Barbara E. Euler

Der Krieg


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befreit hatten, vorsichtig auf seine Bahre gehoben, die nur ein einfaches Brett war, und ihn mit Hilfe einer älteren Frau, der einzigen, die nicht wie gelähmt stand, auf seinen Tisch im Wagen gelegt, während er ruhig zu ihm sprach.

      Mit einem Blick hatte der Bader seine Materialien überflogen. Es war alles bereit.

      Er hatte dem Jungen ein Stück Holz zwischen die Zähne gegeben und ihm einen Schwamm vors Gesicht gebunden, der mit den Säften von Alraune und Bilsenkraut und dem Pulver von Mohnsamen getränkt war. Dann hatte er die zwei kräftigsten Männer, die er im Publikum sah, mit seinem Dolch bedroht, dass sie in den Wagen kämen und den Jungen festhielten. Sorgfältig hatte er seine Hände in einer Schüssel mit Essigwasser gewaschen, ehe er die blutgetränkten Beinlinge des Jungen von der Bruech gelöst und heruntergestreift hatte. Dann hatte er saubere Leinwandbinden genommen und die zertrümmerten Beine mit der ganzen rohen Kraft seiner Chirurgenarme abgeschnürt - - -

      Der junge Bader atmete tief durch. Seit seiner Ankunft mochten gerade einmal fünf Minuten verstrichen sein. Vorsichtig wusch er das Blut mit verdünntem Wein fort und studierte die Verletzungen. Dann wickelte er Skalpelle und Knochensägen, die er auch nach kleinen Eingriffen wie dem Abtrennen einer erfrorenen Zehe stets sorgsam reinigte und in der Glut eines Feuers läuterte, aus einem großen, sauberen Lappen. Er ergriff ein damastgeschmiedetes arabisches Skalpell und wog es in der Hand. Der große hakim Abdhul ibn Mah’allah hatte es ihm geschenkt; damals; in einem andern Leben. Es war des Baders kostbarster Besitz.

      Mit sicheren Bewegungen amputierte Cornelis die rettungslos zerschmetterten Glieder und presste frisches Linnen auf die dicken Stümpfe, wieder und wieder, bis die Tücher sich nicht mehr rot färbten und die Blutung stand. Längst hatten der Schmerz und der Schock den Jungen in gnädige Bewusstlosigkeit gesenkt und die starken Männer hatten sich davongemacht. Der Bader ließ sie ziehen und versorgte ruhig die Wunden. Erst hinterher, als er den Brei von Fleisch, Blut und Knochen vom Tisch in einen Eimer wischte und sich und seinen Wagen reinigte, begann er am ganzen Leibe zu zittern. Es war eine Weile her gewesen, dass er so etwas noch getan hatte, und er hatte andere Ausrüstung gehabt. Er zitterte noch immer, als er in der Dämmerung den Inhalt seines Eimers auf einen von streunenden Hunden und wilden Schweinen umlagerten Abfallhaufen schüttete.

      Der Junge war ins Haus seines Meisters gebracht worden. Selbst wenn er überlebte, würde der Meister den unnützen Esser bald hinauswerfen.

      Wenn sein Lehrling aber starb, würde er den Bader töten.

      Sie hatten es beide überlebt. Der Leibarzt des Königs rückte den Bettler auf seinem Rücken zurecht und strebte einer Taverne zu. Er sehnte sich nach einem Becher Wein und einem guten Gespräch.

      Siebtes Kapitel

      Des Morgens früh schon hatten die Wirte ihre Türen geöffnet. Rauchige, weinselige Luft drang aus den niedrigen Schenken auf die lärmige Straße und mischte sich mit dem Dunst von Dung und Kehricht, der aus den Gossen aufstieg. Herausfordernd stand Hieronymus Grootland, der Schwanenwirt, vor seiner Wirtschaft, als gelte es, einen Händel auszufechten, breitbeinig und beleibt, die befleckte grobgewebte Schürze prall über dem mächtigen Bauch gespannt, einen Krug in der wulstigen Hand und ein breites Grinsen im geröteten Gesicht unter der schmierigen Kappe. „Hereinspaziert, ihr edlen Leut’, s’ist ein Festtag heut und ein Fest muss man feiern“, rief er heiser und gierig und vergnügt, „s’ist nicht alle Tag’ ein Ehrenbegräbnis in der Stadt. Kommt und trinkt auf den edlen Ritter Gabriel, trinkt!“ Und er stieß den hölzernen, mit einem eisernen Fassriemen umspannten Krug gen Himmel, dass das trübe Grutbier schäumend herausschwappte und seinen angenehm hefigen Geruch appetitlich über die Zuschauer verströmte.

      Kinder drängten sich zwischen der Menge hindurch zu dem Dicken vor, weil er lustig war und weil er ihnen manchmal ein Brötlein oder einen Pfennig zuwarf, wenn er in Stimmung war. Und das war er.

