Anna Lohg

Am Rande. Eine Bemerkung


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hinweg, der die Tanzfläche bildete, weil es den ganzen Tag geregnet hatte. An jenem Abend warf sie dem adretten Sohn des Bürgermeisters kaum verschämte Blicke zu, seine Aufmerksamkeit wollte sie erregen, und ja, er zeigte sich erregt. Von meinen Großvater nahm sie keine Notiz, wie auch, dort hinter all den Blechblasinstrumenten.

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      Es war Mias erstes Fest im Dorf, das erste, welches sie endlich alleine besuchen durfte, jetzt, kurz nachdem sie das Internat verlassen hatte. Dort hatte sie ihre gesamte Schulzeit verbracht und auch einen Beruf erlernt, versteckt im Wald zwischen Hügeln, in einem der zahllosen Frauenklöster der Gegend. Eine vergnügliche Zeit ist es ihr gewesen, unter lauter Mädchen, feste, beste Freundinnen, die ihre Vorlieben miteinander teilten. Ihre Mutter hatte sie und ihre jüngere Schwester Agnes, die beiden einzigen Kinder, dorthin geschickt, dafür allen Grund verkauft, sich sogar Brot, Butter sowieso, vom Mund abgespart, um den Mädchen diese kostspielige Erziehung zu gönnen. Nur eine rechte Bildung könne Unabhängigkeit ermöglichen, sollten wenigstens ihre Töchter emanzipierte Frauen werden. Nun mag sich Emanzipation kaum entfalten können, zwischen keuschen Bräuten eines polygamen Sohn Gottes, aber letztlich war es die weltliche Herrschaft, welche für die Frauen nur die Unmündigkeit bereit hielt. Nach Recht und Gesetz sei das Weib dem Manne untertan, sie bringe ihn auf die Welt, gebe ihm die Brust, pudere ihm das Popöchen und halte ihm sodann die Beine breit hin, damit er eitel seine Macht geniesse. Und um seine armselige Überlegenheit zu festigen, werde die höhere Bildung nur Auserwählten gewährt, damit die sich dann rühmen können, wie ungebildet alle anderen seien, lenkt das nämlich ungemein von der eigenen Unzulänglichkeit ab. In diesen Verhältnissen hatte Mias Mutter keine andere Wahl und mit der kargen Rente einer Witwe durch irgendeinen verlorenen Krieg blieb ihr auch sonst nicht viel übrig. In diesem Kloster könnten ihre Töchter zumindest mehr lernen als in der Dorfschule, dort könnten sie zudem eine Ausbildung machen und all dies fern ab vom anderen Geschlecht, welches die Mädchen unweigerlich auf die schiefe Bahn bringen würde. Das hatte sich Mias Mutter so ausgerechnet, jedoch kann selbst das schlüssigste Kalkül stramm an der gestellten Aufgabe vorbei schlittern.

      Zuerst ging die Rechnung mit Agnes nicht auf. Die hatte sich an einem Wochenende, vom Internat zu Besuch zu Hause, mit dem Sohn vom Klempner auf irgendeinem Heuboden vergnügt und davon einen dicken Bauch bekommen. Ihre Mutter seufzte, hatte sie doch genau das verhindern wollen. Agnes brach ihre klösterliche Ausbildung zur Haushälterin vorzeitig ab und heiratete, ausgerechnet den Sohn vom Klempner, klagte ihre Mutter, wenn schon eine Partie, dann wenigstens eine lohnende.

      "Du musst nicht heiraten. Ich kann dir mit dem Kind helfen.", bot ihr die Mutter an. Ein großzügiges Angebot, galten doch Leibesfrüchte als sakramentale Angelegenheit, entsprechend kamen uneheliche Kinder einem Aussatz gleich, geduldet nur als Frucht einer unbefleckten Empfängnis. Aber Agnes lehnte ab, sie fand den Sohn vom Klempner, der später selbst einer werden sollte, vorerst ganz flott, bloß Kinder waren nicht so richtig ihre Sache, obschon sie einige davon bekommen sollte. Die Mutter schüttelte den Kopf und sollte es nicht verstehen, es würde ihr fortan zur Angewohnheit werden, verständnislos schweigend den Kopf zu schütteln. All die Mühe, all ihre Opfer und es hatte doch nichts genützt, aber Emanzipation bedeutet eben auch die Freiheit sich nicht zu emanzipieren.

      Der Vater von Mia und Agnes war im Großen Krieg gefallen, wie so viele andere irgendwie gestolpert und gestorben, ungefähr als die Mutter unter höllischen Schmerzen Agnes auf die Welt brachte. Da saß sie dann mit zwei kleinen Kindern ganz alleine im Haus des verstorbenen Gatten, als hätte er sich aus der Verantwortung gezogen, viel lieber Krieg gemacht als Hausarbeit. Ab und zu kam ihr ein Zottel mit Ziege zu Hilfe, wenn er in ihrer winzigen Scheune übernachtete, reparierte er danach wortlos auch mal eine Tür oder notdürftig das kleine Dach. Jedenfalls nahm sie sich ein Kleid aus dem Schrank und zog es an, von den Füßen bis zum hoch zu geköpften Kragen ganz in schwarz. Wie einen einsamen Lichtfleck trug sie dazu eine Brosche, aus silbrigen Fäden eine ziselierte Blume. Schon bald nach dem Großen Schlachten sollte ihr der eine oder andere Heiratsantrag gemacht werden, von Heimkehrern ohne Heim, waren es Angebote der gegenseitigen Hilfe. Sie aber wimmelte stets ab, murmelte irgendwas von ewiger Treue und wahrte mit der Trauer doch nur ihre Unabhängigkeit. Eine schwarze Witwe, die für ihre Töchter ein anderes Schicksal vorgesehen hatte. Nachdem Agnes dem Kreislauf von Empfängnis, Heiraten und Gebären nicht entkommen wollte, blieb der schwarzen Witwe noch eine Tochter übrig, wie die einzig verbliebene Hoffnung: Mia.

