Sophie Lang

Begnadet - Wiedergeburt - Buch 3


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sprechen.« Lu hält sich die Hand vor den Mund, um nicht loszuprusten. Jarno ist unmöglich. Wie kann er nur. Um Jarno zu ärgern, bewegt sie ihr Becken langsam hier hin und dort hin, genießt es, ihren Mann zu spüren und zu beobachten, wie er versucht, die Fassung zu wahren, während er Aeias Stimme lauscht. Hin und wieder streichelt er Lus Bein, sagt Dinge wie: Mhm ... Ja ... Verstehe ... OK ... Nach längerer Zeit legt er auf und meint: »Morgen geht es los!«

      »Dann ist das wohl unsere letzte Nacht im TREECSS.«

      »Grund genug, jede einzelne Sekunde davon nicht zu verplempern«, meint Jarno und senkt seine Lippen auf Lus.

      Soldat - Nachts

      Das Sicherheitssystem des TREECSS ist eines der best geschützten der Welt. Seine Firewall undurchdringlich. Bis vor einer Stunde war es noch komplett von der Außenwelt abgeschottet. Der letzte erfolgreiche Angriff, das letzte Mal, dass es jemandem Unbefugten gelang, die Grenzen des TREECSS zu überschreiten, liegt einundzwanzig Jahre zurück. Damals, mit Hilfe von Aeia Engels Blut, konnte eine Infiltration gelingen. Vor wenigen Stunden ist die Tochter in die Fußstapfen ihrer Mutter getreten, hat mit ihrem Talent die Firewall des Instituts überlistet und einer fremden Macht unbewusst Zutritt gewährt. Unbemerkt. Unbeabsichtigt. Ahnungslos. Einer Macht, vergleichbar mit Eves Fähigkeiten. Die einer künstlichen Intelligenz. Eine Art Virus wurde in das System eingeschleust und hat sich an entscheidende Sicherheitsprotokolle geheftet, nicht etwa um diese zu löschen oder zu deaktivieren, sondern anzupassen, damit Feinde als Freunde erkannt werden, damit Türen und Fenster offen sind, die besser geschlossen sein sollten.

      Ein einzelner Soldat, im Schutzmantel der Nacht, erklimmt das Fenster, das in den Gang führt, dort wo sich auch Phoenix und Naomis Zimmer befindet. Lautlos öffnet er die Tür, nähert sich dem Bett und ohne zu zögern, verabreicht er über einen kleinen Bindfaden, der an den Lippen des Opfers anliegt, tröpfchenweise das Medikament. Solange, bis die tödliche Überdosis erreicht ist. Sie muss sterben, weil ihr Name vor etwas mehr als einer Stunde in einer nächtlichen Unterhaltung gefallen ist. Sie muss noch heute Nacht sterben, nur weil von ihr Gefahr ausgehen könnte, den Plan des Feindes zu durchkreuzen. Der Masterplan, der nur ein Ziel verfolgt. Die vollkommene Auslöschung aller Bio-Hacks.

      Nachdem er sein tödliches Werk vollbracht hat, verlässt er still und unbemerkt das Gebäude und das Areal. Über ein implantiertes Modul in seinem Gehirn, ist der Soldat mit dem Netz verbunden. Ein Befehl löst aus, dass sich eine Substanz in seinen Nervenbahnen ausbreitet, in jenen Regionen, die für das Erinnerungsvermögen zuständig sind. Als er in den schwarzen SUV steigt und die Fahrertür hinter sich schließt, weiß er nicht mehr, wo er war oder was er getan hat und wer sein Auftraggeber ist. Der perfekte Söldner für einen perfekten Mord. Die fremde Macht, verspürt kein Mitleid, keine Reue, empfindet nichts. Nicht einmal Genugtuung oder Freude, über das Gelingen des Attentats. Sie folgt nur einer Stimme, die ihrer DNA.

      Naomi - Zac

      Ich habe Phoenix liegen lassen. Sie hat noch so tief geschlafen, dass ich es einfach nicht übers Herz gebracht habe, sie aus meinem Bett zu schmeißen. Vielleicht bin ich auch noch ein bisschen durcheinander wegen dem Gespräch, das ich zwischen Aeia und Herr Davidi belauscht habe und meinen wieder aufgekommenen Ängsten und Hoffnungen.

      Ich besetze meinen Sitzplatz im Hörsaal, nicht ohne mehreren meiner Kommilitonen auf die Füße zu treten und ihren Mündern Flüche zu entlocken. Das gewohnte Ritual eben. So langsam sollten sie sich daran gewöhnt haben und sicherheitshalber Schuhe mit Stahlkappen anziehen.

      Der Hörsaal füllt sich. Ich weiß, sobald die Stunde beginnt, werden wieder einige Gesichter fehlen. Jeden Tag ein paar mehr Begnadete, die das TREECSS verlassen haben. Der Platz neben mir wird auch leer bleiben. Der Platz von Phoenix. Ich bereue es, Phoenix nicht geweckt zu haben. Niemand traut sich, eine Stunde bei Professor Yamorra zu verpassen oder zu spät zu kommen. Vielleicht liegt es an seiner natürlichen Autorität oder den besorgniserregenden Geschichten, die über diejenigen erzählt werden, die es doch gewagt haben.

