Carolin Frohmader

Die Zeitlinie


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vollends die Sprache verschlagen. Sie hatte eine solche Entschlossenheit, mit derer sie mich anblickte und auch noch immer festhielt.

      «Deine Mutter soll das nicht hören. Niemand

      Heftiges Nicken meinerseits.

      «Es bleibt keine Zeit Linus, wahrscheinlich habe ich einen Fehler gemacht und zu lange gewartet», sagte sie sehr schnell. In meinem Kopf hakte ich eine Checkliste nach der Anderen ab und versuchte verzweifelte eine Anamnese zu erstellen. Vergebens. Himmel, welche Krankheit hatte sie uns nur vorenthalten.

      Sie sprach schnell weiter. «Der Weg ist noch lang und ich weiß nicht welche Unwägbarkeiten Dir noch begegnen. Sei auf der Hut, aber lass es Dir nicht an Mut fehlen. Handel entschlossen aber mit Bedacht. Gib Acht wem Du vertraust, aber geh zurück nach Hause. Damit meine ich nicht dein Köln, damit meine ich nichts, was du je vorher gesehen oder erlebt hast. Doch ich muss Dich der Herausforderung überlassen, es selbst heraus zu finden und ich muss Dich dazu drängen. Dein Vater war leider nicht die Hilfe, die ich mir ersehnt hatte, darum ruhen all meine Hoffnungen auf Dir.»

      Dumpfes Geklapper mit Geschirr drang aus dem Haus. Oma hielt kurz inne und ihre Augen zuckten, verloren aber nicht ihren Fokus: Mich.

      «Ich weiß nur zu gut was es ist. Es ist Segen und Fluch. Privileg und Bürde. Es liegt nun an Dir heraus zu finden was das Richtige ist und wie das Schlimmste verhindert werden kann. Und hier kommt der einzige Hinweis den ich Dir geben kann: Finde Aenlin! Tu es Linus, Du bist vielleicht die letzte Chance die wir haben!»

      Vielleicht war sie auch schlichtweg verwirrt. Ihre scharfe Ansprache passte mit nichts zusammen, was ich je zuvor von ihr gehört hatte. Die schwelende Panik in ihren Augen ließ mich an diesem sonnigen Tag frösteln.

      Unwillkürlich schnappte ich nach Luft. «Oma, ich...» Sie ließ meine Handgelenke wieder los und kehrte zu ihrer eingefallenen Sitzposition zurück.

      «Wovon...», setzte ich an, doch wurde jäh unterbrochen.

      «Frischer Kaffee», trällerte meine Mutter und stellte eine volle Kanne auf den Tisch. Die Stille war erdrückend und sie entging auch meiner Mutter nicht. Sie sah uns lange an aber hielt inne. Sie sah abwechseln meine Großmutter und mich an.

      «Alles in Ordnung bei euch?», wollte sie wissen.

      «Linus fühlt sich nicht wohl. Der arme Junge ist völlig überarbeitet», gab meine Oma zum besten. Mir klappte lediglich der Unterkiefer herunter. Üblicherweise war ich um keinen Spruch oder Erklärung verlegen, doch seiner Großmutter zu widersprechen, bei der man sich nicht sicher war, ob sie entweder nur alt und verwirrt oder durch und durch durchtrieben und beängstigend war, widerstrebte meinem gesunden Menschenverstand. Also hielt ich den Mund. Und mir dann den Bauch.

      «Uh», brummte ich. Meine Oma verzog keine Miene.

      Mein vermeidlich gestresster Magen ermöglichte mir einen spontanen Aufbruch. Mit einigen Beuteln Kümmel-Fenchel-Anis-Tee schob ich mich aus der Haustür. Nun war es an mir verwirrt zu sein. Von meiner erwarteten Erholung und Klarsicht war ich weit entfernt. Im Gegenteil. Meine Großmutter hatte mich zu tiefst erschreckt und noch immer hatte ich keine blasse Vorstellung, was ich von ihrem Vortrag halten sollte. Wusste nicht, wie ich das Pit erzählen sollte, wusste nicht einmal was ich darüber denken sollte.

      Vor dem Krämerschen Lavendel blieb ich kurz stehen und noch immer keine Spur von Frau Krämer und ihrem Gartenstuhl. Mit etwas Glück gelang mir auch der Rückweg unbehelligt.

      Die Hände tief in die Taschen vergraben lehnte ich mich rücklings an meinen Wagen. Die Satzfetzen sausten mir durch den Kopf und Himmel nochmal, sie waren mir völlig schleierhaft.

      «Wie nicht mein Köln? Wo gibt's denn noch ein anderes?», murmelte ich vor mich hin. «Mich in Acht nehmen?», brummte ich weiter. «Herausforderung? Segen und Privileg. Fluch und Bürde? And what the fuck is Aenlin?» sagte ich lauter und noch immer ahnungslos.

