Monica Davis

Nick aus der Flasche


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darin: wenn sie an ihrem Laptop saß, ein Buch las, einen Film guckte, Musik hörte oder aus dem Fenster starrte, das sie von hier aus gut im Visier hatte. Sie sah zwar bloß den Himmel, aber wenn man vor sich hinträumen wollte, war das ein perfekter Anblick.

      Wie so oft stahl sich Josh in ihre Gedanken, sein blondes Haar, die blauen Augen und seine große, trainierte Figur. Wie er Angelica heute angegrinst hatte!

      Ablenken … An ihn zu denken würde sie nur frustrieren. Daher musterte sie die wunderschöne Flasche und fuhr in Gedanken die eingravierten Linien nach, die sich wie ein Flammenmuster über den Bauch zogen. Ob Mr. Solomon darin etwas aufbewahrt hatte?

      Julie setzte sich auf und nahm die Flasche in die Hand. Erneut wunderte sie sich, wie schwer sie war. Vielleicht war sie ja bis zum Rand mit Sand gefüllt und gluckerte deshalb nicht? Oder mit Goldstaub?

      Vorsichtig zog sie an dem metallenen Korken, doch der bewegte sich keinen Millimeter. Die daran befestigte Kette klirrte leise, als sie gegen das Silber schlug.

      Womöglich war das eine Zierflasche und die ließ sich nicht öffnen?

      Julie versuchte es abermals, wobei sie diesmal an dem Pfropfen drehte. Nach einem festen Ruck bewegte er sich und sie konnte ihn herausziehen.

      Neugierig schnüffelte sie an der Öffnung, doch sie roch nichts.

      Als sie hineinsehen wollte, drang plötzlich blauer Rauch aus der Flasche. Hastig stellte sie das Gefäß zurück auf das Tischchen und lehnte sich im Bett zurück; ihr Herz klopfte wild.

      Verdammt, was für ein Zeug befand sich darin? Irgendeine giftige Chemikalie?

      Mit angehaltenem Atem wollte Julie die Flasche wieder verschließen, als die Rauchsäule immer größer wurde, in der Luft einen Bogen machte wie ein umgedrehtes U und auf den Boden zusteuerte.

      Verwundert stieß sie die Luft aus. Das widersprach den Gesetzen der Physik, oder? Aber Julie konnte sich darüber nicht den Kopf zerbrechen, weil immer mehr Dunst aus dem Flaschenhals quoll. Verdammt, was war das? Was, wenn das Zeug ihren Teppichboden in Brand steckte?

      Sie sah bereits das Haus in Flammen aufgehen und stand kurz davor, nach Mom zu schreien und den Feuerlöscher zu holen, als der blaue Rauch plötzlich eine Gestalt annahm. Nun wand sich kein weiterer Dunst mehr aus der Flasche, sondern er ballte sich wie eine ein Meter große Kugel über dem Boden zusammen, verdichtete sich, änderte die Farbe … und auf einmal kniete vor ihr ein Mensch.

      Julie zwinkerte. Nein, oder? Das träumte sie doch! Ihr Herz raste so schnell, dass sie befürchtete, es könne versagen; ihre Finger krallten sich in die Bettdecke.

      Vor ihr kniete jemand, der außer einer Jeans nichts am Leib trug. Einer schmutzigen Jeans mit weit ausgestellten Beinen. Julie erkannte einen nackten, mit rötlichen Striemen überzogenen Rücken und schmutzige Hände, die über ihren Teppich strichen. Wirres hellbraunes Haar reichte der Person bis zum Kinn, und als sie aufschaute, stockte Julie der Atem. Das war ein junger Mann. In ihrem Zimmer. Vor ihren Füßen!

      Grüne Augen musterten sie einen Moment, bevor er seinen Blick durch den Raum gleiten ließ.

      »Wo ist Meister Solomon?«, fragte er.

      Ja, der Typ klang eindeutig menschlich. Männlich! Und hörte sich real an.

      Ihr versagte die Stimme. Sie konnte bloß auf den Kerl starren, der schätzungsweise nicht älter als Connor war, also höchstens neunzehn, vor ihrem Bett kniete und den Teppichboden befühlte.

