Eva Markert

Bizarre Blüten


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      Als Vater und ich uns gerade wieder aufs Sofa setzen wollten, lief jemand mit festen Schritten durch den Flur. Es klang, als ob Mutter nach Hause gekommen wäre. Vater dachte offenbar dasselbe. Er wurde blass.

      Ich legte den Finger auf die Lippen, nahm ihn bei der Hand und zog ihn zur Tür. Mit einem Ruck riss ich sie auf und schaltete das Licht ein.

      Im Korridor war niemand zu sehen. Nur ein Mantel an der Garderobe schaukelte heftig, als ob ihn gerade jemand angestoßen hätte. Mein Mantel. Während wir noch darauf starrten, glitt er vom Bügel. Wie eine leere Hülle lag er auf dem Boden. Etwas Silbernes war aus der Tasche gefallen. Wir stürzten gleichzeitig darauf zu.

      Vater war schneller. „Was ist das für ein Schlüssel?“

      Ich zuckte die Schultern.

      „Du musst es doch wissen! Schließlich steckt er in deiner Manteltasche.“

      Ich dachte kurz nach. „Jetzt fällt es mir wieder ein. Es ist der Zweitschlüssel zu Mutters Wagen. Ich hatte mir das Auto ausgeliehen. Aber bevor ich ihr den Schlüssel zurückgeben konnte ...“ Ich brach ab. Auf meinem Gesicht konnte ich sie förmlich spüren, die heißen Fragen, die in seinen Augen brannten.

      Wir brauchten beide Ruhe und beschlossen, früh schlafen zu gehen.

      Rastlos wälzte ich mich im Bett. Oft wusste ich nicht, ob ich wach war oder träumte. Ich sah Mutter vor mir, wich im Geiste vor ihrer hageren Gestalt zurück, duckte mich unter ihrer herrischen Stimme. Wie hatten wir darunter gelitten, dass sie unserem Geheimnis auf die Spur gekommen war!

      Und dann kam mir diese geniale Idee! Es hatte alles geklappt wie am Schnürchen. Als uns die Nachricht von ihrem Tod erreichte, hätte ich jubeln können.

      Plötzlich wurde die Tür aufgestoßen und Licht flammte auf. Vater stand im Türrahmen, die Augen weit aufgerissen. Er stammelte etwas, was ich nicht verstehen konnte.

      Ich setzte mich im Bett auf und streckte die Arme nach ihm aus. Er taumelte auf mich zu, ich zog ihn zu mir herunter, küsste und streichelte ihn. Langsam beruhigte er sich.

      „Ich habe Mutter gesehen“, wisperte er mir schließlich ins Ohr.

      „Du hast geträumt.“

      Er machte sich von mir los. „Das war kein Traum. Sie sah merkwürdig fremd aus, und trotzdem habe ich sie sofort erkannt.“ Er stockte. „Sie wollte mir etwas zeigen. Sie deutete immerzu auf ihre Schläfe.“

      „Und?“

      Vater schaute mich an. Seine Finger spielten unruhig mit dem Bezug der Bettdecke.

      „Da war eine rote Stelle“, flüsterte er. „Ein Fleck, verstehst du?“

      „Nein.“

      Aber das stimmte nicht. Ich verstand ganz genau.

      Vaters geflüsterten Worte waren kaum zu verstehen. „Auch der Gerichtsmediziner hat es erwähnt.“

      „Was?“

      „Den Insektenstich und dass sie allergisch gewesen sein muss.“

      „Na und?“, fragte ich.

      Vater holte tief Luft. „Dir ist klar, was das bedeutet. Und mir auch.“

      Ich schwieg. Was sollte ich dazu sagen? Natürlich wusste ich genauso gut wie er, dass Mutter hysterische Angst vor Wespen gehabt hatte, weil sie allergisch gegen ihr Gift war. Hochallergisch sogar.

      „Mit Cola lockt man Wespen an.“ Vater sprach fast wie in Trance. „Und mit einem Zweitschlüssel öffnet man Autotüren.“

      Er ahnte es also: dass ich die Wespen in ihr Auto geschmuggelt hatte. Vielleicht sechs oder sieben. Und dann war es sogar noch besser gelaufen, als ich gehofft hatte: Die Viecher erschreckten sie zu Tode auf der schmalen, steilen Straße, die von unserem Haus in den Ort hinunterführte. Im wahrsten Sinne des Wortes. Ihr Wagen stürzte in den Abgrund und sie starb – ob an dem Wespenstich oder an ihren Verletzungen, war letztendlich unerheblich.

      Ich starrte stumm vor mich hin. Vater schwieg ebenfalls.

      Dann riss ich mich zusammen. „Komm mit!“ Ich stand auf und zog ihn hoch. Hand in Hand gingen wir zum Elternschlafzimmer hinüber. Vor der Tür blieb er unschlüssig stehen. Entschlossen drückte ich die Klinke hinunter.

      Der Raum war so stickig, dass mir die Luft wegblieb. Wir standen dicht aneinandergedrängt in der dumpfen Stille und blickten uns um.

      Aus einer Zimmerecke raste plötzlich eine dunkle Gestalt auf uns zu und trieb uns auseinander.

      Vater schrie auf.

      Ein Knurren erfüllte den Raum.

      Er griff hilfesuchend nach meiner Hand. Ich erschrak, seine Finger waren so kalt wie die eines Toten.

      Die strengen Gesichtszüge meiner Mutter tauchten vor uns auf. Ich erkannte die harten Linien, die sich von den Nasenflügeln bis zu den Mundwinkeln hinunterzogen. Deutlich sah ich auch den flammend roten Fleck auf ihrer rechten Schläfe. Dicht vor unseren Augen verzerrte sich das Gesicht zu einer zornigen Fratze und verschwamm.

      Vater schrie erneut.

      Ich legte meinen Arm um ihn und drückte ihn an mich.

      Wie ein kalter Schatten fiel etwas von der Decke auf uns herab. Ein Sausen umgab uns.

      Ich erhob meine Stimme. „Vater hat es begriffen. Er weiß, wie du gestorben bist.“

      Das Brausen schwoll an.

      Ich küsste ihn mitten auf den Mund. „Doch er wird mich schützen“, schrie ich, um das Jaulen zu übertönen, das unseren Kuss begleitete. „Niemand wird es je erfahren. Es bleibt unser Geheimnis. Wie noch so manches andere.“

      „Im Leben konnte sie uns nicht trennen“, flüsterte Vater mir ins Ohr, „und auch im Tode wird es ihr nicht gelingen.“

      „Hast du gehört, was er gesagt hat?“ Meine Stimme überschlug sich. „Du hast verloren.“

      Die Geräusche verebbten. Schließlich war nur noch ein leises Zischen zu vernehmen. Die schwarze Wolke, die uns umgab, wurde hauchfein und durchsichtig.

      Ich fasste Vater da an, wo er es gern hatte. Das gab ihm noch mehr Kraft.

      „Verschwinde!“, rief er mit heiserer Stimme.

      Der rauchige Schatten zerplatzte. Graue Dunstfetzen schwebten durchs Zimmer und lösten sich schnell auf.

      Vater öffnete das Fenster und kühle Luft strömte zu uns herein.

      In dieser Nacht schliefen wir zum ersten Mal miteinander im Ehebett.

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