie der Puls und der Blutdruck seiner Schwester langsam, ganz langsam immer weiter sanken.

      Als dann irgendwann keine Vitalfunktionen