      Und tatsächlich gab die liebe Mia einen hoffnungsvollen Schimmer ab. Als sie von Agnes Absicht erfuhr, den Sohn vom Klempner zu heiraten, verdrehte sie die Augen.

      "Stellt euch das vor.", sagte sie zu ihren besten, festen Freundinnen im Kloster. "Stellt euch das vor, meine Schwester will den Sohn vom Klempner heiraten!" Sie sagte das durchaus abwertend, als würde der Sohn von einem Klempner mindestens nach Kloake riechen. Mia wollte auf gar keinen Fall einen Klempner heiraten und außerdem auch sonst niemanden, davon hielt sie ihr Dünkel ab.

      Ihre Ausbildung beendete Mia mit Überzeugung, denn die war ganz ihre Sache. Das Kloster bot den Mädchen zwei Lehrgänge an, ihrem Geschlecht gemäß, also naturgegeben, durften sie zwischen Hauswirtschaft und Schneidern wählen, das sei eine freie Entscheidung. Dazwischen ergab es nämlich keinen Sinn, wenn sich Frauen an Motoren ihre Fingerchen schmutzig machten oder sich selbige an Hochöfen unvermeidlich verbrennen würden, schließlich müssten alle Frauen irgendwann stillen, wickeln, putzen, kochen und eine Ausbildung sollte doch zwingend auf das wahre Leben vorbereiten. Natürlich erschien Hauswirtschaften und Schneidern als überaus simple Tätigkeiten, so erschienen zwangsläufig auch Frauen als überaus simpel, also naturgegeben dümmer. Das wiederum ergab so viel Sinn, dass noch heute reichlich davon übrig ist. Mia sollte sich damit jedoch nicht aufhalten und sich für das Handwerk des Schneiderns entscheiden, sie würde eine überzeugte Schneiderin in eigener Sache werden. Ohne Frage lernten die Mädchen im Kloster nur Schürzen nähen, rauf und runter, Gardinen abmessen, Socken stopfen, Deckchen häkeln und lauter so ein feminines Zeug, doch Mia hatte nur Fransen im Kopf, Röcke mit Schlitz, Kleider mit Ausschnitt, Unterwäsche mit Spitze.

      Und auf ihrem ersten Fest führte sie es aus, dieses blaue, weiß gepunktete, unglaublich befranste Kleid, selbst zusammen geschneidert aus Resten von Schürzen und Gardinen, versehen mit einem recht langen, es hieß, gewagten Schlitz und einem tiefen Ausschnitt, damit die Spitze darunter großzügig zur Geltung käme. War das nicht herrlich? Vor allem, weil so viele hinschauten, sich mit ihr an ihrem unvergleichlichen Kleid ergötzen konnten. Das war es, was Mia Freude machte, Aufmerksamkeit erregen, Geld wollte sie mit ihrem Können nicht verdienen. Vielleicht, wenn ihre Mutter sie nicht in ein Kloster verbracht hätte, wäre Mia dem gewöhnlichen Lauf gefolgt, hätte hinter einem der Bäume einen verschämten Treueschwur ewiger Liebe abgegeben, beizeiten irgendwen geehelicht und sich an speckigen Schürzen kein bißchen gestört. So aber schien es, als hätte sich Mia an zu vielen einheitlichen Trachten förmlich satt gesehen, wäre ausgerechnet im Kloster dem schönen Schein verfallen. Und so trug sie nun mit Hingabe ausgefallene Kleider, ging mit Leidenschaft auf jedes Fest, musterte jeden stattlichen jungen Mann, um mit jedem einzelnen möglichst augenfällig zu tanzen, hätte hinter einem der Bäume ihre Garderobe wohl kaum Beachtung gefunden.

      Ihr Handwerk stellte sie aber nicht nur auf den verstreuten Festen zur Schau, denn eine Frau von heute konnte sie doch jeden Tag sein. Für einen kurzen Gang zum Bäcker, zum Metzger am Rand des Dorfes, zum Friedhof, in die Kahtedrale, stets machte sich Mia zurecht. Sie tauschte ihre klobigen Holzschuhe gegen ein immer glänzend poliertes Paar ein, Prachtexemplare aus feinem schwarzen Leder und mit dürren Absätzen, die sie geschenkt bekommen hatte und die ihr nicht wirklich passten. Die speckige Schürze tauschte sie gegen eines ihrer befransten Kleider, später setzte sie noch Hüte auf, selbst gemachte, ziemlich große Hüte. Nachgerade formvollendet hergerichtet stakse sie durch das Dorf, um ein Laib Brot zu kaufen, was auch immer, eine Beinscheibe für die Suppe am Sonntag, um das Grünzeug auf den Gräbern der Gefallenen zu gießen, ein Stoßgebet gen Himmel fahren zu lassen. Mia nutzte jeden Anlass. Im Dorf hatte sie schnell den Ruf weg, ein wenig überkandidelt zu sein, wiewohl sie nicht weiter aufgefallen wäre, hätten alle ihre Lehm verkrusteten Holzschuhe und löchrigen Kittel gegen eleganten Zwirn getauscht. Aber ihr war es allemal einerlei, in farbenfroher