      «Aenlin?», fragte Pit, der plötzlich hinter mir auf der anderen Seite des Wagens stand.

      «Schonmal gehört?» fragte ich Pit und erwartete schon keine Antwort. Pit zuckte kurz mit den Schultern.

      «Dafür was anderes.» Er hielt einen ungeöffneten Briefumschlag hoch. «Der Wisch vom Nachlassgericht.»

      «Na los. Aufmachen!», forderte ich ihn auf. «Immerhin hatte der alte Dernbach einen Nachlass.»

      Pit zögerte nicht mehr länger und riss den Umschlag auf. Er überflog die Zeilen des mehrseitigen Inhaltes und blätterte immer wieder durch. Allmählich wurde ich ungeduldig. Mein Bedarf Rätselraten war bereits gedeckt.

      «Und?», fragte ich langgezogen. Pit schüttelte nur den Kopf.

      «Versteh ich nicht. Wenn das stimmen soll, dann sind Miranda und ich Alleinerbe.» Pit hörte nicht auf die Blätter zu drehen und zu wenden.

      «Zeig her.» Ich langte über das Wagendach und zupfte Pit den Brief aus den Händen. Aufmerksam las ich die Abschrift des Protokolls der Testamentseröffnung.

      «Gratulation. Ihr seid tatsächlich Alleinerbe des gesamten Hauses. Sprich der Backstube, der Wohnung darüber und die Gartenlaube. Eine Garage hinter dem Haus gehört auch noch dazu. Das Haus ist sogar ohne Hypothek. Keine Kinder oder andere lebende Verwandte. Der alte Dernbach hatte keine Schulden, die Du dir damit ebenfalls aufhalsen würdest. Aber kein Wunder, auf so kleinem Fuß wie er gelebt hat.»

      Bis zuletzt hatte der alte Herr in der Gartenlaube gelebt. Der kleine ebenerdige Raum hatte ihm keine körperlichen Anstrengungen mehr abgerungen.

      «Und eine Barschaft von rund 165 Euro und 23 Cent», beendete ich die Aufzählung von Pits neuem Besitz. Dem stand allerdings der Schweiß auf der Stirn und seine blassen Wangen waren knallrot angelaufen.

      «Dieser alte Hund», bellte Pit und legte darauf hin einen Freudentanz auf den Asphalt.

      «Ich würde das Erbe wohl antreten», rief ich ihm zu. Pit wirbelte über die Straße und reckte sein Arme immer abwechselnd nach oben und zur Seite. Ein bisschen wie ein Nichtschwimmer im kalten Freischwimmerbecken.

      Seine Erleichterung war ihm gegönnt und die Existenz von ihm und Miranda war nicht mehr akut gefährdet. Wenigstens konnte ich an dieser Front beruhigt zurück nach Köln fahren.

      Pit schwatze mir euphorisch ein Stück Schokoladenkuchen auf. Seine Talent zum Konditor war nicht zu übersehen. Oder zu überschmecken. Er hatte wirklich Glück, dass der alte Dernbach einen Narren an ihm und Miranda gefressen und ihnen alles hinterlassen hatte.

      «Warst Du schon mal in der Laube?», fragte ich Pit und war bemüht meine Zähne von der klebrig köstlichen Schokolade zu befreien.

      Pit schüttelte kurz den Kopf. «Nicht drin, nur wenn ich Dernbach Brot gebracht hab oder er Kuchen wollte. Drinnen war ich nie. Wozu auch? Von der Tür konnte ich schon alles sehen was es in dem Raum zu sehen gibt. Nichtmal eine Fernseher hatte er da.» Pit rümpfte die Nase.

      Mein Rucksack mit den Büchern lag noch immer unberührt auf dem Rücksitz, als ich meine Reisetasche wieder daneben warf.

      «Lieben Gruß an Miranda!»,rief ich Pit noch durch das geöffnete Fenster zu, eh ich am folgenden Sonntag Nachmittag davon fuhr.

      Der Plan war es, sich noch von meinen Eltern und meiner Großmutter zu verabschieden, diese war jedoch bereits zurück nach Koblenz gefahren. Es überraschte mich auch nicht mehr so, wie es es noch 36 Stunden zuvor getan hätte. Der Fahrdienst, den sie immer beauftragte, hatte sie bereits abgeholt, als ich hinter dem Landrover in der Einfahrt parkte.

      Auf der Landstraße, noch weit entfernt von der Autobahn fummelte ich meine Handy aus der Hosentasche und war entschlossen meine Oma anzurufen um mich endlich zu vergewissern, dass es ihr gut ging. Vielleicht würde ich auch nochmal fragen, was genau sie mit dem ein oder anderen Teil unserer gestrigen Unterredung gemeint hatte.

      Es klingelte. Eine Ewigkeit. Einen Anrufbeantworter oder ein Handy besaß sie natürlich nicht. Niemand nahm ab.

      In