      Grootland wusste um die magische Wirkung, die ein großes Begräbnis auf die Leute ausübte – diese wunderliche Mischung aus bangem Erschauern und überströmender Festlaune, die Menschen unwiderstehlich anzog und in Bann schlug. Und er, Grootland, sorgte dafür, dass sie hereinströmten in seine Wirtschaft und die prickelnde Erregung mit ein paar Krügen Bier besänftigten oder anstachelten, ganz wie es ihrer Natur entsprach. Grootland kannte beides und er wusste damit umzugehen. Gut gelaunt kramte er ein paar Münzen aus seinem Gewand hervor und ließ sie wie Sommerregen über den Kindern niedergehen. Er konnte es sich leisten. Heute bestimmt. Der Trauerzug würde direkt vor seiner Wirtschaft passieren.

      Cornelis und Joris ergatterten die letzten freien Plätze. Behutsam setzte der Physikus seinen Freund auf der rohen Holzbank ab. „Suppe und ein Bier?“, fragte er. Joris Eijckhout nickte zufrieden, zog einen Lumpen aus seinem Hemd, spuckte darauf und rieb sich Hände und Gesicht sauber. Sie hatten einander lange nicht gesehen, aber der Arzt wusste es noch. Cornelis bestellte. „Und gebt ordentlich Fleisch hinein!“, rief er munter dem Wirt zu.

      Erst kürzlich war er wieder einmal mit Collega Delacourt, dem Leibarzt der Königin, aneinander geraten. Doch wenn er mit Joris zusammen war, konnte er gar nicht schlechter Stimmung sein. Fröhlich plauderte der Alte von den Kindern und der Frau und von den Geschäften, die gut gingen, wenn die Stadt so voll war.

      Das verschwitzte Schankmädchen setzte schwungvoll die Getränke auf den Tisch und der Arzt drückte ihr vier Kupfermünzen in die Hand, die sie hastig und froh in ihren Beutel warf. „Auf dein Wohl, Joris!“ Er hob den irdenen Becher mit rotem Wein. Joris tippte seinen Holzkrug dagegen. Sie tranken. „Ärger?“, fragte Joris und wischte sich Schaum von den Lippen. Cornelis sah auf den vergnügten Krüppel und winkte ab. Es war nicht wichtig. „Doctor Delacourt?“, half Joris nach. Cornelis zuckte mit den Schultern. Fast hatte er bei dem collega betteln müssen, um auch einen Blick auf den gefallenen Ritter werfen zu dürfen, dessen Tod Delacourt offiziell festgestellt hatte. Und dann hatte Delacourt ihn geradeheraus nach der Todesursache gefragt. „Der Stümper“, sagte Joris, als hätte Cornelis laut gesprochen. Der Arzt schüttelte den Kopf. „Er tut seine Arbeit, ich die meine“, erklärte er ruhig.

      Wie es um Gabriel stand, hatte Cornelis bereits gewusst, ehe er ihn in der Burg aufgebahrt fand. Er hatte den verehrten Ritter taumeln sehen, als die Königin, die nach der siegreichen Schlacht selber im Felde erschienen war, die stolzen Kämpfer gegrüßt hatte. Besorgt war der Arzt näher getreten. Der Ritter hatte die schwere Rüstung abgelegt. Kein Blut, keine Verwundung war zu sehen, doch Gabriels Gesicht war fahl und schweißbedeckt. Sein Atem ging flach und hastig. Cornel of Clovesborough kannte ihn gut genug, um zu sehen, dass er Schmerzen litt. „Ihr braucht einen Arzt, Ritter“, hatte er ohne Umschweife gesagt, jeder Etikette ungeachtet. Nie würde er den Blick von Gabriels fiebrigen Augen vergessen. Ernst und wissend hatte der Ritter ihm zugenickt. „Ich habe keine Zeit mehr“, hatte Gabriel van der Velde gewispert, „lebt wohl… Cornel…“ und war mühevoll aufgesessen und davongeritten.

      Stumm hatte der Arzt ihm nachgestarrt. Es würde nicht mehr lange dauern. Ein paar Stunden, ein paar Tage vielleicht. Die Wunden waren inwendig. Man konnte nichts tun. Cornelis’ starke Fäuste hatten sich um die blutige Schürze geballt. Gar nichts.

      Auch als Leibarzt des Königs arbeitete Cornel of Clovesborough draußen im Feldlazarett, wann immer es möglich war. Das war seine Bedingung gewesen, damals, als der alte König Rodewig ihm die Stellung angeboten hatte. Früh war der Königshof auf den fahrenden Engländer aufmerksam geworden, der Leben rettete, wo niemand es für möglich gehalten hatte. Früh hatte sich auch herumgesprochen, dass er keineswegs der ungelehrte Bader war, für den er sich ausgab. Dass er mit dem gemeinen Volk auf der Straße lebte, bitterarm wie dieses trotz seiner Kunst, störte den exzentrischen Rodewig nicht. Er brauchte einen Heiler, keinen Händler. So war Cornelis schließlich zum Leibarzt des alten Königs avanciert – dem ersten, der blieb. Nach dessen Tod wurde er der Physikus des jungen Königs, Andurkan. Doch er war immer auch der Chirurg und Feldscher geblieben, als der er einst begonnen hatte. Den Spott, den ihm das bei den werten collegae eintrug, ertrug er geduldig. Meistens jedenfalls.

      „Ihr esst nichts?“, fragte Joris und tauchte seinen Holzlöffel tief in die dampfende