      Die meisten der anwesenden Begnadeten sind schon über einundzwanzig, haben ihre Wandlung und das Ritual schon hinter sich. Ich kenne nur eine einzige Person, eine Ausnahme, die sich nicht um die Bindung, die Mann und Frau bei der Zeremonie eingehen, geschert hat. Aeia, meine Mum. Die Partner suchen und finden sich bei TREECSS nicht auf natürlichem Wege. Sie werden füreinander bestimmt. Da sind wir manchen Kulturen der Menschen sehr ähnlich. Das ist historisch bedingt, haben wir bei Yamorra gelernt, der jetzt den Hörsaal betritt und alle Begnadeten verstummen lässt. Mich auch. Ungewöhnlich ist, dass eine Sekunde später, sich die Stimmen zu einem leisen Gemurmel erheben. Ich blicke zu dem Professor, auf der Suche nach dem Auslöser.

      Schuld an dem Gemurmel im Saal, das vor allem von den jungen Frauen ausgeht, ist der Junge, der Yamorra folgt. Jeans und T-Shirt trägt er lässig, die braunen Haare kurz. Er ist groß und schlank und bewegt sich selbstsicher, wie ein Mann und nicht wie die anderen Jungs in diesem Alter. Ich schätze ihn auf Anfang zwanzig. Zuerst denke ich, er ist der Assistent von Yamorra, aber als der Professor und sein Begleiter sich uns zuwenden, wird mir ganz komisch. Ich glaube, ihn zu erkennen, weiß aber noch nicht woher. Vielleicht war es ja auch auf einem von Phoenix und meinen nächtlichen Partyausflügen?

      »Begnadete«, erhebt Yamorra seine Stimme und der Hörsaal verstummt. »Ich möchte euch Zac vorstellen.« Bei mir klingelt es immer noch nicht. Zac? Nie gehört.

      »Zac ist ein Begnadeter, wie wir. Er ist nicht aus unserem Institut und hat eine lange Reise hinter sich und ich freue mich, ihn bei TREECSS willkommen zu heißen. Ich bin mir sicher, Ihnen ist es auch eine Freude«, sagt der Professor, als wäre es eine Selbstverständlichkeit, dass es noch andere Begnadete außerhalb des Instituts auf der Welt gibt. Bin ich etwa die Einzige, die nichts davon wusste?

      »Zac, bitte suchen Sie sich einen Platz, die Vorlesung beginnt.«

      Der hübsche junge Mann schenkt dem Auditorium ein unwiderstehliches Lächeln und ich vernehme ein freundliches, völlig akzentfreies Hallo, dann nähert er sich auf eine faszinierende Art und Weise den vordersten Reihen.

      Ganz schön cool, irgendwie.

      Professor Yamorra schiebt seine Brille auf der Nase zurecht und wartet argwöhnisch mit dem Beginn der Geschichtsvorlesung, bis Zac sich entscheidet. Er lässt sich unerwartet viel Zeit, als würde er einen ganz bestimmten Klappstuhl suchen, als würde es einen Unterschied machen, neben wem er sitzen würde. Plötzlich fällt sein Blick auf mich, auf den freien Platz neben mir und seine Augen hellen sich auf. Das ist der Moment, als ich mich an seine Augen erinnere. Er ist der süße Typ, den ich fast vor die ankommende S-Bahn geschubst habe. Gestern, nachdem ich die Mädchen aus den Fängen der Rechtsradikalen befreit habe und ich Phoenix an der S-Bahn getroffen habe. Siebenundzwanzig Stufen höher - ich habe jede einzelne mitgezählt - ist er bei meiner Reihe angelangt. Neun Sitze später, pflanzt er sich neben mich, besetzt den Platz meiner besten Freundin und noch schlafenden Zimmergenossin. Bevor ich sein Flüstern vernehme, registriere ich seinen unverwechselbaren Geruch. Irgendwie luftig und erdig. Irgendwie extrem strange.

      »Hi«, flüstert er. Nike, die rechts von ihm sitzt, piepst auch ein Hi. Die ist ja total aus dem Häuschen. Mein Gott, wie Klischee behaftet. Ich lese vor meinem inneren Auge gerade im Eiltempo einen ideenlosen Liebesroman, in dem sich Nike in, nach anfänglicher Abneigung, Zac, den Neuen verknallt, nur um im Verlauf der Story von ihm gnadenlos betrogen und hintergangen zu werden und beide dann, über dramatische Wendungen, doch noch feststellen, dass sie füreinander bestimmt sind. Ich muss gleich kotzen, dann bemerke ich aber, dass mich Zac ansieht und Professor Yamorra schon bei der zweiten Projektion angelangt ist. Das Hologramm schwebt anschuldigend im Raum. Ein Indiz dafür, dass ich die letzten zwei Minuten geistig abwesend war.

      »Was schaust du so?«, frage ich ihn. Er hat garantiert, etwas zu verbergen. Nur wer etwas zu verheimlichen hat, schaut so, mit diesem Röntgenblick!

      »Ein einfaches Hallo, Hi oder schön dich widerzusehen hätte mir ausgereicht«, sagt er laut genug, dass es auch Nike neben uns mitbekommen muss. Ich bemerke, wie sie spöttisch grinst