      »Ich bin nicht im Haus meines Meisters.« Er reckte den Hals und schaute sich um, blieb aber weiterhin am Boden. »Hat Meister Solomon mich an Euch verkauft? Seid Ihr meine neue Herrin?«

      »Meister?« Julie schluckte. Vor Aufregung brachte sie kaum ein Wort hervor. »D-du meinst Mister Solomon? Er ist tot.«

      »Tot?« Seine Augen wurden groß und leuchteten regelrecht. Sie waren so grün! Vielleicht wirkte ihre Farbe auch deshalb so intensiv, weil sich der Kerl schon seit Tagen nicht mehr rasiert hatte. Der kurze Bart stand ihm, gab ihm etwas Verwegenes. Der junge Mann war nicht Josh, aber er hatte eine Ausstrahlung – wow!

      »Hm. Mausetot.« Julie nickte. Was hatte Mom bloß in die Muffins getan?

      Der Junge blieb weiterhin am Boden knien und sah sich um. »An wen ist sein Besitz gegangen?«

      »An die Wohlfahrt.«

      Seine Brauen zogen sich zusammen. »Und Ihr seid von der Wohlfahrt?«

      Sie schüttelte den Kopf.

      »Von wem habt Ihr die Flasche?«

      »Mrs. Warren hat sie mir geschenkt.«

      »Und sie ist von der Wohlfahrt?«, fragte er, wobei er den Kopf leicht schief legte.

      Sie nickte erneut.

      »Dann gehöre ich jetzt Euch, Herrin.«

      Herrin?!

      Vorsichtig tippte sie den Jungen an der Schulter an. Fühlte sich echt an. Warm und lebendig. »Wer bist du? Was bist du?«

      »Ein Flaschengeist.«

      »Ja, genau!« Julie lachte schrill und sprang auf. »Hier will mich bestimmt jemand verarschen!« Wo war die versteckte Kamera?

      Ruhelos wanderte sie im Zimmer umher, während sich der junge Mann nicht von der Stelle rührte, lediglich den Kopf drehte.

      »Dann zeig mir doch mal, was du kannst«, sagte sie. »Verwandle dich in einen Frosch.«

      Er rieb sich über die Stirn, als hätte er Kopfweh, und erwiderte: »Ich glaube, ich kann nicht zaubern, falls Ihr das meint.«

      »Bitte sag Du und nenn mich nicht Herrin!« Das alles war zu kurios.

      »Wie du wünschst.«

      »Du glaubst also, nicht zaubern zu können?« Ihre Stimme wurde immer lauter. »Natürlich nicht, das wären dann zu viele Spezialeffekte, was?«

      »Ich kann aber jedem neuen Besitzer drei besondere Wünsche erfüllen. Und du kannst mir Befehle geben«, erklärte er zerknirscht, als ob er das nicht sagen wollte, jedoch dazu gezwungen war.

      »Das träum ich jetzt, oder?«

      Der junge Mann schüttelte den Kopf.

      Sie konnte ihm also Befehle erteilen? »Zurück in die Flasche mit dir!«

      Gequält schaute er sie von unten herauf an und flüsterte: »Bitte nicht«, als er sich schon auflöste und die blaue Rauchsäule denselben Weg zurücknahm, wie sie herausgekommen war.

      Als der letzte Rest in der Flasche verschwunden war, drückte Julie sofort den Stöpsel in die Öffnung und atmete tief durch.

      Wow, es hatte funktioniert! »Ihr seid gut. Richtig gut! Und jetzt könnt ihr rauskommen, die Show ist vorüber!« Sie starrte auf die Tür, doch nichts passierte. Kein Filmteam stürmte ihr Zimmer, alles blieb ruhig.

      Ihre Knie waren butterweich, woraufhin sie sich aufs Bett plumpsen ließ. Hart klopfte ihr Herz bis in den Hals und ihre Hände zitterten.

      Was, wenn das wirklich kein Traum war und sich ein junger Mann in dieser Flasche befand? Einer, der ihr tatsächlich Wünsche erfüllen konnte? Vielleicht hatte das Universum von ihrem Liebeskummer genug und hatte ihr deshalb diesen Flaschengeist geschickt?

      Josh und sie … zusammen.

      Langsam streckte sie einen bebenden Arm aus und öffnete die Flasche ein zweites Mal.

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