funkelnden Pracht. Das war etwas für Heiden. Sie bekreuzigte sich und lief weiter. Es musste doch eine Furt geben oder besser noch, eine Brücke.
Der Pfad entlang des Hochufers begann sich im Gestrüpp zu verlieren. Goedele bog Äste beiseite, stieg über knorriges Wurzelwerk, schrammte an dornenbesäten Zweigen entlang, die ihr die Hände aufrissen und ihren Mantel festhielten. Sie zog und zerrte, bis sie ihn losbekam. Sie weinte, aber sie lief weiter. Das ferne Tosen des Flusses an ihrer rechten Seite wies ihr den Weg.
Sub tuum praesidium confugimus, sancta Dei Genitrix: Nostras deprecationes ne despicias in necessitatibus, sed a periculi cunctis libera nos semper, virgo gloriosa et benedicta.
Jungfrau, erhaben und gesegnet. Unerwartet endete das Gestrüpp. Sie stand am Rande einer breiten Fuhrstraße, die geradewegs auf eine Brücke zulief. War es Rodewis Sraße? Hätte sie ihr nur weiter folgen müssen? Egal. Sie hatte es geschafft. Freudig ging sie auf die Brücke zu.
Magnificat anima mea Dominum et exsultavit spiritus meus in Deo, salutari meo; quia respexit humilitatem ancillae suae ecce enim ex hoc beatam me dicent omnes generationes…
„Die Losung!“
Goedele hielt abrupt inne. Sie hob die Hand vors Gesicht, weil jemand ihr eine Fackel vor die Augen hielt. Die Flamme widerspiegelte sich auf einem polierten Harnisch. Breit schob der Soldat sich ihr in den Weg. Aus der Hütte, die sie vage hinter ihm ausmachte, trat ein zweiter hinzu. Das Metall seiner Rüstung klirrte. Die Männer waren sehr groß. Goedele starrte sie an. Wachen. Die Brücke war bewacht. Wachen.
Zeig es den Wachen. Endlich fasste Goedele nach der Kapsel um ihren Hals. Mit fliegenden Händen fingerte sie das kostbare Dokument heraus. Verlier es nicht. Sie hielt es dem Mann mit der Fackel hin, ohne es loszulassen.
„Die Losung“, wiederholte der Mann.
Sein Kamerad schob ihn beiseite. Grob zog er das Papier zu sich heran, um es betrachten zu können. Goedeles Finger krampften sich um das Pergament. Tief unten rauschte der Fluss.
Endlich ließ der Mann das Dokument los. „Es ist ein Schwarzer Falke“, sagte er, zu dem anderen gewandt. „Er zieht in die Schlacht.“ Er sah ihm ins Gesicht. „Lass ihn gehen!“ Der andere nickte und trat beiseite.
Während Goedele hastig das Dokument faltete, fühlte sie, wie ihr schwindlig wurde. Die Wachen wollten den taumelnden Ritter am Arm fassen, doch er schüttelte sie wütend ab.
Ein Schwarzer Falke. Goedele straffte sich und marschierte über die Brücke. Er zieht in die Schlacht. Unter ihr tosten die Fluten. Sie fühlte die Macht des Wappenemblems auf ihrem Rücken. Er. „Ich bin hier für uns beide“, flüsterte sie und grub ihre Hände in Lelles Mantel, der nach Rauch roch und kostbaren Ölen und nach Lelles Schweiß. „Für uns beide.“
Kräftig schritt sie aus. Die breite Straße zog sie weiter, weit jenseits jeden Hungers, jeder Schwäche, jeder Angst, weiter. Niemand störte mehr ihren nächtlichen Weg unter dem weiten Firmament. Bei Tagesanbruch würde die Straße sich wieder mit Truppen füllen, die an die Front zogen, doch jetzt war Goedele ganz allein.
Im ersten Morgenlicht begann sie zu zittern. Es war genug. Genug. Fiebrig suchten ihre Augen den Wegesrand nach etwas Essbarem ab. Als sie die kleinen Erdbeeren sah, ließ sie sich fallen. Halb im Schlaf aß sie und aß und aß, bis Hunger und Durst ihr gestillt waren. Dann kroch sie weiter ins Dickicht hinein. Sie konnte hier nicht bleiben. Weiter! Unter einer mächtigen Eiche sank sie endlich nieder. Die verschlungenen Wurzeln bildeten eine Kuhle, in der noch das Laub des letzten Herbstes lag. Sie schmiegte sich unter ihrem Mantel in das schützende Blätterbett, das nach Erde und Pilzen roch, und blieb reglos liegen. Endlich durfte jetzt alles in ihr zusammenstürzen, das sie aufrecht erhalten hatte über die Enden ihrer Kräfte hinaus. Endlich, endlich durfte sie sich überwältigen lassen von den mächtigen Wogen aus himmlischem Glück und einem Schmerz, der ihr die Seele zerriss. Ein wilder Klagelaut würgte sich aus ihrer Brust empor. Einen Augenblick lang hatte sie die Seligkeit zurückerlangt und im nächsten Moment war alles verloren – zerbrochen, zerschnitten, zerschmettert, zerstört – und sie fiel, fiel…..
