Michael Tycher

Irma


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(Kalifornien) 1972

       Berlin

       München

       Berlin

       Hamburg

       Berlin

       Langley (Virginia)

       Nähe Putlitz

       Langley (Virginia)

       Nähe Talkau

       Berlin

       Nähe Talkau

       Langley (Virginia)

       Rechtenbach (Spessart)

       Berlin

       New York

       Berlin

       Hamburg

       Nachwort

       Impressum neobooks

      New York

      Winzig wirken die Miniaturbäume im Kontrast zu den beiden Wolkenkratzern. Die Ecke Albany Street und South End Avenue gehört zur Battery Park City am südlichen Ende Manhattans nicht unweit vom World Trade Center und ist eines der besseren Büroviertel in New York City. Hier werden unfassbare Gewinne erzeugt und Reichtum gesammelt, Kriege angezettelt und Börsen beeinflusst. Jeden Morgen, wenn Caiden die Büroräume der LCSCN Consulting Group betritt, Fahrer und Limousine sich entfernen, schüttelt er den Kopf über diese lächerlichen Straßenbäume.

      Caidens Aufstieg begann als Investmentbanker, mit ein paar geschickten Schachzügen und mit schmierigen Kontakten zu Politik, Militär und Kultur machte er sich in den achtziger Jahren selbstständig und sahnte glänzende Gewinne ab. Nach wenigen Jahren galten seine Investitionsstrategien als bares Gold. Es waren nicht nur sein goldenes Händchen und die hervorragenden Verbindungen, die ihm immer zum Erfolg verholfen haben. Es war auch der Wille, Dinge zu steuern oder zumindest so weit zu beeinflussen, dass Profite entstehen konnten. Vorzeitige Kenntnisse und die passende finanzielle Investition seiner Klienten bei einem Militärputsch in Südamerika oder einem Umsturz in Afrika und schon wurden Rohstoffe anders bewertet. Ja, Caiden hatte das Abzocken im Griff, der zweimalige Crash an den Börsen zählte zu seinen besten Zeiten, zumindest finanziell. Es wurde Kasse gemacht. Jetzt steht die LCSCN Consulting Group mit ein paar Partnern, die in Caidens Augen bessere Deppen sind und minimale Anteile am Ganzen besitzen, bestens aufgestellt da und greift nach den Gewinnen der neuen vernetzten und digitalisierten Welt, nach den Sternen. Mit Mitte sechzig mag er sich nicht mehr an allen Fronten kampfbereit präsentieren, das können seine Adlaten machen, doch seine Finger nimmt er nicht aus dem Spiel.

      „Guten Morgen, Mr. Caiden!“

      Mrs. Roonberg, die Empfangsdame von LCSCN, eine Bilderbuch-Blondine, deren Kleiderschrank gleichzeitig eine prall gefüllte Boutique sein muss, arbeitet seit fünf Jahren für Caiden und seine Partner. Als Empfangsdame legt sie sehr viel Wert auf ihr Äußeres. Der Glencheckrock im matten Grau liegt die vorgeschriebene Handbreit über ihren Knien und passt vorzüglich zur Bluse in hellrosa. Caiden sieht sie, wenn er in New York ist, nur morgens und abends; er wirft gerne einen Blick auf Roonberg. Die Handbreite sollte er mal vergrößern.

      „Guten Morgen, ich hoffe, es gab die letzten zwei Tage nichts Wichtiges hier?“

      „Nein, Mr. Caiden, alles lief rund. Hatten Sie erfolgreiche Meetings in Singapur?“

      „Alles zu meiner Zufriedenheit, ich bin sehr erfolgreich gewesen“, und schon eilt Caiden in sein Büro.

      Dieses Projekt wird mir für alle Zukunft den Rücken frei halten, denkt er. Bestimmte Geschäfte sind auf einen sehr kleinen Personenkreis begrenzt: Auftraggeber, Täter und Opfer. Und prompt reduziert sich dieser Personenkreis um eine Figur.

      Caiden verschließt das Büro und ordnet an, von niemand gestört zu werden, auch von seinen Partnern nicht. Ein frisches Mobiltelefon mit einer ausländischen SIM-Karte, deren Herkunft, Käufer und Weg zu ihm nie verfolgt werden können, startet. Ein paar chinesische Schriftzeichen verraten einen Hersteller. Das Netz ist aufgebaut, Caiden tippt eine SMS hinein:

      „Pl02jslkB23 2903“

      Die Nummer des Empfängers wird hinzugefügt, er hat sie im Kopf, sie hat ihn oft gerettet und große Probleme gelöst. Nachdem die Nachricht gesendet worden ist, schaltet Caiden das Handy aus. Er wird es komplett mit Karte in den East River werfen. Zufrieden öffnet er die Bürotür und ruft seinen Partner Brodney an, er möge antreten.

      Los Angeles (Kalifornien)

      „Irma, could we talk …“

      „Wir sprechen in diesem Hause Deutsch, wenn wir beide alleine sind, liebe Cathy. Du hast es versprochen und ein wenig Kultur kann nicht schaden. Ich will mich nicht über das amerikanische Wesen äußern, also über was möchtest du mit mir reden?“

      Prof. Dr. Irma Mitteldorff ist mit ihren 93 Jahren geistig fit wie kaum jemand in ihrem Alter. Die körperlichen Beschwernisse nimmt sie tapfer hin. Seit einem halben Jahrhundert bewohnt sie dieses Haus, das auffällt, da es mit seinem Landhausstil so gar nicht in das Straßenbild der Coronado Avenue auf Long Beach passen will. Sie und Wilhelm hatten es damals günstig erworben und saniert, heute werden in dieser Lage Schwindel erregende Preise gezahlt.

      „Das mit der Reise, hast du dir das gut überlegt?“ Cathy massiert sanft Irmas Rücken, auf dem sich die Spuren eines langen Menschenlebens abbilden. Sie ist nicht Pflegekraft, sie liebt die alte Dame und für ihr Germanistikstudium ist Irma das Beste, was ihr passieren konnte. Es ist eine Win-Win-Situation.

      „Meine Liebe, ich sage es heute, ich habe es vor Wochen schon im Kulturverein gesagt, und ein paar Tage vor der Abreise wird sich daran nichts ändern: Ja, ich reise für ein paar Wochen nach Deutschland! Wollt ihr mich alle etwa fesseln und einsperren in dieses Haus hier?“

      Noch immer kann Irma emotional hochgehen, sich aufplustern. Wenn sie sich mit ihrer zierlichen Gestalt so ins Zeug legt, dann sollte man den Kopf einziehen, denkt Cathy. Sie legt das Massageöl beiseite und tritt vor Irma.

      „Irma, es ist eine lange Reise, alleine schon der Flug, das Ungewisse, und du warst lange nicht mehr in Deutschland gewesen, dort hat sich auch einiges verändert und …“

      „Dass ich bis auf einen kurzen Besuch vor ein paar Jahren zur Beerdigung einer alten Freundin ewig nicht in meiner Heimat gewesen bin, hat andere Gründe, du kennst sie. Aber du willst mir doch nicht weismachen, das Deutschland ein Entwicklungsland ist, nur weil wir