Michael Tycher

Irma


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darfst du nicht vergessen. Und dieses tolle Massageöl hier gibt es ganz bestimmt auch in Berlin, frag mal dein Internet ab!“

      Cathy gießt den frisch gepressten Orangensaft in die Gläser und versucht beiläufig zu wirken, aber es ist ihre letzte Karte.

      „Man darf dein Alter nicht unterschätzen …“

      „Was sagst du da?“

      Cathy ist es falsch angegangen.

      „Ich meine wegen der …“

      „Halt, ich habe mit diesem Trottel von Arzt, wie heißt er gleich …“

      „Dr. Warner!“

      „Ja genau, der immer eine so wichtige Miene aufsetzt, wenn er mir ein homöopathisches Mittel verordnet. Der tut dann so, als ob ein verdammt schwerer chirurgischer Eingriff bevorsteht. Ich habe ihn bis jetzt überlebt und seine üppigen Honorare bezahle ich auch. Der wäre im Theater besser aufgehoben und könnte mit seinem Ausdruck in Strindbergs Totentanz als Edgar auftreten, der seine Frau tyrannisiert hat.“

      Irma redet sich in Rage, doch sie merkt, dass Herz und Kreislauf dieses Tempo nicht mehr so richtig mitmachen wollen. Sie holt tief Luft und wischt mit einer Handbewegung Cathys Versuch beiseite, das Wort zu ergreifen.

      „Aber genau dieser Heiler, dieser Warner, hat mir attestiert, dass nichts gegen eine Reise spricht. Meine altersbedingten Leiden sind nun mal da und der Tod rückt näher. Jedoch spricht keines dieser Leiden gegen eine Fernreise. Das hat dieser Scharlatan bestätigt und mir die Freigabe erteilt.“

      „Was willst du um Gottes Willen alles unternehmen in Deutschland, und wie vor allen Dingen?“ Cathy mustert jetzt eindringlich die Miene der alten Dame.

      „Du möchtest doch mitkommen, meine Liebste. Das geht aber nicht, jemand muss auf das Haus aufpassen und die Post überwachen. Ich brauche dich hier. Und in Berlin wartet jemand auf mich, der mich begleiten wird.“

      „Was? Wer? Wohin denn begleiten?“

      „Cathy, das mit dem Leben ist wie eine Bergbesteigung. Du kommst in den Jahren immer höher und höher. Dadurch erlangst du mehr Überblick, manche nennen es Weisheit. Den Begriff finde ich übertrieben, aber da ist schon was dran. Und ich bin schon fast am Gipfelkreuz angelangt.“ Irma legt eine Pause ein.

      Cathy rückt näher ran und beendet endgültig die Massage, versteht aber nicht den Sinn der letzten Worte. Sicher die alte Dame hatte ihr Leben lang mit Kultur, vor allem mit dem Theater zu tun gehabt und neigt manchmal zu theatralischen Ausführungen.

      „Ich glaube nicht, dass du schon am Gipfelkreuz angelangt bist, da gibt es noch einiges zu erleben für dich.“

      „Mag sein Cathy, aber ich möchte noch zwei Dingen in meinem Leben geklärt sehen. Ich möchte die Orte sehen, an denen Wilhelm und ich unsere intensivste Zeit verbracht haben, wo wir uns kennen gelernt haben und von wo wir vertrieben worden sind, weil man uns nicht wollte. Es ist kein Schlussstrich, nenne es späte visuelle Bestandsaufnahme! Zufrieden Kindchen?“

      „Nein, du hast von einer zweiten Sache gesprochen, die du klären möchtest. Um was handelt es sich dabei?“

      Irma greift ihren Stock und wackelt in die Küche. Cathy ärgert sich, weil Irma das Gespräch abrupt abgebrochen hat. Sie findet es unverschämt.

      „Das ist nicht fair Irma, du hast mir noch nicht alles erzählt, was ist da noch zu klären?“, ruft sie hinterher.

      Irma dreht sich langsam um.

      „Ein schöner Tag heute, wir gehen ein bisschen an den Strand, mit den Füßen im Wasser, man soll viel mehr barfuß im Leben laufen, das sagen …“

      „Professor Mitteldorff!“

      Cathy kann ihre Wut über ihre Geringschätzung kaum verbergen und greift zu Irmas offizieller Bezeichnung, sie weiß, dass die alte Dame das gar nicht mag.