Das Bellen der Hunde war noch sehr, sehr weit weg. Aber sie hörte ohnehin nichts mehr.
Viertes Kapitel
Andurkan betrat das Vorgemach. Mit freundlichem Nicken bedankte der junge König sich bei den Kammerdienern, die geduldig auf sein Erscheinen gewartet hatten, um ihm das Ornat anzulegen, und sich jetzt ehrerbietig vor ihm verbeugten. Andurkan schob die Arme in das bereit gehaltene golddurchwirkte Brokatdoublet und Sonbats dunkle, behände Finger schlossen die bronzenen Knebel über Andurkans Brust. Der mit schwerem atarkanischem Silberwerk beschlagene Ledergürtel mit dem Damaszener-Schwert wurde um seine schmalen Hüften gelegt. Die Silberintarsien auf dem polierten Ebenholzheft und die mit bunten, diamantgeschliffenen Edelsteinen besetzte Scheide funkelten in der Morgensonne, die jetzt mit voller Kraft durch die bunten Bleiglasfenster des großen Gemachs hereinschien.
Der schöne Frühling war gekommen. Das Gras für die Rösser gedieh, die Wege waren trocken und fest. Gute Zeiten zum Kämpfen und Töten. Andurkans stolze Augen gingen über seine Dienerschaft hinweg in blutige, siegreiche Fernen, die die seinen nicht mehr waren. „Den Mantel“, sagte er rau, und sie legten ihm den purpurnen, pelzverbrämten Atlasmantel mit dem eingewebten königlichen Wappen um und schlossen die massivgoldene Fibel über seiner linken Schulter. Wie jeden Morgen senkte Andurkan jetzt leicht das Haupt, dass sie ihm die samtene Haube und die fein ziselierte Königskrone aufsetzten. Abermals verneigten die Diener sich und Andurkan dankte es mit einem Lächeln und trat durch die reich geschnitzte Tür, die man ihm jetzt öffnete, hinaus. Unak, der die Ankleidezeremonie aus einem Winkel des Gemachs stumm bewacht hatte, folgte ihm wie ein Schatten.
In der Hofkapelle war es kühl und dämmrig. Leise schob Andurkan einen Goldflorin in den Opferstock, nahm eine der kostbaren honigduftenden Bienenwachskerzen, die in einer Nische aufgereiht standen, und schlug Feuer, um sie zu entzünden. Sorgfältig platzierte er sie vor dem Schrein Orestuns, des Patrons aller Reiter und Krieger, und schlug ein Kreuzzeichen. Bedächtig nahm er dann den schweren Mantel ab und breitete ihn auf den von Abertausenden frommer Tritte glatt geschliffenen Marmorboden vor dem Schrein. Er entledigte sich auch seines ledernen Waffengurtes mit dem kostbaren Schwert und bettete ihn auf den Atlasmantel. Endlich hob er auch Krone und Samtkappe vom Haupt und legte sie dazu, dass sein Haar frei auf die breiten Schultern fiel.
Es war nicht mehr geschnitten worden seit jener Schlacht, er trug es, weil niemals noch jemand im Kampf ihn am Schopfe packen würde, unsoldatisch lang; wie die Priester, die Atarkanier, die Bauern, die Alten, die Frauen. Der Priester Missfallen darüber wuchs wie sein Haar, sie warfen ihm tadelnde Blicke zu deswegen; mehr nicht.
Behutsam kniete Andurkan sich in eine Betbank und bedeckte sein Gesicht mit den harten, schwieligen Ritterhänden. Nicht Unaks wegen; Orestun war es, der seiner schändlichen Tränen nicht gewahr werden sollte; Orestun, der doch alles wusste und alles sah. Vergib mir, bat der König stumm, und wartete, bis es vorüberging. Dann entbot er in hingebungsvollem Ernst die vorgeschriebenen Sieben Heiligen Gebete, die Rechte über dem Herzen und den Blick andächtig auf die steinerne Statue gerichtet. Unak, dem es nicht erlaubt war, zu Orestun zu beten, bewegte stumm seine Lippen mit, wider alle Gebote vertrauensvoll.
Da auf einmal blitzte was in ihren Augenwinkeln und mächtiger Orgelklang brandete auf, von einer herrischen Bewegung der behandschuhten und beringten Hand Herigolds entfacht, der eben mit seiner Dienerschaft in die Kapelle einfiel und lautstark eine Faust voll Silberlinge in den Opferstock rinnen ließ. Unak und Andurkan tauschten einen kurzen Blick. Noch einmal presste Andurkan die Rechte gegen sein Herz und erhob sich dann langsam, von Unak diskret assistiert. Gemeinsam sammelten sie des Königs Insignien vom Boden auf und trugen sie hinaus, wo blau die Frühlingsluft wehte und sie freier atmen konnten, und der König gürtete sein Schwert und legte Mantel, Kappe und Krone an und schritt durch den weiten Brunnenhof hinüber zum Alabastersaal. „Warte hier!“, gebot er Unak mit harter Stimme und öffnete das Portal, allein. Alles war noch so neu. Falls