      „Cathy, ich werde es dir erzählen, nicht heute. Es gibt Dinge im Leben, die erzählt man nicht einfach zwischen Massage und Strandspaziergang. Aber ich muss mich von etwas befreien, was mich mein Leben lang begleitet hat. Noch ist der Zeitpunkt dafür nicht gekommen. Und jetzt ist Schluss mit der Diskussion, ich reise nach Deutschland.“

      „Okay ich fange nicht wieder damit an, versprochen, aber wie bewegst du dich dort fort? Eine Triathletin bist du ganz sicher nicht?“

      „Brauche ich auch nicht zu sein. Es gibt gewisse Hilfsmittel, die ich mir leisten kann und auf die ich gerne zurückgreife.“

      „Ja ???“

      „Hatte mir bei meinen Kurzbesuch in Berlin auch schon sehr geholfen.“

      „Du kennst den heißen Brei Irma, wie ihr Deutsche immer sagt. Du redest da jetzt aber ganz heftig herum. Wer ist es?“

      „Ein Chauffeur!“

      Durban (Südafrika)

      Die Saunders Avenue im Stadtteil Isipingo liegt südwestlich der City von Durban. Von dort ist die Entfernung zum King Shaka International Airport noch akzeptabel, ein Autobahnanschluss rundet die günstige Lage ab. Es ist ein Villenvorort, der aber nicht zur Übertreibung neigt. Gediegene Häuser und Apartmenthäuser, eben das, was Pierce als Basis auf der Südhälfte der Erde braucht. Eine unauffällige Tätigkeit als Handelsvertreter einer Software-Entwicklungsfirma für Verwaltungsanwen-dungen mit Sitz in London erklärt viele Reisen, und Fragen nach seiner Tätigkeit werden kaum gestellt. Manchmal ist Pierce für längere Zeit auf Reisen, die Nachbarn haben sich daran gewöhnt, das Verhältnis zu ihnen ist freundschaftlich, aber distanziert. Die gekaufte Wohnung in der Villenanlage ist schlicht eingerichtet, Pierce übernahm sie möbliert und veränderte nur wenig.

      „Hey Pierce, ein kleines Bier haben wir uns doch verdient, oder?“ Brodney, der wie Pierce den ganzen Nachmittag im Garten der Anlage Pflanzen beschnitten hatte, möchte den Feierabend einleiten. Für Pierce ist die Gartenarbeit mehr als nur Entspannung. Mit Freude beobachtet er die Natur, betrachtet Pflanzen wie sie wachsen, in ihrer Pracht blühen und wieder eingehen. Es ist wie in einem Menschenleben, manchmal wird nachgeholfen, genau wie in der Natur. Pierce sieht seinen Job in dieser Welt als Menschengärtner, es gibt Verhältnisse, die neu geordnet werden müssen, so wie in einem Blumenbeet.

      „Brodney, ich mache hier nur noch diese Reihe fertig, dann bin ich bei dir.“

      Brodney hat als Soldat bei der britischen Royal Navy gedient, jetzt ist er pensioniert und verbringt einen Teil des Jahres mit seiner Frau in Südafrika. Pierce stammt aus Detroit, über seine Zeit bei einer Einheit der US Special Operations Forces gibt er dem alten Brodney nur wenig und verändert Auskunft, obwohl dieser immer wieder neugierige Fragen stellt, man sei ja schließlich ein enger Verbündeter, und zudem arbeitet Pierce für ein englisches Unternehmen.

      „Hier Kamerad, das ist so eiskalt, damit kannst du einen Eskimo noch verblüffen. Haben die bei euch auch in der Army gekämpft?“

      „Danke Brodney, na klar, die Jungs gehören doch zur USA, das weißt du doch.“

      „Na, wie waren die drauf?“

      Pierce spürt das sanfte Brummen seines Mobiltelefons in seinen Khaki-Shorts.

      „Sorry, da möchte jemand etwas von mir“, erklärt er Brodney und zieht das Gerät heraus.

      „Pl02jslkB23 2903“

      Die SMS enthält nur diese Ziffernfolge. Pierce kennt den Absender, es ist Caiden, der einzige Auftraggeber, den er persönlich kennt. Niemals hatte er bisher Kontakt zu seinen Kunden. Doch Caidens und seine Wege trafen sich, als beide in ihren Geschäften noch nicht zu den Besten zählten. Pierce suchte damals ein neues Betätigungsfeld, in dem er seine Talente neu einsetzen konnte. Heute verflucht sich Pierce dafür, dass ein Mensch auf dieser Welt weiß, dass er nicht Pierce heißt und welches wirklich sein Geschäftsfeld ist.

      „Es riecht nach Arbeit, nicht wahr du alter Profigärtner?“